Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Kategorie: Text und Übersetzung im wirklichen Leben (Seite 1 von 4)

Kollegenschnack (Neulich in der Kneipe, Teil 896)

“Sie schreiben?”

“Logisch. Man kann ja im Wirtshaus nicht bloß saufen.”

“Vor allem, seit man nicht mehr rauchen darf, gell.”

“Meine Rede.”

“Was schreiben Sie denn?”

“Jetzt?”

“Und hier. Brief ist das dem Layout nach keiner.”

“Och, Liedertext.”

“Sehr schön. Hab ich auch mal gemacht.”

“Echt? Und ist gesungen worden?”

“Fast.”

“Warum nicht ganz?”

“Ich kann keine Noten schreiben.”

“Die Melodie soll doch der erfinden, der es singen will.”

“Wollte er auch.”

“Hat er nicht?”

“Er hört die Melodie nicht aus dem Text, hat er gesagt.”

“Deswegen soll er sie ja erst erfinden.”

“Der konnte sich’s aussuchen.”

“Jemand, den ich kenne?”

“O ja.”

“Na, sagen Sie schon.”

“Ach, Sie würden nur denken, ich möchte prahlen.”

“Was hat der mit den Liedtexten gemacht?”

“An mich zurückgeschickt. Anständiger Kollege.”

“Und Sie singen jetzt alles selber daheim.”

“Haha, oder im Wirtshaus.”

“Später dann.”

“Prost.”

“Mir fallen auch immer bloß die Melodien ein, die’s schon gibt.”

“Gibt doch heute ganz andere Möglichkeiten.”

“Jam-Sessiion via Zoom?”

“Wenn wir das damals gehabt hätten …”

“… dann dürften Sie heute richtig im Wirtshaus rumprahlen, stimmt’s?”

“Die Möglichhkeit besteht.”

“Die Möglichkeit, dass uns gleich einer mit dem letzten öffentlichen Aschenbecher in der freien Wildbahn erschlägt, besteht auch.”

“Wieso, bei Ihrer Eloquenz schreiben Sie doch bestimmt recht ordentliche Texte.”

“Weiß ja keiner.”

“Das muss man positiv sehen.”

“Wie alles andere auch. Man schreibt ja Liedertexte nicht, damit man sie an Lerryn verkauft.”

“Hörnse auf mit dem. Außerdem schreibt der selber für Heinz Rudolf Kunze.”

“Wieso, der hat sein Zeug schon von Brecht und Eisler, Che Guevara und Rosa Luxemburg schreiben lassen.”

“Die mussten sich nicht mehr wehren:”

“Darf ich das verwenden?”

“Nur zu, ich plaudere einfdach so ins Gemeinfreie.”

“Man muss ja nicht alles gleich monetarisieren.”

“Gibt ja auch innere Werte:”

“Und man hat daheim immer genug Notizpapier rumliegen.”

“Wieso, schreiben Sie nicht die Rückseitren voll?”

“Könnte ja mal wer eine Melodie draufschreiben wollen:”

“Prost.”

“Prost.”

Soundtrack: Lerryn: Der Sänger Mit Den Besseren Liedern,
aus: Der Sänger mit den besseren Liedern, 1974:

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal

Man hat immer die Auswahl: Entweder früh beizeiten losgehen, wo noch der Vollmond über Thalkirchen thront, damit man den Mandarinenten auf dem Tümpel Richtung Schloss Schwaneck beim Aufwachen zuschauen — und zuhören! — kann, oder so spät, dass in Schäftlarn schon der Klosterladen offen hat (Mittwoch bis Samstag 14 bis 17, Sonn- und Feiertage 11 bis 17 Uhr), damit man einem zum Strafdienst verdonnerten Internatsinsassen ein Pfund Honig abkaufen kann.

Diesmal war’s die Frühversion:

Isartal früh

Das Kloster steht seit anno salutis 762 und hoffentlich noch ein paar Tage; meine eigenen liebsten Dokumentationen waren Von München bis Venedig (fast) mit den meisten, seit 2010 leider deteriorierten Bildern, und Zwei Klavier-Trios und zwei Violoncello-Sonaten mit der besten Begründung, warum man sowas gelegentlich machen muss.

Maria Rast spricht sich beiläufig mit kurzem a, weil es sonst das Gegenteil hieße, und bringt momentan den Anfang des beliebtesten aller Psalmen in etwas fragwürdiger, dazu noch allzu verletzbarer, aber höchst ansprechender Umsetzung. Offenbar haben die Eichkatzeln schon drei Kiesel entführt:

Maria Rast, Psalm 23

Herr ist mein hirte mir wird nichts mangeln
weidet mich auf einer aue und führet mich zum frischem wasser
psalm 23

Sic, Schreibung wie in Maria Rast vorgefunden. “Mir wird nichts mangeln” — außer Honig halt. Man hat immer die Auswahl.

Soundtrack: Cellosonate op. 102 Nr. 1 mit Sviatoslav Richter und Mstislav Rostropovich, live ca. 1961–1963, von Beethoven für die auf dem Schäftlarner Klosterfriedhof begrabene Marie von Erdődy 1815:

Kapitalisten verstehen etwas von den Genüssen des Lebens (Barks/Fuchs)

Update zu Das nächste große Ding: Pumuckl-Marketing!:

Man kann es ja gar nicht einfach genug erklären. In diesen Tagen, als Der Donaldist 158 verschickt wurde, ist mir auch wieder eingefallen, was ich über BWL weiß. Alles auf einmal. Es passt auf zwei Bilder, dabei kommen die nicht mal im DD 158 vor.

