Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Kategorie: Das Internet ist eh’ nicht das, was es noch nie gewesen war. (Seite 2 von 4)

Die Wahrheit über narzisstische Gründer. Geht pleite! Schnell!

Narzissten als Gründer: eine Katastrophe.

Narzissten als Gründer: eine Katastrophe. (Bild: Caravaggio, WikipediaCommons)

Der gemeine Gründer:

“So haben selbstverliebte Persönlichkeiten eine höhere Neigung Unternehmen zu gründen. Hochwertige Businesspläne stammen dagegen eher aus der Feder von Machiavellisten.”

(Sagt jedenfalls Uni Hohenheim: https://www.uni-hohenheim.de/pressemitteilung?&tx_ttnews[tt_news]=11030&cHash=63a29a21c77f34ab2ad21cf99d313e4e )

Und weiter darin:

“Narzissten und subklinische Psychopathen verfolgen wohl eher Geschäftsideen, da sie einerseits stärker nach Geld, Macht und Status streben als andere Menschen, und sie andererseits ihr stark übersteigertes Selbstbewusstsein an eigene, scheinbar überragende Fähigkeiten und Erfolg bei der Unternehmung glauben lässt.

Problematisch ist das deshalb, weil diese Fähigkeiten in der Realität nicht unbedingt immer vorhanden sind, warnen die Wissenschaftler. Vergleicht man die Leistungen von Narzissten und subklinischen Psychopathen etwa bei der Erstellung eines umfassenden Businessplans nämlich mit Machiavellisten, den „manipulativen Machtmenschen“, dann schneiden Narzissten signifikant schlechter ab. Während sich Machiavellisten durch eine eher realistische Weltsicht auszeichnen und sich auf ihr Ziel fokussieren, geben sich Narzissten keine sonderlich große Mühe, denn sie halten sich ohnehin für die Besten und meinen, im Wettbewerb keine großen Anstrengungen aufbringen zu müssen.”

So ist es.

 

80% der Gründer, die bei uns anrufen, sind:

1. SmartPhone-Bürscherl. Alle Geschäfte werden hochwichtig und nervtötend auf diesem Ding nach dem Motto “Don`t call us back, we call you” abgewickelt. Man hebt nie ab, alles geht auf AB. Die Rufnummer ist zu 50% unterdrückt, voll seriös Alter.

2. Businessplan zu 99% nicht vorhanden, wenn vorhanden: schlampig, dünn. Darin Abgeschriebenes aus uralten Sinus Milieues. Die Krönung war mal, dass einer aufschlug, da war nur seine Adresse drin. Sonst nichts. Den Rest sollte ich machen. Alter Schwede!

3. Sie und ihre Produkte sind dermaßen großkotzigartig, dass man sich wundert, warum sie überhaupt Werbung wollen. (“Der “beste Gin der Welt”, der “beste Wodka der Welt” … Keine Erfindung, genauso erlebt.)

4. Ein zusammengebasteltes Logo, Marke Hipsterstyle Neger im Tunnel ähm Schwarz auf schwarzem Grund hat man aber schon. Todalgeil nach der eigenen Bude bei euren Eltern, die ihr stolz voll stylisch in Schwarz-Weiß eingerichtet habt. Ihr habts einfach drauf!

5. Sie schlagen dann bei uns auf, zu versuchen, sich kostenlose Beratung zusammenzuhamstern. Auf die sie dann grundsätzlich nicht hören wollen. Und die sie zum Anlass nehmen, den Auftrag, den sie noch gar nicht erteilt haben, todbeleidigt zu entziehen.

6. Wenn doch nicht, dann versuchen sie, gefängnisreif, kriminell, uns aufzudrängen, ein astreines Duplikat einer bereits existierenden Marke zu herzustellen. Die hat so eine tollen Schmetterling im Kreis, mussmanunbedingtauchsohaben. Das me-too-Produkt ist ein Ding mit vollmundigen, unseriösen Versprechungen, die höflich ausgedrückt, vermutlich nicht recht EU-Healthclaim-gemäß sind und haben den geklauten Namen eines Produkts einer US-Kaffeehaus-Kette. Feudale Zeiten: der Grafiker als euer Domestike. Als Copycat-Ausführ-Schweinchen. Wie war das nochmal mit der Einzigartigkeit eures Produkts?

Leute, ihr seid dermaßen ahnungslose, hirnrissige, dumme, arrogante und selbstverliebte Zeit- und Nervenfresser. Schleichts euch ihr subklinischen Psychopathen mit eurem Gehabe und eurem Made-in-China-Phone-Geraffel. Geht pleite! Schnell!

Ich steh auf Leute, die Festnetznummern haben und in der Lage sind, sich anständig zu benehmen.

 

Wieviel?

Da hat’s uns die OECD aber wieder gegeben. Vor Jahren haben sie sich an wehrlosen Schulkindern auf der ganzen Welt vergriffen, jetzt trauen sie sich endlich was und halten den mündigen Bürgern ihre Blödheit vor.

Schon schlau: Diesmal kann man nicht so schön mit einem “PISA-Schock” beschreiben, dass da etwas schief steht, “PIAAC” kann überhaupt noch niemand aussprechen. Falls er lesen kann.

Und perfide dazu: Wer doof ist, verdient weniger Geld, und ist deshalb weniger wert und deshalb weniger glücklich, so unterstellt mir die OECD. Mir persönlich hätte man ruhig verschweigen dürfen, dass ich dümmer bin als ein durchschnittlich begabtes Grundschulmädchen von einer finnischen Stechmückenfarm. Das ist doch bloß wieder so eine von den Gewissheiten, die einen weder reicher noch wertvoller noch glücklicher machen. Und klüger schon gleich gar nicht.

Zum Beispiel verstehe ich nicht, wieso die OECD wieviel Abermillionen raushaut, um die Leute einen Deppen zu heißen. Wenn sie so einen Haufen Geld haben, wieso spendieren sie nicht ein bissel öffentliche Bildung? — Ach so, weil Schule Ländersache ist, ich vergaß. Logisch, ich kann ja auch keine Celsius auf Fahrenheit umrechnen.

