Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: November 2014

Sexyfragales

Kalanchoe pinnata, Wandrers Nachtlied, Ein gleiches

Weihnachten ist wie Sex: Man will lieber nicht vorher wissen, dass es das letzte Mal war. Dafür ist Weihnachten öfter. Und zuverlässiger. Und preiswerter.

Eigentlich ist es unerfindlich, in was für einem Grade Sex beliebter als Weihnachten ist. Seit einigen Wochen lebe ich außer mit der besten Frau und der besten Katze der Welt mit einigen Kalanchoen zusammen, allen voran mit einer Pinnata und einer Daigremontiana, und muss sagen: Wenn’s jemand richtig macht, dann die.

In ihrer Eigenschaft als Sukkulenten — hier: Dickblattgewächse (Crassulaceae) der Steinbrechartigen (Saxifragales) — brauchen sie nicht viel, vor allem wissen sie weder von Weihnachten noch machen sie sich viel aus Sex, weil sie nur unter Bedingungen blühen, die schwerer herbeizuführen sind als Weihnachten, sich also nur in Ausnahmefällen geschlechtlich fortpflanzen. Meistens tun sie das vegetativ, indem sie aus Teilen ihrer selbst neu hervorwachsen. Sie sind zufrieden, ja sichtbar glücklich, mit einem kargen Substrat, lieber etwas weniger als zuviel Wasser und dem wohlfeilen Tageslicht. Erst wenn das Licht zu wenig wird, fangen sie an mit dem Sex, aber so prekär wird’s selten. Wie cool bitte kann jemand noch sein?

Die ebenfalls sukkulente Hauswurz Sempervivum kriegt das eventuell hin, jedenfalls geht sie praktisch überhaupt nur dann tot, wenn sie sich zu stark dem erotischen Element des Wassers ausgesetzt findet. Ihre hauptsächliche Tätigkeit besteht im Existieren, wie alles Sukkulente blüht sie nur unter Protest und erschwerten Umständen. Das passiert ihr aber nur einmal im Leben: Die Rosette stirbt nach ihrer ersten Blüte ab.

Es irrt der Mensch, solang er strebt; das freundliche und einnehmende Volk der Dickblätter fängt damit gar nicht erst an. Und warum? Weil es nicht will. Wer sein Streben nach gesellschaftlicher Teilhabe, in der Konsequenz also nach Sex aufgibt — und nach Weihnachten, vergessen wir das Weihnachten nicht! — handelt sich selbst dann noch Ärger ein, wenn er beim Streben nichts als Fehler macht. Kalanchoen und Semperviva? Bleiben cool. Und sehen besser aus.

Kalanchoe daigremontiana, Deine Mudder

21–15

Moritz missbilligt, wenn ich die Schedel’sche Weltchronik lese. Die Schedel’sche Weltchronik ist doppelt so groß und dreimal so schwer wie eine Katze, dafür nicht ganz so gescheit wie Vroni.

Der Tanz um das Goldene Kalb, Schedelsche WeltchronikVroni missbilligt ebenfalls, wenn ich die Schedel’sche Weltchronik lese. Die Schedel’sche Weltchronik ist nämlich von 1493, und da lernt man kein gutes Deutsch, sagt sie. Dabei hat sie’s noch besser als Moritz, weil ich ihr nicht mit dem Folianten in der Aussicht auf den Fernseher liege. Sie guckt G 20. Moritz versucht sich an der Schedel’schen Weltchronik vorbei auf meinen Bauch zu lagern.

“Was genau”, frage ich, “was genau unterscheidet eigentlich das fünfzehnte Jahrhundert vom einundzwanzigsten?”

“Spielst du gerade an auf G 20 oder auf deine jungsteinzeitlichen Tontafeln da?”

“Das mein ich ja: Ist irgendwas weitergegangen? Warum gehen die Leute überhaupt aus dem Haus, wenn sie vollständige Armeen zum Schutz davor brauchen, dass sie keiner erschießt? Warum bleiben die nicht daheim und überlegen, warum das so ist?”

“Nochmal: Meinst du im Fünfzehnten oder jetzt?”