Sie kommen vielmehr vor im Entenhausener Bericht Eine würzige Geschichte, i. e. Carl Barks: A Spicy Tale, 1962, übersetzt von Dr. Erika Fuchs für Micky Maus 28, 1963. Dagobert Duck sucht als Begleiter des Entwicklungshelfers Donald (der sich auf Spinatkochen und Bongotrommeln versteht), die knapp gewordenen Muskatnüsse bei den Muskateller-Indianern am Amazonas (die sich viel eher für die Fertigkeit des Geldverdienens interessieren), um sie nicht zuletzt für seinen eigenen Bedarf an Muskatnusstee direkt aus dem Urwald zu exportieren:

Donald Duck, Eine würzige Geschichte Donald Duck, Eine würzige Geschichte

Der verdiente Donaldist Andreas Platthaus nimmt Dagoberts Auffassung von Vermögensbildung, die in der BWL Schatzbildung heißt, ernst — in: Die Kunst, Geld anzuhäufen, Jungle World, 6. November 2008:

Ein Großteil des Duckschen Geldes arbeitet nicht. Es genießt vielmehr den Ruhestand und dient vor allem sentimentalen Gefühlen seines Besitzers. So findet sich tief im Geldspeicher unter unzähligen anderen Münzen vergraben ein Fass mit der ersten Million Dagobert Ducks, die dieser »noch heute nicht ohne Rührung betrachten kann«. Dass auch der erste selbstverdiente Taler noch in seinem Besitz ist, dürfte sogar oberflächlichen Kennern Entenhausens bekannt sein. Man darf aber vermuten, dass frisch verdientes Geld von Dagobert Duck generell nicht wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt wird. Man rufe sich nur einen Satz in Erinnerung, den er beim Betrachten einer einzelnen Münze aus seinem Ver­mögen äußerte: »Oh, das Geldstück kenn’ ich. Das ist das, was ich damals auf der Weltausstellung 1907 nicht ausgegeben habe.«

Dieses Zitat führt ins Herz der politischen Ökonomie Entenhausens, die sowohl rätselhafte Phänomene wie die kurzfristige Bilanzschwebe als auch mittlerweile leicht nachvollziehbare wie die kreditabwürgende Unabhängigkeitstheorie kennt. Erfreulicherweise ist durch Barks und Fuchs ein Vorlesungszyklus überliefert, den Da­gobert Duck als unfreiwilliger Entwicklungshelfer beim Stamm der südamerikanischen Muskateller-Indianer gehalten hat. Hören wir uns den Milliardär erst einmal an: »Zuerst muss man sich ein paar Taler sparen. Die tut man auf die Bank. Ersparnisse erfreuen das Herz des Bankdirektors. In seiner Freude legt er noch etwas dazu.« So erläutert Duck das Zinsphänomen. Es ist hier also weniger Geld, das Geld heckt, um mit Marx zu reden, als vielmehr eine Ökonomie des Wohlgefallens (man könnte auch sagen: eine Günstlingswirtschaft), die das Vermögenswachstum erst in Gang bringt. Banken fungieren dabei als grundgütige Gläubiger.

Das wirkt etwas weltfremd. Aber weiter in Ducks Vorlesung: »Mit dem geborgten Geld kauft ihr billige Waren ein und verkauft sie so teuer wie möglich.« Spätestens hier werden wir hellhörig, denn wir wissen ja, dass sich der Milliardär selbst nicht mehr verschuldet. Wir folgern daraus, dass kaum jemand so wenig berufen ist, uns den Kapitalismus zu erläutern, wie Dagobert Duck. Es gibt ein berühmtes Diktum aus seinem Munde: »Mir hat auch keiner gesagt, wie man Kapitalist wird.« Der Witz ist: Er ist es nie gewesen, denn Hortung, wie Duck sie betreibt, muss dem Kapitalismus wesensfremd bleiben. Er ist ja gerade angewiesen auf frei flottierende Geldströme, weil nur so Kapital akkumuliert werden kann.

Dagobert Duck wäre mithin gar kein Kapitalist? Platthaus braucht bedeutend länger als Duck, um seinen Standpunkt klar zu machen; normalerweise ein schlechtes Zeichen, aber Platthaus muss auch nicht in zwei Sprechblasen passen, und plötzlich gibt es einen ganz neuen Sinn, dass Dagobert andernorts, in populär gewordenen Fuchs-Zitaten eher als Plutokrat bezeichnet wird. Die Kuriosität, die den Bericht erst buchenswert macht, liegt inzwischen nicht mehr in der Grundgüte von Bankinhabern, sondern in der Grundannahme, Zinsen bedeuteten einen Zuwachs an Barmitteln.

Eine vergleichbar stringente Darstellung der Uneigennützigkeit erscheint in Entenhausen erst 1970, Dagobert kommt nicht im Bilde vor. Was immer das bedeutet.

Bilder: Walt Disney, Ehapa, Erika-Fuchs-Haus, D.O.N.A.L.D..

Ohoho-ho lalala

Das unsägliche, um nicht zu sagen: in den postmodernen Versionen brunzdumme Donaulied hatte ich nicht mal in meiner aktiven Lagerfeuerzeit im Repertoire-Ordner stehen, weil das selbst mir zu flach war. Heute kann man eine Online-Petition namens Bierzeltsexismus Aktion gegen das Donaulied unterzeichnen, damit der Unfug nicht mehr öffentlich aufgeführt werden darf. Wenn es einen durchaus dazu drängt, kann man auch eine Online-Petition namens Rettet das Donaulied unterzeichnen, damit der Unfug aus lauter Tradition doch weiterhin öffentlich aufgeführt werden darf, aber den Link können Sie selber suchen.

Angeblich waren seit “vor 1828” Versionen mit bis zu 24 Strophen in Umlauf, gern aus der Sicht eines Mädchens, das ihren Geliebten sucht. Ursprünge sind begründbar aus einer ähnlich lautenden Singspiel-Arie aus dem Donauweibchen von Ferdinand Kauer 1790; mithin wäre es der Definition nach kein Volkslied, allenfalls ein verderbter Gassenhauer. Die volkstümlicher Weise leichtfertig gut geheißene, ja heldenhaft gesehene Vergewaltigung wurde erst nach 1945 in die Texte getragen, ein virulenter Bierzelthit wurde der Liedtypus aus männlicher Perspektive nach 1970. Eine gängige Einspielung von Mickie Krause verschleiert immerhin die die offene Vergewaltigung, die genannte Petition richtet sich gegen die gedankenlosesten, möglicherweise triggernden Versionen und wahrscheinlich aus rechtlicher Durchsetzbarkeit nur gegen die Aufführung “in Passauer Bierzelten und Kneipen”. Befürworter des traditionellen Sexismus machen geltend, der Schmarrn gehöre als Volkslied “einfach zur Bierzelt- und Kneipenstimmung” dazu.