Bleibt der Trost, dass in einem gescheiten Weblog Bilderchen drin sind. Besser weiß es ein hochbegabter Japaner zwischen 24 und 35 nämlich auch nicht, ätsch.

Soundtrack: Lisa Fitz: I bin bläd, 1972.

Auch schöne E-Mail:

Im Moment müssen Sie auf meine mündliche Zusage vertrauen. Ihr Vertrag wird Ende xx erstellt und wird voraussichtlich in der ersten xx-woche bei Ihnen im Briefkasten sein.

Wenn das nicht grad eine schriftliche Zusage war.

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Immer wieder schön, dass das Internet und allem voran die E-Mail immer noch nicht als schriftlich verstanden wird, sondern nur das Papier im Briefkasten.

Briefkasten der Post

 

Nachgelegt – Snowden revisited

Oh, ich denke, Snowden WIRD nachlegen.

Dem Geraune nach wird genau um das Thema “wahres Ausmaß der privaten Datenschnüffelei” nachgelegt. Ich bin gespannt.

Schon lange wusste man als satirehaft gescheitelte Existenz und als semi-gebildeter halb-IT-ler, dass ein “W-LAN ein mächtiges Instrument ist, die Festplatte ins Internet zu verlegen” (Hohn der Titanic schon vor Jahren).

Marienplatz München

Weiter mit Satire:
Eine Cloud ist auch nicht irgendeine diffuse Wolke, sondern eine Ansammlung von vielen schwarzen brummenden Kästen, call it Server. Die Datensammler müssen endlich nicht mehr alles mühsam zusammensuchen, sondern haben es schön ordentlich beisammen :-)

Bin vom Typ her nicht paranoid (eher unbeschwert so: “rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln”), doch das was gerade abgeht – und wir wissen noch nicht alles, macht mich wahlweise renitent oder überwachsam, und beides gleichzeitig.

Die Endwirkung bei den Bürgern wird sein: Keinen Respekt mehr vor gar nix, die einen – und wurschtegal, Ducken, die anderen. Die Möglichkeit einer demokratischen Pesönlichkeitsentwicklung ist somit im Verpuppungsstadium gestoppt.

Sehe das als Gefahr für demokratisch verfasste Länder. Deren Regierungen genießen bereits wegen der Bankenkrise nicht mehr das Vertrauen. Jetzt wird es noch schlimmer mit dem Misstrauen und deren Bürger haben auch noch Recht.

 

Filzeierwärmer

Kein Mensch braucht eine einzige andere Website außer Wikipedia, von mir aus sogar die große Lösung in allen Sprachen. Flickr und Vimeo sind schon Luxus. — Ja, Vimeo. Was denn sonst? Der feinste Zug von dem Dilettantenkonstrukt YouTube ist, dass es sich filmchenweise selber zusperrt. Hochgerechnet sind in zehn Jahren endlich alle YouTube-Videos “für dein Land nicht zugelassen. Das tut uns leid.”

Das Wirtschaftsleben bröselt so flächendeckend in sich zusammen, seit jeder eine eigene Website haben musste. Wahrscheinlich erinnert sich niemand mehr daran, weil die Dinger da noch Homepage hießen und seitdem der Soundtrack der Welt sowieso wie die letzte Spur auf The Wall klingt. Ohne dass eine Korrelation notwendigerweise eine Kausalität ist: Wenn niemand eine Website hat, dann braucht auch niemand anders eine. Dann kann endlich jeder seiner ehrbaren Arbeit nachgehen.

Sehe ich da den Herrn mit schwarzem Zwirn und Fassonschnitt nachsichtig grinsen? Höre ich ihn, wenn er heute sehr milde drauf ist (Brückentage!), mich herablassend belehren, dass man das “dem Markt” ja wohl sich selbst überlassen müsse, weil der bis jetzt noch alles allein geregelt habe?

Hat er eben nicht. Und wer von uns beiden der Zyniker ist, will ich nicht ausgerechnet mit ihm diskutieren. Das geht nämlich von meiner ehrbaren Arbeitszeit ab.

Wovor hast du eigentlich Angst? Du hast kein Problem, wenn du ein Reihenhaus mit Filzeierwärmern, ein Auto mit Kiesauffahrt und einen eingefahrenen Job hast. Du hast ein Problem, wenn du kein Reihenhaus mit Filzeierwärmern, kein Auto mit Kiesauffahrt und keinen eingefahrenen Job hast.

Was davon hast du mit Hilfe einer Website bekommen? — Na gut, die Eierwärmer. Aber das war über die Website des Herrn im Zwirn.

Q.e.d., und jetzt muss ich erst Facebook abfragen und dann Websites texten.

Dances with Models

Zwei Stunden auf Flickr herumgeklickt, und man kann getrost seine Zweifel beiseite legen, ob in der zeitgenössischen Kunst noch Qualität geschaffen werde: alles voller sehr junger, sehr schöner und sehr kluger Mädchen, die sich als Fotografinnen verstehen oder laut ihren Profilangaben so schnell wie möglich welche werden wollen.

Dafür empfehlen sie sich durch Portfolios, die für nicht weniger als professionell zu halten sind. Gerne bedient wird dabei das Genre des Selbstportraits, weil bessere Fotomotive als die eigene Person um den gleichen Preis für junge, schöne, kluge Mädchen nicht zu haben sind; gerne dokumentiert wird eine Neigung zu den traditionellen Freizeitbeschäftigungen Hoher Töchter (Lesen alter Bücher, Zeichnen von jungen, schönen, klugen Mädchen, Barfußlaufen nicht aus Armut, sondern aus innerer Verbundenheit zu märchenhaften Wäldern und landwirtschaflichen Nutzflächen, feengleiches Schweben im Raum pp.); die technische Qualität entsteht durch den Einsatz leistungsstarker Kameras, deren Preise praktisch mit jeder Stunde mehr verfallen, und Photoshop, dessen ältere Versionen es zumindest am Rande der Legalität für nix gibt.

