Den Mai durch haben sie die Musikabteilung der Gasteig-Bibliothek ganz erheblich umgeräumt. Sie will laut Eigenbeschreibung immer noch “die größte kommunale Musikbibliothek in Deutschland” sein, macht neben der größten Klassikabteilung der Welt, der beim Beck am Rathauseck, eine ganz ordentliche Figur, liegt immer noch im Keller, und sogar das elektrische Klavier zum Ausprobieren der Partituren ist noch da, aber nach Münchens einzigem zugänglichen Exemplar der Ästhetischen Theorie von Adorno muss man jetzt ganz schön schatztauchen, dafür findet man sich in den DVDs mit den Opernmitschnitten endlich zurecht. Auch schön.

Eine Inszenierung von Robert Wilson ist da, der Orphée vom Ritter Gluck, Pariser Fassung auf Französisch. Das ist fein, die hab ich immer gemocht, weil die Sorgen von Orpheus nicht erst seit seinem glücklosen Auftritt in den Sandman-Comics an irgendwas Uriges in mir rühren — meine erste Oper, die ich nach dem ganzen Operetten- und Eindeutschungsdesaster auf Vinyl in meinem elterlichen Haushalt als Gesamtaufnahme selber gekauft hab, aber nie gesehen. Außerdem mit der kleinen schnellen rothaarigen Patricia Petibon, eine der wenigen liebenswerteren Sopranetten, Jahrgang ’70, so sind sie, die Französinnen, als was sonst denn als L’Amour. Nix wie für zwei Wochen eingesackt (nicht verlängerbar).

Zur Einstimmung, weil ich über Robert Wilson nicht viel mehr weiß, als dass er mal den Black Rider von Tom Waits in seine gültige visuelle Form gebracht hat, muss man den natürlich erst mal feste googeln — um herauszufinden, dass genau dieselbe Inszenierung seit Jahren auf YouTube rumsteht. Sogar mit allem nötigen Gemoser der Kulturchecker drunter, dass Orpheus auf Französisch ja wohl mal gar nicht geht, wie immer das im englischen Wortlaut heißt, und wenn man eine Inszenierung von Robert Wilson gesehen hat, hat man alle gesehen.

Mein eigener innerer Kulturchecker findet es dagegen recht angemessen, dass eine Pariser Fassung egal wovon auf Französisch stattfindet, und eine wiedererkennbare Handschrift nennt man unter Freunden nicht “alle gesehen”, sondern “wiedererkennbare Handschrift”; oder gucken solche Miesmuscheln dann auch nie wieder einen Coen-Film, bloß weil Fargo eigentlich ganz lustig war? Und wessen Herz nicht aufgeht, wenn Patricia Petibon die barfüßige Amour gibt, wo hält sich das die ganze Zeit versteckt?

Die anrührendste Oper der Musikgeschichte als DVD und als eindreiviertelstündiges YouTübchen. Der Abend ist gleich zweimal gerettet. Lieber la Petibon zuhören als Sorgen wie Orpheus zu haben, seine Frau durch Schlangenbiss zu verlieren, aus der Hölle herauszuholen, auf dem Rückweg gleich nochmal zu verlieren und für die Bewältigung seiner Trauer von den Mänaden zu rohem Stifado zerrissen zu werden. Auf soviel kann man sich wohl einigen.