Bedeutend wirksamer als Aufführungsvorschriften egal von welcher Seite empfinde ich die Version der Frauen-Formation die 7, die den Text nach Jahrhunderten wieder in eine weibliche Sichtweise rückt. Dass sie ausgerechnet am 4. Juni 2020 auf YouTube hochgeladen wurde, deutet auf ihre ideologische Stoßrichtung hin, was in Ordnung geht; dass dabei in der Überschrift flüchtiger Weise das “ich” ausgelassen wurde, deutet auf eine gewisse “weibliche” Verhuschtheit, was noch viel mehr in Ordnung kommen muss. Der Anfang dazu ist durch die Umdeutung und den neuen Text gemacht.

Erschütternd genug war der “Das Lied aus Sicht des Mädchens” online nicht aufzufinden, deshalb erscheint der Text unten, dem Video abgelauscht. Er kommt einem Volkslied erfreulich nahe und klingt glaubwürdig genug wie etwas, das so in Des Knaben Wunderhorn oder dem Deutschen Liederhort stehen könnte. Dabei wurde der Text für diese feministisch gedachte Gegenversion wesentlich komplexer als das vorgefundene Original gebaut: Die Strophen haben vier statt nur zwei Verse, die handlungstragenden Inhalt — also mehr als das berüchtigte “Ohoho-ho lalala” — vermitteln; dazu wurde ein Refrain eingeschaltet, der aus der Strophenmelodie ausbricht und inhaltlich auf einer übergeordneten Ebene spielt. Das hat objektiv sehr viel mehr Substanz als der Bierzeltkracher.

Beim Nachspielen behält die Melodie auch auf Moll heruntertransponiert die üblichen drei Gitarrengriffe, also nur unverzagt zugeklampft; das obligate Solo bietet sich auf Mundharmonika an, gern vom selben Aufführenden mit Bob-Dylan-Ständer. Das offizielle Cello-Solo aus dem Video, vermutlich erfunden und vorgetragen von Lena Kranjc, wird voraussichtlich wieder nicht zur Mutter aller Cello-Soli ausgerufen, sollte es aber.

Auf gegenwärtigem Stand hat die Petition von Corinna Schütz schon gewonnen. Das ist schön, aber für die Praxis gar nicht so erheblich: Keine Bierzeltunterhaltung, die eine gewisse Reststimmung aufrechtzuerhalten strebt, wird das Zeug je wieder spielen können. Das haben, hoch sollen sie leben, Corinna Schütz, Maria Voss und Lena Kranjc geschafft.

——— die 7:

Einst ging ich am Ufer der Donau entlang

Text: Maria Voss; Musik: Lena Kranjc, Maria Voss, 2020:

1.: Einst ging ich am Ufer der Donau entlang,
ohoho-ho lalala.
Der Fluss und sein Rauschen ein kraftvoller Klang,
ohoho-ho lalala.
Die Sonne so freundlich, das Gras satt und dicht,
||: ich legte mich hin, eilig, hatt’ ich es nicht. :||

2.: Ich schloss meine Augen und sanft schlief ich ein,
ohoho-ho lalala.
Versäumend und träumend, so muss Urlaub sein,
ohoho-ho lalala.
Ein Schatten jeoch störte kalt meinen Schlaf,
||: ich regte mich nicht, weil mich sein Blick traf. :||

Refrain: Lass die Gläser klingen, die Burschen singen,
aus voller Brust klingt ein Lied.
Lass die Mädchen sich wiegen, im Takt sich verbiegen,
feuchtfröhlich tönet das Lied.

[Cello-Solo.]

3.: Er lächelte zynisch, erstarrt lag ich dort,
ohoho-ho lalala.
Er strich sich durchs Haar und dann war er fort,
ohoho-ho lalala.
Der Fluss rauscht vorbei, doch ich höre ihn nicht,
es kreischt in mir, meine Seele zerbricht.

Refrain: Lass die Gläser klingen, die Burschen singen,
aus voller Brust klingt ein Lied.
Lass die Mädchen sich wiegen, im Takt sich verbiegen,
feuchtfröhlich tönet das Lied.

Noch ein Wort an die Traditionalisten, die kein traditionelles Volkslied von einer weitertradierten Unsitte unterscheiden können: Bei den rüden, sexistischen Versionen der unbesonnenen 1980er Jahre konnte ich öfters einen kumpelhaften Anerkennungserfolg mit der letzten Strophe einheimsen:

Da hast du fünf Mark und nun scher dich hier raus,
ohoho-ho lalala,
und wasch dir die Klitsche mit Schmierseife aus,
ohoho-ho lalala.

Aber von mir habt ihr das nicht, ihr Anfänger.

Keine Insel mit zwei Bergen

Keine Ahnung mehr, von wem mir das unterlaufen ist, aber offensichtlich war es am 12. November:

Wenn wir ganz und gar aufgehört haben, Kinder zu sein, dann sind wir schon tot.

Michael Ende, der heute 90 geworden wäre

Die etwas poröse Quellenangabe über den Spruch von Michael Ende atmet den Geist seiner unendlichen Geschichte von 1979, das Zitat selbst sollte wohl eher die frühere Momo von 1973 untermalen. Die unendliche Geschichte hat mich drei Jahre meines Lebens beschäftigt, indem ich Dialoge zwischen ihren Figuren fürs einschlägige Computerspiel vom Englischen ins Deutsche übersetzt hab, was auf Umwegen nötig geworden war; Momo war lange vor der Verfilmung mit Radost Bokel von 1986 mein erster Kontakt mit Herrn Endes Hervorbringungen: in der Form von Geh doch zu Momo aus der Reihe Lemmi und die Schmöker nämlich, Erstausstrahlung 1. Mai 1975, als es noch einen Monat bis zu Radost Bokels Geburt hin war. Die Momo aus der Lemmi-Folge war Léonie Thelen, die im Gegensatz zur Bokelin nicht im Playboy, sondern in der Glyptothek geendet ist.

Die Computerschmiede, in der ich “Bullshit” mit “Hühnerkacke” kulturell angenähert habe, worauf ich mir bis heute wunder was einbilde, gibt’s nicht mehr; siehe auch: Neuer Markt. Liegt wohl nicht so der Übersegen drauf, auf dem Kindersein nach Anleitungen von Michael Ende.