Vor ein paar Jahren, als Myspace noch ein Thema war, gaben sich aufstrebende Schönheiten mit solchen öffentlichen Selbstdarstellungen noch Spott und Häme preis. Meist standen sie leicht oder gar nicht bekleidet im elterlichen Badezimmer und richteten am ausgestreckten Arm ein mobiles Telefon mit Fotofunktion auf sich. Das fanden sie möglicherweise cool oder erotisch oder jedenfalls geeignet als Ausdruck ihrer pubertären Gefühlslage, was man nachträglich gar nicht so gehässig niedermachen muss. In dieser kurzen Zeit hat sich nämlich ihre Professionalität auf eine Ebene erhoben, die man nicht mehr ignorieren kann.

Ob in Photoshop oder einer analogen Installation, finden die jungen Damen genügend Zeit, Energie und Sachkenntnis, Bilder von sich zu veröffentlichen, für die man in den 1990er Jahren noch ausgewiesener, weltweit gefeierter Starfotograf und Model Whisperer geworden wäre. Theoretisch kann sich heute jedes Lifestyle- oder Modemagazin aus privaten Flickr-Accounts bestücken, ohne sich zu blamieren. Dieses atemberaubend hochwertige Bildmaterial hat in der Herstellung nahe null gekostet, wird von Privatpersonen ohne Geschäftsinteressen (oft sogar ohne Geschäftsfähigkeit) bereitgestellt und kann deshalb nicht weit über null kosten.

Die Künstlerinnen erinnern allesamt an Existenzen wie die Figur von Scarlett Johansson in “Lost in Translation”. Der Film ist von 2003, da war Myspace eine große Halde für schnell dahingeknipste Handyfotos, die man nicht mehr beim Schlecker für Geld entwickeln lassen musste, und Scarlett Johansson war neunzehn.

2003 fand es Scarlett Johansson — jedenfalls im Film — so erstrebenswert wie Heranwachsende der Jahre 1913 oder 2013, einen “kreativen” Beruf zu ergreifen — zum Beispiel Fotografin. Frauen wie die Johansson oder Alexis Mire, Brooke Shaden oder Laura Zalenga und wie sie alle heißen sehen einfach gut genug aus, um aus dem Handgelenk ihre Füße zu fotografieren und dafür Lob und Ermutigung zu erfahren. Wollen wir es ihnen gönnen, selbst Frau Johansson wird bald dreißig.

Dem entgegen steht die Preisentwicklung für künstlerische Arbeit. Wer erst so einen “kreativen” Beruf ergriffen hat, versteht das in einem Maße wie die Preisentwicklung für künstlerische Arbeitsgeräte: stündlich weniger. Deswegen sehen kostenpflichtige kreative Arbeiten aus, wie sie aussehen: Es ist leicht, es ist billig, es ist Bettjäckchen wie Spitzenunterhose, wer sie — und bitte selbstverständlich immer “bis vorgestern” — dahingeknipst oder eingetippt hat.

Sind die Kameras heute dermaßen gut? Oder die Mädchen dermaßen hübsch? Oder die Arbeitsqualität dermaßen wurschtegal?

“Mach den Mund zu”, sagt meine Frau zu mir, “die Tastatur wird nass.”

Beckah, Love My Geek Glassesm 8. September 2011

Junges schönes kluges Mädchen dancing with herself:
beckah:): <3 my geek glasses!, 8. September 2011.

Besser als Porno

Aus unserer locker fortgesetzten Reihe: Ikonen des Web 1.0:

UbuWeb Film Header

Ist eine Zeit ohne YouTube heute noch vorstellbar? Und damit meine ich nicht eine Zeitspanne, in der man mal zufällig woanders hinsurft als zu Telefonaufnahmen, die “i was bored lol” heißen, sondern eine ganze Epoche — eine Zeit vor YouTube?

Vorstellbar vielleicht nicht, erinnerlich schon; YouTube ist keine sechs Jahre alt. Noch anno 2005 war es ein Ereignis fürs ganze Internet, wenn mal irgendwo ein Musikvideo zugänglich war, die liefen da noch auf MTV, im Fernsehen, wenn sich jemand erinnert . Dabei besteht das nicht genug zu lobende UbuWeb seit einer Zeit, in der außer ein paar ausgewählten, sehr wichtigen Angestellten der NASA kaum jemand wusste, was denn ein Internet sein soll.

In UbuWeb heißen die Filme höchstens aus dokumentarischen Erwägungen “I was bored lol”; Aufnahmekriterium ist seit jeher: Es muss entweder avantgardistische Kunst sein oder auf einer theoretischen Ebene von ihr handeln — egal ob es ein Film mit oder ohne Ton ist, eine Tonaufnahme mit oder ohne Bild oder ein geschriebener Text. Oft genug verschwimmt die Unterscheidung oder wird gar nicht erst getroffen. Wozu auch, ist ja Avantgarde.

Eine bestimmte — oder besser: ziemlich unbestimmte Klientel konnte sich dort schon immer (in Internetkategorien ist seit 1996 sehr wohl “schon immer”) nächtelang herumtreiben, um festzustellen: Herrschaftzeiten, in diesem Internetdings gibt’s ja wirklich alles. Ein Eindruck, den man bis heute in jeder langen Nacht mit dem UbuWeb aufs neue gewinnt. Allein der eine ungekürzte Orson-Welles-Film, den es bis heute nicht auf DVD gibt, dauert abendfüllend, da fühlt sich eine durchglotzte Nacht an wie einmal Ein- und Ausatmen.

Wie sie das machen, da beim UbuWeb? Sehr einfach: Sie machen es. Nehmen, was da ist und was reinkommt, digital einrichten, verlinken, fertig. Nichts anderes, als was YouTube auch macht, abzüglich das heil- und endlose Kindergartengezänk um das Recht, vorhandenes legales und einwandfrei zugängliches Kulturgut anzuschauen.

Die interessantere Frage wäre demnach: Wie sie das machen, da beim UbuWeb: dass sie unbehelligt Fime veröffentlichen, ohne jemals dafür belangt zu werden? Braucht doch, wer regelmäßig Fime auf YouTube hochladen will, die etwas anderes als bored sein und auch so aussehen sollen, eine Kriegskasse, die einem seiner Monatsgehälter entspricht.