Soundtrack. Tocotronic: Michael Ende, Du hast mein Leben zerstört,
aus: Nach der verlorenen Zeit, 1995:

Fußballmuddi

Nix gegen Klampfenelfen. Den meisten kann man unbesehen zuhorchen, so richtig scheiße ist keine von denen. Aber, liebe Kinder, glaubt keinem Marketing-Text. Nicht mal, wenn er von einer Firma namens Schädelbonbon in Auftrag gegeben wurde:

Soccer Mommy, unsere Künstlerin zum Thema “RAD”, spielt für uns ‘Still Clean’, einen “gechillten aber irgendwie traurigen” Gitarrentrack im 90er-Jahre-Stil, in einem extra für sie nachgebauten 90er-Jahre-Schlafzimmer.

Skullcandy, 2019.

Setzen wir voraus, dass mit “RAD” nicht der Reichsarbeitsdienst gemeint ist, lässt sich zur Not ergoogeln, dass die Soccer Mommy entweder zum Thema Rapid Application Development, fürchterlich awesome oder in Diensten der Royal Academy of Dance singt; der Herkunft des Zitats nach aber vermutlich über drahtlose Kopfhörer (ausverkauft). — “Für uns”? Für wen genau? Für mich? Ach, hätt’s doch nicht gebraucht, das Mütterchen soll sich wegen mir bloß keinen Umstand machen — schon gar nicht, solange sie in ihrer musikalischen Auffassung einen wesentlichen Unterschied zwischen “gechillt” und “irgendwie traurig” macht.

Wenn eine etwas ratlos herumklampfende Nashvillerin des Jahrgangs 1997 Musik “im 90er-Jahre-Stil, in einem extra für sie nachgebauten 90er-Jahre-Schlafzimmer” macht — woran könnte ich wohl den 90er-Jahre-Stil erkennen, wenn er nicht im Teaser erwähnt stünde, sofern ich mich noch erinnern kann, dass die Musik der 90er (des 20. Jahrhunderts, mein ich) mit nicht viel anderem als Revivals der Jahrzehnte vorher beschäftigt war?

Und aus welchen Elementen baut man denn ein “90er-Jahre-Schlafzimmer” nach? In meiner Küche finde ich keine Prilblumen mehr, einen vom Vormieter übernommenen Hanuta-Aufkleber schon noch. Weder vor, in noch nach den 90ern hat mein Schlafzimmer ausgesehen wie der Parkplatz vom Schafhofer “Why Not”.

Und würde das jemandem auffallen, der sich nicht an Silvester 1999 auf 2000 erinnern kann? Ich zwar — nicht aus Altersgründen — auch nicht, aber solang ich mich für solche Fragen interessiere, kann ich nicht alt sein.

PS: Dem Material nach, das ich bis jetzt von der “Soccer Mommy” kenne, halte ich sie für von vornherein überschätzt, Nashville hin oder her.

Was sie wirklich ausmachte

…  setzte sie sich für alle Nachbarn prominent sichtbar aufs Vordach – ziemlich schnell durfte sie wieder rein …

~~~

… von ihren Freunden den Namen Emma und nannten sie nur so. Weil sie in der damaligen Zeit schon sehr emanzipiert war und sich von nichts und niemanden beirren ließ, ihre durchdachten Ansichten beharrlich vertrat.

~~~

Sie fuhr deutlich vorsichtiger als zu früherer Zeit, als sie sich einen Django-Ledermantel leistete, mit offenem Staubmantel auf dem Motorrad ohne Helm aus der Kurve flog.

~~~

… was sie absolut nicht mochte war, wenn man versuchte sie als Single zu verkuppeln oder anderweitige „gut gemeinte“ freundliche Manipulationen.

~~~

Sie hätte gern noch ein paar eckige Runden gedreht.

 

 

 

Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.
Oscar Wilde

 

 

 

 

Buchstaben-WTF

Man sagt doch noch YOLO?

Frau Schnabelstedt, in: Fack ju Göhte, 2013.

Also, ich erfinde nix, nicht dass es wieder heißt, ich erfinde was, und sag gar nix dazu, nicht dass es wieder heißt, ich hätt was gesagt.

DREH’ DEN SWAG AUF!

NACH 70 JAHREN BLEIBT ALLES NEU.

Das neue Buchstaben-YOLO bietet jetzt noch mehr Spaß — für die Fam, für die Gang und für alle Fans von lässiger Jugendsprache! Einfach mal wieder anlegen: Crossed die vorhanden Wörter der anderen, packt neue Buchstaben auf’s Board und zeigt, wer rasiert! Sammelt Props und Punkte durch smartes Ausnutzen von Powerfeldern!

Wer die besten Wörter fetzt, bekommt den Fame im Game!

Cool, darf ich die Turnierregeln angleichen, ich hab einen Myspace-Account? Das Deppenleerzeichen im Corporate Naming ist inkonsequent eingehalten. Außerdem heißt das Abiturensohn-Battle, ihr Opfah.

Und Trivial Pursuit heißt dann bis Weihnachten LMGTFY und die Siedler von Catan die Hasenjagd vong Chemnitz her? Wow, heißt das, beim Scrabble zählen jetzt auch Akronyme? Englische Akronyme? YOLO mit dreifachem Wortwert kann ja kein Mensch im Kopf ausrechnen.

Das sind die Sachen, die einen ins Antiquariat treiben. Aber ich wollt ja nix sagen.

Soundrack: Bloodhound Gang: Foxtrot Uniform Charlie Kilo,
aus: Hefty Fine, 2005:

Nos dejamos hace tiempo, pero me llego el momento de perder

Update zu To all those who have lived and died alone:

Und weil gerade noch halbwegs Zeit für was Sommerliches ist, ein großer Filmmoment, der erst von 2017 stammt, bei dem man also staunt, dass er schon in der Qualität veryoutubt wurde, und der wohl bleiben wird: Harry Dean Stanton hat 89-jährig ein großes Solo mit Unterstützung der Familie Lynch erhalten, und wo immer Lucky auftaucht, soll man ihn durchlaufen lassen und mal 88 Minuten fein stille schweigen, damit man bemerkt, was aus der Schildkröte im Vorspann noch wird (nein, keine Suppe oder so, wir sind ja nicht bei Tarantinos).

Schon den halben Film wert ist, wie “Lucky” Stanton seinen Abgang als Geschenk an einen Zehnjährigen singt, der als einziger nicht zuhört. Der Text von Vicente Fernández erscheint hier in korrekter Versaufteilung, weil die bisher auffindbaren Versionen vermutlich voneinander abkopiert sind und alles durcheinanderwürfeln (offenbar muss ich das immer bei Liedern mit mexikanischem Bezug machen). Verständlich wird alles beim Google Translator:

——— Harry Dean Stanton:

Volver volver

aus: Lucky, 2017:

Este amor apasionado,
anda todo alborotado
por volver
Voy camino a la locura
y aunque todo me tortura
se querer.

Nos dejamos hace tiempo
pero me llego el momento
de perder
Tu tenias mucha razón,
le hago caso al corazón
y me muero por volver.

‘Y volver, volver, volver
a tus brazos otra vez
Llegare hasta donde estés
Yo se perder, yo se perder,
quiero volver, volver,
volver.’

Nos dejamos hace tiempo
pero me llego el momento
de perder
Tu tenias mucha razón,
le hago caso al corazón
y me muero por volver.

‘Y volver, volver, volver
a tus brazos otra vez
Llegare hasta donde estés
Yo se perder, yo se perder,
quiero volver, volver,
volver.’

5–7–5 (7–7)

Immer noch nicht raus ist ja, ob Dialektlyrik jetzt wirklich ausdrucksvoller als Lyrik in “hochdeutscher” Standardsprache ist. Ich versuch mal einen Vergleich, vorsichtshalber angefangen mit der hochdeutschen Version, zum Wohle unserer Leser nördlich der Pegnitzlinie. Und südlich davon eigentlich auch.

Tattoo

Die zwei Buchstaben
am dritten Halswirbel werd
ich noch vermissen.

Inhalt erfasst? Dann nochmal den gleichen Silbenfall mit so vielen Informationseinheiten, wie reinpassen:

Dadduu

Di zwaa Bouchschdoom am
driddn Groongwirbl wer i

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ברודר מרטין לותר

Wie könnte man wohl die Feierlichkeiten zu fünfhundert Jahren Reformation und Martin Luthers Verdienste um die Gefährdung des Weltfriedens geeigneter begehen, als indem man endlich Hebräisch lernt?

Eben: gar nicht. Die üblichen über Thüringen und Sachsen-Anhalt verteilten Lutherstädte wollen zehn Jahre gebraucht haben, alle Bratwurstbuden und Mehrzwecksäle mit dem Nötigsten zu bestücken, um zu vermitteln, dass man die Bibel sogar im Internetz lesen kann und dass Katholen auch Menschen sind, vielleicht sogar die Juden — was nicht einmal dem Doctor Luther jemals einer vermitteln konnte. Weiterlesen

Sann end fann

Als ich noch ein Gefangener der Kneipen war — keine Angst, gegen regelmäßige Kautionen war ich Freigänger — war ich womöglich noch leichter zu erheitern als heute. Aus einer meiner zuständigen Kneipen erinnere ich mich an einen Spielautomaten, vulgo Bierfilzlesroulette, der aller fünf Minuten eine fiese eingängige Melodie füdelte, aller 30 Minuten in einer Art Maxi-Version. Dann pflegte er seine schönsten Blinkermuster herzuzeigen, damit auch ja jeder herschaute, um vielleicht mit ihm spielen zu kommen. Der Zockertyp war ich noch nie, darum war das immer der Moment, von meiner hochwichtigen Schreibarbeit aufzublicken und das Display zu beobachten. Darüber lief dann immer der Schriftzug: “SUN UND FUN”.

Eben nicht “Sun and fun” oder so. Sondern als ob man es genau so aussprechen müsste, ungefähr in Landnürnberger Betonung: “Sunn und Funn”. Die Bedienung war daran gewöhnt, wie ich mir jedes Mal das Lachen ob eines fränkisch sprechenden Spielautomaten verbiss. Einmal wollte ich ihr meine ständig neue Erheiterung nahebringen. Leider war sie keine Linguistin.

Und gerade gestern hab ich keine Kamera dabei und sehe ein kreidegeschriebenes Gaststättenschild: “LUNCH UND BRUNCH”. Gut, dass mir das erst nach meiner Kneipenentlassung passiert. Ich bin schnell weiter.

Soundtrack: Meiner leider etwas verschwommenen Erinnerung nach das letzte Lied, das ich gegen 1990 gegen Bargeld in einer Musikbox gewählt hab — wegen des hinterfotzigen Doppelsinns, den man erst besoffen überhaupt mitkriegt: Ringsgwandl: Radlmare, aus: Das Letzte, 1986. Hat’s das echt je als Single gegeben oder beziehen Kneipen Special Bierfilzl Releases?

https://youtu.be/cdVy9ISBM1Y

Nicht genug Tumult

Angenommen, dass Post reinkommt von einer bedeutenden Anstalt des öffentlichen Rechts, etwa von einem großen bayerischen Rundfunk, nehmen wir an, des Wortlauts:

Sehr geehrter Herr Wolfster [Name geändert],

für einen Radiobeitrag über Luther und die Alltagsprache suchen wir einen Werbetexter als Interviewpartner, der ausprobieren möchte, ob typische Lutherzitate (“Hier stehe ich, ich kann nicht anders!”) auch heute als Werbetext funktionieren.

Falls Sie Interesse haben, können Sie mich gerne kontaktieren.

Mit freundlichen Grüßen,
[Name]
[Firma]
Religion und Orientierung

Angenommen, sagte ich, dass solche Post reinkommt, was sagt man da bloß? — Zum Beispiel wird man irgendwas zwischen dienstlich, freundlich und satirisch und sagt:

Sehr geehrte Frau [Name],

das ehrt mich, dass Sie da auf mich kommen.

Leider bin ich als Werbetexter eine zu kleine Nummer, um zu entscheiden, ob ein Werbetext funktioniert oder nicht. Was Werbezielkontrolle ist, wissen Sie besstimmt besser als ich; ich arbeite ja nur kreativ.

Das bedeutet, ich liefere nur Texte, die bestellt werden, und möglichst genau so, wie es vom Kunden gesagt wird, genau das wird bezahlt. Für mich hat ein Werbetext dann funktioniert, wenn ich ihn an einen Kunden verkaufen konnte, mit fachlichen Erwägungen, gar der Hoffnung, dass der bezahlte Werbetext dem Werbekunden (nicht zu verwechseln mit der Zielgruppe “Endverbraucher“) nützen könnte, hat das nicht zwingend etwas zu tun.