Der UbuWeb-Betreiber, der berufsmäßige Lyriker Kenneth Goldsmith, zahlt rund 50 Dollar im Jahr: für die Domain-Miete. Nebenkosten: sein privater Internetanschluss. UbuWeb, das muss man sich mal geben, war von seinem Anfang an eine One-Man-Show, ist immer die unangefochtene Autorität in seiner Long-Tail-Nische geblieben, kostet kein Geld, trägt keins ein und wird 2014 volljährig. Dafür muss Goldsmith sich auch keine Werbeeinnahmen antun, denn was sollte er gegen den Aufwand der Kundenakquise und -pflege wohl finanzieren wollen — aller zehn Jahre eine neue Maus für drei fünfundneunzig? So viel zahlt meine Oma auch, und die kauft ihre Kartoffeln einzeln, muss vor über zwanzig Jahren wegen Unergiebigkeit aus den Karteien sämtlicher Adressenhändler rausgeflogen sein und glaubt, Amazon ist ein Fluss in Afrika.

Wer so fragt, fährt am besten, indem er nachschaut, wer daran verdient. Komplizierter wird es nie. Und an UbuWeb verdient exakt: niemand. Deswegen lässt man Herrn Goldsmith machen. Jedenfalls erklärt er sich das in Interviews so, warum sollte jemand noch misstrauischer nachfragen. Avantgarde ist froh, wenn sich überhaupt jemand für sie interessiert. Sie ist da, um wahrgenommen zu werden, bella gerant alii.

Zum UbuWeb fällt mir nur ein einziges vergleichbares Online-Projekt ein; und wenn Sie mir versprechen, nicht gar zu lange sarkastisch zu grinsen, verrate ich Ihnen, dass ich da an YouPorn denke. In dem soziologischen Interesse, das man dieser von Anfang an polarisierenden Plattform entgegenbringen kann, ist sie durchaus avantgardistisch: Da haben Scharen von Zielgruppen, um nicht zu sagen: erwachsenen, geschäftsfähigen, wahlberechtigten Menschen in großem, ja weltumspannendem Stil angefangen, sich selbst und gegenseitig bei ihren intimsten Beschäftigungen zu filmen und vor aller Welt sichtbar zu machen, und zwar in einem Rahmen, den ein nicht steuerbares, weil kaum wahrnehmbares Publikum benutzen kann oder nicht, wofür es will, und von dem vice versa niemand je erfahren wird, nach einem Gusto, das es kaum selbst willentlich steuert. Das ist innerhalb weniger Monate geschehen, aus dem alleinigen Grund, dass es technisch kinderleicht wurde — was man nicht gutheißen, aber als Tatsache hinnehmen muss.

Die Vorteile von UbuWeb gegenüber YouPorn sind: Niemand will sich dort an seiner Exfreundin rächen, niemand will dort “Angebote” hineinjubeln, die Bezahlung für undurchsichtige Gegenleistungen begehren, und jugendgefährdende Inhalte sind mir auch noch nicht aufgefallen — außer dem fiesen “chien andalou” von Buñuel und Dalí, das ist der mit dem Auge, igitt. (Übrigens ist die Grausigkeit “Un chien andalou” sogar auf YouTube erlaubt, was ja schon einiges heißen will, und Pornos mit Minderjährigen sind auf YouPorn verboten, wie immer und überall woanders auch, und beides ist gut so.)

Und vor allem: UbuWeb bleibt für alle Beteiligten wirtschaftlich neutral, weil man es so sein lässt. Der geistige Gewinn entsteht genauso: indem man ihn entstehen lässt. So geht’s also auch.

Wenn die Nacht mal wieder lang und die Internetverbindung flott ist, empfehle ich seit über einem biblischen Jahrzehnt UbuWeb. So toll kann ein Porno gar nicht sein.

Bild: UbuWeb Film & Video aus Un chien andalou, 1929.

Artgerechte Haltung

Kapuzinerkloster Isarvorstadt, Innenhof

Das Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses e.V. (ifp) ist in einem ehemaligen Kapuzinerkloster mitten in München beheimatet. Quelle Wikipedia Creative Commons, Author Ulla Schmitz

Kapuzinerkloster Isarvorstadt, Innenhof

Irgendwo in den Tiefen der Blogosphäre

hat es mir mal den Vorwurf “Heuchlerin” eingetragen, als ich auf einem fremden Blog fand, dass es eine gute Sache sei, ob man jetzt Veganer sei oder nicht, sich zusätzlich für Animal’s Angels einzusetzen. Weil ich fand: Alleine vor sich hin vegetarisch oder vegan zu leben reicht nicht ganz aus, wenn man wirklich das Leid der Tiere verringern will.

Denn das vegetarische Dasein eines Teils der Bevölkerung kratzt trotzdem nicht die, die mies mit den Tieren per Massentierhaltung und Massentransport umgehen. Das kratzt trotzdem nicht die homines oeconimici, die den wachsenden Fleischhunger außerhalb unserer Landesgrenzen mit möglichst minimalen Kosten = maximalem Erlös brutal und ohne Gefühle ausnützen.

Weltfrust versus Achtsamkeit

Egal, woher der Forist sich das Recht nahm, persönlich zu diffamieren: Empathie, Mitfühlen mit den Wesen auf dem Erdball war es wohl nicht. Persönlich diffamieren ist eher die Lust, sich ein Ventil im Internet zu schaffen, um seinen allgemeinen oder persönlichen Lebensfrust loszuwerden.

Artgerechte Haltung sollte doch eigentlich beim Menschen beginnen. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wenn man sich selbst nicht mag, wer gar voller Selbsthass ist, kann seinen Nächsten auch nicht leiden. Wie man mit sich selbst umgeht, lässt demnach auf ebensolchen entweder respektvollen oder schlimmen Umgang mit Menschen und Tieren schließen.

Es hat sich zwar einiges geändert seit der vorletzten Jahrhundertwende, wenn man an die miesen Produktionsbedingungen für die Arbeiter in der Gründerzeit denkt.

Doch ganz ist es aus den Arbeitsleben nicht verschwunden, dass Menschen unter unzumutbaren Umständen arbeiten müssen. Großraumbüros mit üblem Neonlicht, die allein schon deswegen stressen, sind noch das Wenigste. Ein Luxusproblem – verglichen mit den Zuständen in globalisierten Produktionsstätten.