Ehrlicherweise wird Ihnen da kein Werbetexter etwas anderes erzählen können. Ich selbst kann Ihnen recht zuverlässig voraussagen, dass ein Werbetext, der Lutherzitate verwendet, an keinen Werbekunden zu vermitteln ist (außer für die letzten freien Fremdenzimmer in Eisleben, Wittenberg und Eisenach o. ä., und das nur noch bis ca. Ende August, wg. Druckvorlaufzeiten). Wenn schon Zitate, dann muss die Idee dazu vom Werbekunden stammen und typischerweise die bewährten Bonmots von Oscar Wilde und Coco Chanel verwenden.

Damit will ich nichts gegen den Dr. theol. Luther gesagt haben, der es als hoffentlich einziger ausgewiesener und praktizierender Antisemit zu unseren privaten Hausheiligen gebracht hat (o Gott, wenn er das wüsste…). Für die Nachprüfung meiner 8. Klasse Gymnasium musste ich die Bedeutung der Lutherschen Bibelübersetzung nachweisen, um nicht Bayerns einziger Schüler zu werden, der wegen Geschichte sitzen bleibt. Das hat funktioniert, allein deswegen bin ich dem Manne zu Dank verpflichtet.

Angeblich soll sich die 2017er Bearbeitung der Lutherbibel wieder Luther angenähert haben, bei Hugendubel geprüft habe ich das noch nicht. Es wäre ihm aber zu wünschen, weil alle Bearbeitungen seit 1912 nur noch ein Graus waren, was sich auf Wunsch belegen lässt. Wo immer es geht, verwende ich Letzte Hand 1545, wo es jemand verstehen soll, meine alte Senfkornbibel, die eine 1984er Revision ist. Hilft ja nix.

“Habe ich nicht genug Tumult ausgelöst?” Das soll von Luther sein, ist aber zur Zeit nur von Günter Scholz, C.H. Beck 2016 nachweisbar. Soviel zu Lutherzitaten.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Suche und würde durchaus gern erfahren, wann ein Ergebnis gesendet wird: Radio rockt.

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfster [Name geändert]
Bayern-2-Kunde, Werbetexter, Bibelschmökerant et al. pp.

Zu wenig dienstlich? Dann war’s schon richtig, ist ja ein privater Weblog. Trotzdem enttäuschend:

Sehr geehrter Herr Wolfster [Name geändert],

vielen Dank für Ihre E-Mail. Wir werden den Beitrag wahrscheinlich an Pfingsten senden. Vorausgesetzt vorher passiert nicht irgendein Luther-Sprachboom. Uns ging es jetzt in erster Linie um Begriffe wie “Sündenbock”, “Machtwort” und ähnliches, die wir benutzen ohne zu wissen woher sie kommen.

Bestimmte Zitate zum Beispiel “Hier stehe ich, ich kann nicht anders” waren (auf Kondomen aufgedruckt) in diesem Jahr aber schon mal Teil einer Werbekampagne der evangelischen Jungkirche. Leider wurde die Aktion umgehend von der eigentlichen Kirche verboten. Sie hätte vielleicht ganz gut funktioniert.

Schade, dass ich Sie nicht Interviewpartner gewinnen konnte. Ihre Hinweise warum es funktioniert oder nicht wären auch sehr gut als O-Ton.

Mit freundlichen Grüßen,
[Name]
[Firma]
Religion und Orientierung

Ich als O-Ton. Vielleicht besser so, dass die freundliche Dame mich noch nie reden gehört hat.

Soundtrack ist natürlich was Evangelisches: die Entdeckung des Monats: Konzert für vier Cembali von Bach, BWV 1065 mit pädagogischem Schlussteil und vor allem einer rothaarigen Bassistin:

https://youtu.be/CSbXcYfUGzM

To all those who have lived and died alone

Update zu Fuck Yes:

Es ergeht Empfehlung für ein einzelnes Lied; vielleicht hilft das gegen den mittlerweile wochenlangen Ohrwurm.

Wie viele Jahrzehnte hab ich jetzt geglaubt, in Wirklichkeit stünde ich auf die baumlange, blasse, burschikose Rothaarige mit Brille, Birkenstockmodell Gizeh und Knabenbrüstchen, die sich kaum aus dem Eck traut, um ihr Augustiner aufzufüllen, und keinen findet, mit dem sie ihr Promotionsthema diskutieren kann, und die ganzen heißblütigen Südgewächse sind bestimmt auch ganz wunderbare Menschen, aber weiter kein Grund, nervös zu werden.

Nach Naturereignissen wie Salma Hayek, Penelope Cruz und jetzt auch noch Lindi Ortega wollte ich vorsichtshalber nochmal nachdenken. Mit dem Ergebnis: Ach so, Kanadierin. Na dann.

Das Video zu ihrem Lived and Died Alone aus Tin Star von 2013 spielt explizit auf der anderen Seite der USA, inmitten mexikanischer Kultur der Trauerbewältigung; es geht nämlich von vorne bis hinten ums Sterben, schlimmer noch: Störung der Totenruhe, wenn nicht gar Nekrophilie. Jedenfalls ist alles denkbar morbid und gerade deswegen besonders tröstlich. Das ist kein Widerspruch, sondern Schwarze Romantik, und funktioniert innerhalb christlicher Kulturen in seiner modernen Form etwa seit 1780.

Außer als Kanadierin versteht Frau Ortega sich als Country-Musikerin, was die engelschöne, komplexe Melodie erklärt. Und dann den Text, ach den Text.

Man versteht Frau Ortega recht gut, Kanadier können von Geburt an mit Mehrsprachigkeit umgehen. Und der Wortschatz bleibt kunstvoll schlicht, allerdings in thematisch ungewohnten Zusammenhängen, die sich keinem Normaldeutschen so selbstverständlich ins Ohr nisten, dass er ohne ein Minimum an Eigenleistung jederzeit mitsingen könnte. Der Text ist online gut auffindbar, aber an allen bisherigen Stellen, die wahrscheinlich eine von der anderen abkopiert sind, in falscher Versaufteilung. Als Mehrwert bringe ich daher erst das Video und dann den Text in merkfähiger, weil lyrisch korrekter Typographie. Falls das Video youtube-typisch verschwindet, lohnt sich jeder Suchaufwand, versprochen; es reicht sowieso nie, es nur einmal laufen zu lassen.

Lifehack 1: Gegen Ohrwürmer hilft auch, die Pippi Langstrumpf zu singen, die überdeckt alles andere.

——— Lindi Ortega:

Lived and Died Alone

from: Tin Star, Last Gang Records, October 8th, 2013:

Love never came easily to me,
there were no fish swimming in my sea.
I resided myself to the fact
that I would always love
never to be loved back.
But that’s okay,
I know some day —

When the sun has set,
I will go dig up the dead,
lift their bodies from their graves,
and I’ll lay them in my bed
to fill their hollow hearts
with all of my broken parts,
and all the love that they were never shown
to all those who have lived and died alone.

I guess I thought it couldn’t really hurt
to search for sweethearts underneath the dirt.
Sure, they may be made of dust and bone
But I will take them home
from their lonely tombstone
to be with me
in the Dead Sea.

When the sun has set,
I will go dig up the dead,
lift their bodies from their graves,
and I’ll lay them in my bed
to fill their hollow hearts
with all of my broken parts,
and all the love that they were never shown
to all those who have lived and died alone.

(Solo.)

When the sun has set,
I will go dig up the dead,
lift their bodies from their graves,
and I’ll lay them in my bed.
I will fill their hollow hearts
with all of my broken parts,
and all the love that they were never shown
to all those who have lived and died alone.

40 winzige Aufgaben

Update zu Saufspiele für Bücher-Geeks:

Es ergeht Empfehlung für die Unternehmung und die Website Book Riot — zusammen mit der Frage, warum sowas wieder nur auf Englisch wächst.

Hierzuland mag einem nicht einmal eine halbwegs würdevolle Entsprechung für das allfällige englische bookish einfallen, das im Bookweb (“Im was??”) ständig und für alles gebraucht wird. Hätten Sie gewusst, was ein TBR ist? Soll ich’s sagen, während Sie sich von Trockenblutreaktion zu Total Business Return hangeln? Das heißt to be read und bezeichnet den Stapel ungelesener und angefangener Bücher, der sich neben Ihrem Sofa türmt. — Ach, da türmt sich gar nix mehr, seit Sie Ihre unvollständige Harry-Potter-Sammlung der Stadtbücherei auf die Theke gekippt und noch ein Dankeschön dafür erwartet haben? Na, dann wundert mich auch nix. Dichter und Denker my ass.

Deshalb kommt wohl auch kein deutschsprachiger Kulturverbraucher auf den Gedanken, dass er ein Reading Life (übersetze: Leseleben?) führen, geschweige denn es bereichern könnte. Mir fällt ja selber schwer, die Tiny Tasks aus der Überschrift zu übersetzen (“Warum ist das Katzenklo nicht gereinigt? Du kennst doch deine Aufgaben!”), aber ich übersetze aus dem Book Riot (“Buchtumult”?) mal die 40 Tiny Tasks For a Richer Reading Life. Schaden wird’s schon nicht.

Ein paar von den 40 will man umgehend schon längst gleich ein paarmal mitgemacht haben, ein paar sind nur im englischsprachigen Umgang möglich (aber offensichtlich haben Sie ja Zugang zum Internet), ein paar kosten Überwindung, und ein paar will ich kopfschüttelnd beiseite lassen. Üblicherweise entspricht das aber dem Geist solcher Anleitungen: Man darf immer guten Gewissens weglassen, womit man sich unwohl fühlt.

1. Lass dich eine Viertelstunde früher wecken als sonst. Das reicht, um in Ruhe ein Gedicht zu lesen. ((Eine von den guten Ideen.))

2. Geh in deine zuständige Bücherei und lass dir von der Bibliothekarin etwas empfehlen — vor allem wenn das letzte Mal schon länger her ist.

3. Setz dich über ein Vorurteil übers Bücherlesen hinweg und denk absichtlich darüber nach.

4. Lies ein Buch aus einer Richtung, die du verachtest. ((Gibt’s eigentlich noch die Landserheftchen?))

5. Frag jemanden, vor dem du Respekt hast, was du lesen sollst, und fang sofort damit an.

6. Verschenk das Buch, das am längsten auf deinem TBR-Stapel liegt ((siehe oben)).

7. Melde dich freiwillig zu einer öffentlichen Einrichtung, die Lesefreude und Lesekompetenz fördert. ((In Deutschland bleibt’s damit wohl bei der Stiftung Lesen.))

8. Lies ein Buch, das von außen verstörend auf dich wirkt.

9. Lass dich auf eine Reading Challenge ein.

10. Entnimm deinem Bestand zehn Bücher und spende sie, ohne neue Bücher dafür einzutauschen. ((In München empfehle ich die Oxfam-Läden.))

11. Lies einem Lieblingsmenschen laut vor. ((Aber frag ihn vorher.))

12. Schreib eine Liste mit deinen eigenen Schnittstellen von Bücherlesen und Liebe.

13. Beschaff dir das Hörbuch zu einem Buch, das du vor Jahren nicht zu Ende gelesen hast — und hör es auch an. ((Vorsicht mit Hörspielbearbeitungen. Romane aller Richtungen und Längen sind gerne gekürzt. Mach dich schlau über den Grad der Verstümmelung, aber lass dich nicht abhalten: Jemand, der hoffentlich dafür bezahlt wurde, hat über dein Hörbuch so und nicht anders entschieden, und er konnte es begründen.))

14. Lies das Lieblingsbuch von deinem besten Freund — egal was für eins.

15. Mach ein Eselsohr.

16. Schreib an den Rand.

17. Frag deinen ältesten Verwandten oder Freund nach seinem Lieblingsbuch. Lies es sofort und erzähl ihm davon.

18. Lies im Freien.

19. Lass bei der Hausarbeit ein Hörbuch laufen. ((Beim Staubsaugen empfehlen sich die Hörspielfassungen, um die ist’s nicht so schade. Nachteil: die Stimme von Iris Berben; Vorteil: gebügelte Unterhosen und Handtücher.))

20. Lies ein Theaterstück. Nimm dir die Zeit für die bildliche Vorstellung, wie du es inszenieren würdest.

21. Lies ein Buch wieder, das du in der Schule zum Kotzen fandest. Und gleich nochmal! ((Ist das noch SM oder schon Rebirthing?))