Es muss um die Zeit der New Economy gewesen sein

Mir hat  – erneut Luxusproblem natürlich – die Art des Umgangs meiner letzten Ex-Cheffin mit ihren Mitarbeitern nicht gefallen. Sie hat ihre eigenen Leute vor ihren Kunden in die Pfanne gehauen. Alle. Sie hat nach erschöpfenden Pitches, wo die Arbeit unter Zeitdruck jedesmal bis in die Nacht ging, an den Tagen danach keine Freistunden erlaubt. Sie hat Zusagen nicht eingehalten. Sie hat nachts um elf den für den Pitch eingekauften Freelancern vorgeworfen, sie würden unnütze Zeiten schinden. Dabei warteten sie auf sie, auf ihre Textlieferungen, mit denen sie sich ganz schön Zeit ließ. Damit sie endlich in die Layouts eingefügt werden können, die am nächsten Tag frühmorgens präsentiert werden sollen.

Das volle Programm. Die Lady war eine Pest. Wenn schon Neonröhren, dachte ich mir, dann doch wenigstens mit Menschen, mit denn man vereint an einem Strang ziehen kann. Und nicht mit Menschen, die einem auch das noch vorwerfen.

Jeden Tag sehen müssen, wie es anders geht

Mit sehnsuchtsvollen Gedanken nach Ruhe, Einkehr und gutem statt stressigem Umgang miteinander fuhr ich jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit an einem Kapuzinerkloster vorbei. Da wäre ich jetzt gerne, dachte ich. So weit war ich schon als aus der Kirche Ausgetretener, mich in ein Kloster zu wünschen, um der Pest zu entgehen.

Ich wünschte mir dringend artgerechtere Haltung.

Umsetzung

Wenig später kündigte ich. Ich versuchte anschließend, mich selbst artgerecht zu halten. Mein eigenes Büro hat einen schönen Kamin und keine Neonröhren. Wenn ich mal nachts bis früh um fünf durcharbeite, gönne ich mir das Ausschlafen. Ich gönne mir freundliche Kunden. Miesepeter, misstrauische 200%-Optimierer und Indien-IT-Outsourcer not welcome. Ja, und Tiere im Büro sind unabdingbar. Moritz ist Betriebsklima pur.

Katze Moritz auf dem Bett

Grüß Gott, ich bin das Internet und hätt da mal eine Frage.

Du musst nur die Laufrichtung ändern, sagte die Katze zur Maus und fraß sie. (Franz Kafka)

 

Aber gern.

Internet:
Welche Angebote/Leistungen
möchten Sie denn im Internet gerne besser verkaufen/anbieten?

Ich:
Keine.

Internet:
Wie jetzt.

Internet-Kunden sind untreue Jäger, die Jagd am iPad ruft.

Moritz, der Mausejäger, schaut misstrauisch

Sie wollen eiligst nur eine einzige Sache: Mäuse. Mäuse verdienen, oder Mäuse sparen. Obwohl die hektische Jagd sich oft in Luft auflöst. Weil die Hälfte der Räuber dazu neigt, mitten in der Jagd zu vergessen, was sie eigentlich wollten und es sich am Schluss mit dem Bezahlen richtig gemütlich machen.

Ihre E-Mails, in denen sie vorher ihre Anfragen fehlerhaft reinwischen (an die sich sich nur 1 Tag später kaum erinnern, katzoide General-Amnesie), um sich was zu krallen, sind kryptisch und von einem Analphabeten geschrieben. Unterzeichnet mit dem 80er-Jahre-Schnörkel ‘mfg’. Auf dem iPhone immerhin, gewischt und nicht getippt. Soviel Angeberei muss sein.

Du Internet, bist eine Katze im Morgenmantel vor dem Rechner. And cats are queer articles.

Internet:
das ist super ferruckt LOL hahaha
mfg.
send from my i-phone

Ich:
Typisch.

 

Der Tanz der Tinte, der speckige Glanz des Wischfingers – Gottes Werk und Teufels Beitrag.

The worst thing you write is better than the best thing you didn’t write.
-Unknown

Baumstamm ohne Krone_dunkler

Schreibst du noch oder wischst du schon? Das trifft es fast zu kurz, denn wir gehen um unserer condition humaine willen noch einen weiteren Schritt zurück, ach, eigentlich vorwärts: Wir schreiben mal wieder was frei mit der Hand.

Was es da zu entdecken gibt.

Kimonofrau und Spirale

Dann darf auch gerne statt zur Breitfeder zum Pinsel gegriffen werden und ein Kimono dabei herauskommen oder ein Drachenwind.

Ach, man ist doch versucht, das Smartphone wegzuwerfen, denn es ist kaum so kommunikativ und ausdrucksvoll. Und ästhetisch ist das (Weg-)Wischen auf den rundgelutschten hochglänzenden Fliegenklatschen auch nicht wirklich, eher die Reflexbewegung von Burnout-Sklaven – Ex und Hopp, das Gegenteil von Zen. Was meint der Leser.

Buchempfehlung: Tintentanz – Die Ausdruckskraft der eigenen Handschrift entdecken.

Antiktusche von Rohrer und Nachtblau von Manufaktum

Vorsicht Auftrag! Das QUALITÄTS-Internet.

Die enorme Steigerung der Qualität der Anfragen
seit es dieses ähm Internetz gibt.

 

Anfragen, die ich im Stundentakt so bekommen habe:

Kreativer Design-Auftraggeber:

„… habe ich schon ein Bild im Kopf, wie das Logo aussehen könnte! Und zwar ein nach unten geöffneter Magnet wie das A von Axxxxx und Attraktivität und ein B wie Bxxxxx wie ein um 90° gedrehtes Herz.“

Im Grafikerhirn ein gordischer Knoten am Entstehen ist.

 

Smart II

„… bewundere ich Ihr Lebenswerk, d.h. die Agentur und ihr ganz nebenbei liebevoll gepflegtes, originelles Logbuch!“

Ich will Ihnen gleich eine nutzlose Sache aufschwatzen!

 

„… biete Ihnen emotionale, inspirierende Texte an. Dafür machen Sie uns das Logo zu dem Portal kostenlos.“

Liefere Ihnen hohles Geschwalle.

Wenn dafür dieses irrwitzige Hunde-gegen-Torten-Portal, das keinerlei Monetarisierungsansatz aufweist, nicht fliegt, welches ich als Projektarbeit von meinem Professor aufgebrummt bekommen hab, sind Sie mit Ihrem Logo schuld.

 

Smart III

„Auch wenn es nur eine technische Umsetzung ist, will ich auf gar keinen Fall dafür Design-Nutzungsrechte zahlen. Löschen Sie speziell für diesen Auftrag die Nutzungsrechtsbestimmungen in Ihren AGB!“

Übers.: Ich habe die Anwartschaft auf Kunde aus der Hölle und du kannst gar nix dagegen machen!

[Anm. d. S.: Für rein technische Umsetzungen sind eh keine Nutzungsrechte zu vergüten. Wozu dann umständlich in den AGB die Nutzungsrechtsabsätze entfernen, wenn sie ersichtlich eh nicht greifen.]

 

Klever aber nicht klever genug IV

„Lassen Sie uns kooperieren/Synergien nutzen.“

Sie Print-Grafikerwurm, von dem wir Supertekkies annehmen, dass Sie sowieso kein gescheites Webdesign können, leiten an unsere IT-/Internet-Solutions-Com-Sys-Firma Ihre nichtsahnenden Auftraggeber weiter. Wir gedenken aber unsererseits nicht, Ihnen eine Gegenleistung anzubieten.

Reloaded: Du sollst etwas für uns tun. Aber wir tun sicher nichts für dich.

Ohne dieses ähm Internetz wüsste man gar nicht mehr, wie man noch leben und arbeiten sollte. Gebe Kalleblomquist insgeheim recht:

„Wissen Sie was sie produziert haben? Dicke Goldadern von Kundschaft die – von putzigen Katzenbildern über von Homosexuellen gefickte Kinderärsche bis Betroffenheit über spanische Mieter und böse Banken – alles “liken” und sich gleichzeitig einen Scheiss um irgendwas kümmern. Glückwunsch und viel Spass beim Malochen in den Scheisseminen der Aufmerksamkeitshölle!“

Übesetzung diesmal nicht notwendig.

Quelle: http://rebellmarkt.blogger.de/stories/2158955/#2159068

 

Wer .kf8-Dateien löscht, muss keine Bücher verbrennen

Update zu À la recherche de l’Ivar perdu:

Auch sowas, das vor zwanzig Jahren undenkbar gewesen wäre: Man trifft nahezu täglich ausgelesene Bücher im Mülleimer.

Um den Verhandlungsweg zu Godwin’s Law abzukürzen: Wahrscheinlich verschwinden die Bücherverbrennungen inzwischen aus dem kollektiven Gedächtnis; Bücher mit ihrer darin festgeschriebenen Meinungsfreiheit sind nicht mehr das schützenswerteste aller Kulturgüter, sondern etwas unpraktische Lesegeräte, die vergilben.

Ob das schlimm ist? Zumindest ist es ein entspannter Umgang mit Medien. Illegal ist es vermutlich nicht, da muss man als Mediennutzer schon dankbar sein. Außerdem weiß ich noch, wie man seinerzeit ums Abendland fürchtete, als die Schallplattenläden von LPs (das waren pizzagroße Tonträger aus Polyvinylchlorid mit besonderen Soundeffekten) auf CDs umstellten. Dabei war das reines Entgegenkommen: CDs musste man nicht nach der Hälfte ihrer Laufzeit umdrehen, und durchs Aufnehmen entstanden keine neuen Soundeffekte.

Die Bücher im Abfall finden sich immerhin meistens im Altpapier. Und Strg + F vermiss ich bei denen schon lange. Aber ich schau trotzdem erst mal, ob Kindle-Versionen länger lesbar bleiben als die weiland Disketten, so viel zu lesen hab ich noch.

Übrigens: Wer eine wirklich echte, originale, unwidersprechlich fälschungsfreie und antiquarisch tragfähige Goethe-Erstausgabe besitzen will, soll mal nach Wilhelm Meisters theatralische Sendung suchen. Die ist nämlich erst 1911 rekonstruiert, gilt aber als eigenständiges Werk von Goethe. Hab ich gerade, ohne übertrieben angestrengt zu suchen, für 15 Euro gefunden, und zwar von 1911, keinen der lizenzfreien Nachdrucke von Aufbau und Reclam. Es ist eine Lust, im 21. Jahrhundert zu leben.

Es müsste immer Musik da sein

Weißt’, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem, was du machst. Und wenn’s so richtig scheiße is, dann is wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo’s am allerschönsten is, müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment.

Frank Giering als Floyd in Absolute Giganten, 1999.

Noch 2009 musste man nicht lange überlegen, um die Piraten zu wählen, da genügte das Herz am richtigen Fleck. Inzwischen sind sie in mancher Hinsicht wie die CSU geworden: Ob man denen heute noch seine kostbare Wählerstimme verschenken würde, wird man sich ein paarmal überlegen, wenn man den falschen Job hat. Schließlich kann man auch nicht das Kapital wählen, solange man selber arbeiten muss.

Hab ich das richtig verstanden, wie war die Hauptforderung der Piraten? Alles geistige Eigentum soll abgeschafft werden, im Ernst? Ist das eine Art Kommunismus zwonull oder das Gegenteil oder irgendwas Drittes?

Auf dem Stand von 2009 wie von 2012 versteh ich jeden, der Geld sparen will, zum Beispiel dann, wenn er sich Musik anschafft. Die Musik dann von geeigneten Stellen des Internets herunterzusaugen kann da durchaus eine Lösung sein, da vermeidet man einen Haufen Plastikmüll, den man mit den CDs immer mitkaufen musste.

Und das muss, wenn ich die pirateske Argumentation recht verstehe, alles gratis sein, weil geistiges Eigentum die Freiheit einschränkt? Wessen Freiheit? Die Freiheit wovon und wozu? Die Freiheit des YouTube-Kommentierers von Gegenleistungen und zu … keine Ahnung … zum Kommentieren auf YouTube halt, lol, ggg?