22. Entschuldige dich bei jemandem, mit dem du überheblich oder abfällig über Bücher geredet hast. ((Von wegen, ich war noch viel zu nett!))

23. Lies ein Buch aus einem Land, in das du noch nie wolltest. ((Südamerika müsste einiges hergeben.))

24. Lies eine Gedichtsammlung von einem einzigen Autor. Von vorne bis hinten. Zweimal. ((Empfehlung der Woche: Jan Wagner: Regentonnenvariationen, Hanser Berlin, 2014.))

25. Verschenk das Lieblingsbuch aus deiner Kindheit auf deiner nächsten Babyparty. ((Das soll mittlerweile auch im deutschen Sprachraum gehen.))

26. Verschenk das Lieblingsbuch aus deinen Zwanzigern an deinen Lieblingsstudenten. ((Persönlich würde ich ja eine Studentin nehmen, aber wahrscheinlich wäre das in meinem Fall zu anzüglich.))

27. Lies ein Buch von jemandem, der ganz anders als du aussieht. ((Toni Morrison soll trotz Nobelpreis ganz gut sein, aber Alice Walker guckt auf ihren Bildern freundlicher.))

28. Lies ein Buch von jemandem, der dich in Jahrmillionen nicht verstehen würde. ((Aber ohne Geld für den Sarrazin auszugeben. Für Mein Kampf gibt’s seit 2016 Ausreden. Glaubwürdige.))

29. Lies eine Seite aus der heiligen Schrift einer Religion, in der du nicht erzogen bist.

30. Hör einen Podcast über Bücher.

31. Geh zur nächsten Autorenlesung in deiner Stadt, auch wenn du den Autor nicht kennst. Vor allem wenn du den Autor nicht kennst.

32. Schreib von Hand einen Brief an einen lebenden Schriftsteller, den du bewunderst. ((Aber bitte jetzt nicht alle auf einmal mit Fee Katrin Kanzler anbandeln, gell.))

33. Besuch das Grab eines toten Schriftstellers, den du bewunderst. ((Wer in <u<Wien oder Paris wohnt, ist im Vorteil. München geht noch.))

34. Fahr irgendwohin, das du nur aus Büchern kennst.

35. Brich einem Buch das Kreuz. Mach schon! Du kannst es!

36. Lies einen Superhelden-Comic. Vor allem nach einer Ewigkeit wieder oder zum allerersten Mal. ((Ich fürchte leider, der Sandman zählt hier nicht.))

37. Schau die Verfilmung von einem Buch an, das dir gefallen hat, und versuch sie um ihrer selbst willen zu mögen.

38. Lern ein Gedicht auswendig.

39. Lies das Buch wieder, das mit 16 dein Leben über den Haufen geworfen hat.

40. Rede mit jemandem über Bücher, mit dem du noch nie über Bücher geredet hast.

Soundtrack: Tracey Ullman: Kindle Killed The Library Book, 2016:

Anständige Hörbücher

Anständige Hörbücher sind nicht gekürzt. Auf anständigen Hörbüchern steht hinten ausdrücklich drauf: “Ungekürzte Lesung”. Ich traue keinem Leser außer mir selber, schon gar keinem Verleger, und erst recht keiner Hörbuchmacherei, die darauf angewiesen ist, ihre Textmengen in Längeneinheiten zu pressen, die vor Jahrzehnten auf die Beethoven-Neunte zurechtgequetscht wurde. Ich merk das schon selber, wenn eine Landschafts- oder Bumsbeschreibung zum Weiterblättern kommt.

Anständige Hörbücher sind Lesungen, keine Hörspiele. Die Luft wird dünn, seit Gert Westphal 2002 und dann 2015 auch noch Harry Rowohlt gestorben sind, weil Rufus Beck auch nicht alles alleine machen kann, aber Hörspiele sind was für Pumuckl-Fans, und das meine ich keineswegs so abfällig, wie es klingt. Dennoch sollten Hörspiele weiterhin produziert werden, weil sie dafür gut sind, in zwanzig, dreißig Jahren “Kult” zu werden. So wie jetzt im Moment die Kompaktkassetten über zweimal 45 Minuten, die über Monate aus Radioprogrammen zusammengestückelt wurden, um 9,95 D-Mark für Langspielplatten zu sparen, am besten noch mit Fragmenten von Fritz Egners Dazwischengequassel auf Bayern 3. Diese zwanzig, dreißig Jahre braucht es, um zu bemerken, dass früher mitnichten alles besser war, da sind Hörbücher kein allzu schmerzlicher Verlust, und irgendwem gefallen sogar die Mischkassetten von 1975.

In Zeiten, wo solche Kassetten “wegen des Siegeszuges der digitalen Audiotechnik in Industrieländern nur noch geringe Bedeutung” (Wikipedia) haben, aber die digitalen Siegeszöglinge, die sich als erwerbsmäßige “Youtuber” verstehen, in den Fernseh-Tagesthemen über Zuschauerschwund klagen, ist es auch wieder angebracht zu fordern: Anständige Hörbücher sind auf CDs, nicht auf Kassetten. Diese Ankunft von Problemen im Mainstream hat bestimmt wieder einen phatt poshen Namen, dafür hab ich das Hörbuch zum Aristipp mit immerhin Jan Philipp Reemtsma, jedenfalls so lange, bis es fällig wird. Aus einer Bücherei. Kennt heute auch keiner mehr, gell. Huch, wir schreiben 2017.

Bonus Track: Doch, ja, es gibt Philosophinnen. Und sie referieren über Katzenphilosophen:

Fühlingsolle

Jetzt, wo die Firma lange genug erloschen ist, kann man’s ja veröffentlichen: Die Anzeige aus den Nürnberger Kino-News (Rückseite, war bestimmt nicht billig) hab ich lange über meinen Arbeitsplatz in der Werbeagentur aufgenagelt, als Mahnmal zum Korrekturlesen. Außerdem war die kleine Schnelle auf dem Bild, die man bestimmt im Express treffen konnte (und wahrscheinlich sogar mal getroffen hat), ganz ansehnlich. Man schrieb 1994.

Fühjahrsmode reduziert, Bebop 1994

Bebop: Charlie Parker & Dizzy Gillespie: Hot House, April 1952.

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