Die Tätigkeiten der Musiker, Schreibenden und aller Sparten der visuellen Gestaltung sollen demnach ausschließlich als Hobby existieren. Außer, wenn einer ein Radio reparieren kann, der darf noch schmutziges, unfrei machendes Geld dafür berechnen. Mal sehen, wie lange er das den Piraten noch vermitteln kann. Bis das Radio von Frau Weisband kaputt geht bestimmt.

Das Gute an der Idee ist vielleicht ihre Konsequenz: Je mehr das Musikhören theoretisch vereinfacht wird, desto illegaler wird es praktisch. Dann doch lieber gleich die Geldkomponente rausnehmen, das mindert den Streitwert. Und um nur noch Musik vorzufinden, die von ehemaligen Kunstschaffenden auf Hartz IV in ihren letzten nüchternen Momenten hergestellt wurde, muss man wirklich süchtig auf das Zeug sein.

Jeder, der ein bissel auf dem Kamm blasen und auf dem Telefon Geräusche speichern kann, ist ab sofort Musiker. Die ganze Welt wird ein einziges Myspace: Alle dürfen Musik machen und keinen muss es interessieren; jedenfalls die Teile der Welt mit Handyempfang. Und die alten Beatles-Platten gibt’s endlich geschenkt. Und ledergebundene Eichendorff-Gesamtausgaben. Und das verschwommene Geknipse von Gerhard Richter. Und Webdesign erst! Schon klasse. Und der CSU wie den Piraten verweigere ich Neidhammel mich sowieso nur, weil ich dann endlich was Gescheites lernen müsste. Radios reparieren hab ich schon immer bewundert.

Leid wird’s mir außer um Musikschaffende noch um Musikhörende tun: Nicht so sehr, weil sie, grenzenlos vom geistigen Eigentum befreit, das Gesäusel gnadenlos hübscher hoher Töchter anhören können, die nicht so auf eigenen Gelderwerb angewiesen sind; vielmehr weil im Shuffle-Mode kein Mensch mehr merkt, von wem er gerade die Ohrstöpsel vollgesungen kriegt. Das kann ein Verlust sein: Es liegt ein Bewusstseinsunterschied darin, ob John Lennon auf Two Minutes Silence toujours den Mund hält oder ein von John Cage angewiesenes Orchester auf 4’33”. Meeresrauschen klingt ja auch zum Verwechseln wie Autobahn, hat aber mehr Fans, wenn man ihnen sagt, dass es Meeresrauschen ist. Und die CSU … Na, Sie können folgen. Alles wie auf Myspace: Weil’s wurscht ist.

Sind Leer-Cassetten der Tod der Schallplatte, Bravo, August 1977 via Cliphead. Audiovisuelle Fundstücke, 12. April 2010

Geistiges Eigentum: Sind Leer-Cassetten der Tod der Schallplatte? in: Bravo, August 1977
via Cliphead. Audiovisuelle Fundstücke, 12. April 2010.

Ein Sack voller Glückskekse

Und ich dachte schon in den 1990er Jahren, dass dieses Jahrzehnt nie revived werden könnte, weil 1989 bis 2001, solange “die 90er” dauerten, alle Welt mit Revivals vorausgehender Jahrzehnte beschäftigt war und deshalb nichts für anstehende Revivals übrig lassen konnte.

Und jetzt, im ausgehenden 2011, kriegt man von Menschen mit Abitur kindergläubige Kettenmails geschickt wie 1998, als kaum die NASA fassen konnte, wie leicht sich die Leute verarschen lassen.

Das Neue daran ist, dass es jetzt um China geht statt um die keltischen Nachbarn von Stonehenge. Gleich geblieben ist die Qualität der Übersetzung wie aus dem weiland Altavista-Babelfish. Ich entzerre das Layout aus der HTML-Mail (dachten Sie etwa, Retro funktioniert authentisch über Facebook? Nächstes Jahr vielleicht) und belasse die Rechtschreibung:

Die Chinesen nennen dieses Phänomen “ein Sack voller Geld”: Dieses Jahr haben wir vier außergewöhnliche Daten: 1.1.11 / 1.11.11 /11.1.11 / 11.11.11. Zudem hat der Monat Oktober dieses Jahr 5 Sonntage, 5 Montage und 5 Samstage – Das ist nur alle 823 Jahre der Fall. Wenn Du die letzten beiden Zahlen Deines Geburtsjahres mit dem Alter, welches Du dieses Jahr geworden bist zusammenzählst, erhältst Du die Zahl 111. Diese Zahl ist dieses Jahr für alle gleich und das bedeutet das Jahr des Geldes!!! Diese Jahre sind hauptsächlich als “Besitz von Geld” bekannt. Dieses chinesische Sprichwort sagt, dass du dies 8 guten Freunden weitersagen musst und das Geld kommt in den nächsten 4 Tagen, wie es durch das Feng-Shui erklärt ist. Diejenigen, die es nicht weiterleiten, erhalten auch kein Geld. Testet das mal – es ist zwar unglaublich, aber warte ab.

Um die letzte Jahrtausendwende verbreiteten sich die C++-Programmierer und Star-Trek-Fans darüber, wie viele Tage es anno 2000 doch geben würde, die aus Nullen und Einsen bestehen, was erst in 101010 Jahren oder so erst wieder der Fall wäre. Man versammelte sich im Englischen Garten zur letzten Sonnenfinsternis des Millenniums und musste immer erst ein bisschen überlegen, mit wie vielen l und n man “Millennium” schreibt.

Hätten Sie je geahnt, dass unser aller Vergangenheit sage und schreibe birnenförmig ist?

The time for me to wake

Als damals dieses “Web 2.0” endlich durch war, setzte die Tätigkeit des Networking eine charmante Patina an wie das Füttern und Ausmisten von Tamagotchis. Trotzdem bin ich immer noch ganz gern mit gewissen Facebook-Erscheinungen “befreundet”, weil hey: Kim Shattuck ist schließlich Kim Shattuck, das muss einer erst mal hinkriegen.

Gerade heute früh hat meine prominente, sehr enge amerikanische Freundin Kim (aua…) ein Video mit sich selbst gefacebookt, bei dem ihr schon selber ganz nostalgisch wird. Dabei ist das Ding von 2001, die CD von 2002 und über die üblichen Tricks (Amazon.com statt .de) eben doch nicht ganz vergriffen.

Vor wenigen Weihnachten, als man das Ding noch über Amazon.de erwischen konnte, hab ich fünf davon gekauft. Es war sehr liebevoll und mit sichtlichem Spaß gemacht: auf einer Extra-DVD alle Videos, das macht kaum eine Platte. Alle verschenkt (hallo Mäuserich) und keine mehr für mich. Und die Band war absichtlich nur für die eine Platte konzipiert, da schmeckt von vornherein alles nach Abschied. Sehr “Web 2.0”, gell?

Danke, Kim, für den Schuss Nostalgie, der kein Jahrzehnt zurückschaut.

Video: The Beards, i.e. Lisa Marr, Kim Shattuck and Sherri Solinger: My Pillow, from: Funtown, 2002.

PS: Videos embedden? Nein, lass mal gut sein, das zahlt uns unsere prominente, sehr enge amerikanische Freundin nun auch wieder nicht.

Nochmal zum Mitsingen:

Eine Korrelation ist nicht zwingend eine Kausalität.

Ferner ergeht Empfehlung für ein Urgestein des Internets: Der Neue Physiologus. Enzyklopädie der Erfahrungen ist so spannend und lehrreich wie am ersten Tag, wahrscheinlich nur noch größer. Bringen Sie viel Zeit mit. Zwei Stunden sollten es schon sein. Ach was, nehmen Sie zwei Wochen. Da steht nämlich der Gegenwert ein Buches drin. Buch, Bücher, des Buches: Das war mal so eine Art Kindle-Ausdruck, wer’s noch kennt. Schönes Wochenende.

Bild: Frühe Morgenstunden nach dem Vatertag 2011; groß.

(Update zu Bei meinem Leisten, 9. April 2010.)

PS: Leider muss ich aus juristischen Gründen an dieser Stelle vermerken, dass das Bildmaterial meinem eigenen Copyright unterliegt, weil ich keine 8000 Euro zuviel hab. Die Bilder sind zur Gaudi auf meinem Flickr-Account, die schenk ich Ihnen.

Wie den jungen starken Wolf, der dem Ruf der Wildnis folgt

Die Apachen erzählen sich von einem Mann, der eines Morgens beim Aufwachen einen Falken über sich fliegen sah, aufstand und ihm hinterherlief. Nach seinem Tod giftete seine Frau ihn in der Geisterwelt an, warum er denn damals nicht zurückgekommen sei. Wahrheitsgemäß antwortete er: “Na, der Falke ist immer weiter geflogen.”

Oder waren’s die Hopi? Gleichviel: In jedem Manne, vielleicht sogar in jedem Menschen wohnt der Drang, sein oder ihr Leben mit etwas anderem zuzubringen als er oder sie es gerade tut. Einem Falken hinterherzulaufen bedeutet, ein paar Millionen anderer Sachen zu unterlassen; Werbung zu treiben bedeutet, weder einem Falken hinterzulaufen noch die Olympiahalle zu rocken noch Jessica Alba beizuschlafen. Und das sind wenige Beispiele von Abermillionen.

Was den Menschen davon abhält? Es sind die ewig gleichen Dinge: Man hat doch jetzt schon was anderes angefangen, das man lieber nicht liegen lässt, die Frau gibt Widerworte, und Jessica Alba könnte unter Umständen ein ganz schön verwöhnter Zinken sein. Man bleibt also zu Hause, schaut vorüberziehenden Falken hinterher und bescheidet sich. Das ist immerhin nicht die dümmste von all den Millionen Möglichkeiten.

Man betrachte allein, was es alles zu bloggen gäbe: unsachgemäße Tiertransporte, Vorbereitungen von Angriffskriegen, die Auswahl der YouTube-Filme, die man noch anschauen darf, die Zuverlässigkeit der Kölner Ausgabe von Heinrich Böll, you name it. Was dagegen unternimmt man wirklich? Schreibt Bücher darüber, wie man seinen Facebook-Account kündigt, ja gar sein Internet abschafft. So sehen die Heldentaten der Gegenwart aus: wie Unterlassungen. Die Welt nach Web 2.0 gleicht dem Falken, der auf dem Singenden Draht ausruht.

Süddeutsche-Artikel Vroni hingeschoben. Zurückbekommen mit dem Bleistifteintrag darunter: “*zustimm*” Moritz hat sich darunter verewigt: “*lol*”. Recht hat er.

Pausenkasper: Tom Astor: Flieg junger Adler, 1990.

Does anybody remember laughter?

Virale Videos gibt’s also immer noch: The Online Engineer wollen nicht, dass ihr Video geguckt wird, einfach so, weil they were concerned about what the video showed, aber alle gucken. Wir werden es weder einbetten noch Ihnen empfehlen, es auf Ihre Festplatte zu rippen — nur, es so lange zu gucken, wie es noch da ist, und zwar auf Vollbild. Es dauert knapp 8 Minuten, einschließlich hinterher den Angstschweiß von den Händen waschen 10.

Der Schreiber fürs Leben

Heute gelernt: Wenn sie Kolbenfüller heißen, kann man die Tinte direkt reindrehen, wie man’s bei Onkel Dagobert und Dickens-Verfilmungen gelernt hat, und muss sich nicht mit den widerlichen Plastikverschleißteilen namens Konverter innerhalb eines Geräts herumschlagen, das zwei Monatsverdienste kostet. In einem früheren Leben hat mir meine Frau Mutter, deren Tage der HErr, der über uns wohnt, mehren und schirmen soll, einen goldgefiederten Waterman geschenkt, und wenn man Tinte drin haben will, was macht man da? Schraubt den Konverter (was konvertiert der eigentlich? Tinte rein, Tinte raus, da konvertiert sich überhaupt gar nix) raus und versaut sich die Wolfspfoten. Bin mal im gehobenen Schreibwarenhandel, ein Pelikan Souverän M 400 darf’s ruhig sein. Deutsche Wertarbeit, und die Erbin hat was zum Erben. Montblanc ist so vermessen, außerdem schreiben die sich aus lauter Corporate Spelling seit der Steinzeit falsch. Soll ich Geha-Patronen mitbringen?

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