“Nochmal: Wurschtegal. Was ist der Unterschied?”

Vroni überlegt kurz. “Naja … Gewaltherrschaft … Herrscherwillkür … alles Analphabeten … praktisch kein Bildungswesen … keine Sozialleistungen außer von der Kirche … Verbot von ganzen Kulturen und Religionen … Völkermorde … Leibeigenschaft …”

“Okay”, sag ich, “und im Fünfzehnten?”

“Keine Tampons.”

Endlich weiß ich wieder, warum diese Frau mich geheiratet hat, und kann auf meinem Bauch Platz für Moritz machen: Wer braucht Hartmann Schedel, wenn er Vroni hat, bloß weil er auch aus Nürnberg ist? Nix wüsste man ohne die, nix.

“Einundzwanzig minus fünfzehn?”

“Saubär.”

Zweyn lehrsame piltln: Der Tanz um das Goldene Kalb;
Michael Wolgemut: Nürnberg von Süden, 1493 für die Schedel’sche Weltchronik, Blatt 99/100 via Franken-Wiki und NürnbergWiki.

Und ihr, liebe Münchner Stadtwerke!

DEM KATER SÎN BLOG: Hier spricht der wasserscheue Kater.

Wenn der Beduine mit Kamel
nach Ägypten zieht
braucht er kein Öl,
aber ab und zu mal Wasser,
denn er kommt sonst nie zu Nasser.
Oder wenn man auf der Autobahn
mit dem Auto fährt
was braucht man dann
Wasser, den Motor zu kühlen
und zu Haus braucht mans zum spülen
man braucht es jedenfalls
wenn auch selten mal am Hals.

Wasser ist zum Waschen da,
falleri und fallera
auch zum Zähneputzen kann man es benutzen
Wasser braucht das liebe Vieh
fallera und falleri
selbst die Feuerwehr benötigt Wasser sehr.

(Die Drei Peheiros)

 

Zum allgeschätzten Topic “Tolles Bayern gegen den Rest der Welt”: Das Isarwasser hat mittlerweile mehr Kokain-Derivate ähm -Verdauungsreste drin als der Main zu Frankfurt und der Rhein bei den Koksnasen in Düsseldorf. Das zum Thema Wasser.

Und ihr, meine lieben und mir teuren Münchner Stadtwerke!
Euer Wasser kommt aus der Schotterebene und ist tatsächlich wunderbar. Wenn es nur nicht so kalkig wäre (ihr sagt ja immer dazu “mineralreich” ihr PR-Schlaumeier). Für die Gas- und Installateuerbranche hier ist dieser Sachverhalt jedenfalls die Lizenz zum Gelddrucken. Keine Hightech-Therme (mit mords Energiespar- und Öko-Heckmeck …), die wegen des Kalks deutlich länger als 10 Jahre lebt trotz der enormen Wartungskosten jedes Jahr. Der kätzische Haushalt hat jedenfalls im Oktober für einen ordinären Wärmetauscher und einen Wasserschalter ein Berliner Monatsgehalt verbraten müssen, damit er sein Fell nicht in eiskaltes Wasser tauchen muss. Das heißt, für diesen Zweck ist es ihm sauber übergezogen worden.

Beim nächsten Mal wird es wohl ein Stromgerät werden. Trotz des dreifachen Energiepreises sind Wartungs- und Neuanschaffungskosten kaum zu toppen. Unter dem Strich über einen 10-jahres-Zeitraum gerechnet ist diese Technik inklusive Energiekosten weit über die Hälfte günstiger. Zumindest im kalkigen München.

Gruß
Euer wasserscheuer Kater

Wassertraufe am Spitzing, bei Link-Hütte

Wassertraufe am Spitzing, bei Link-Hütte

 

Cot almahtico

DER HERR hat mich gehabt im anfang seiner wege / Ehe er was machet / war ich da. Jch bin eingesetzt von ewigkeit / von anfang vor der Erden. Da die Tieffen noch nicht waren / da war ich schon bereit / Da die Brunne noch nicht mit wasser quollen. Ehe denn die Berge eingesenckt waren / vor den Hügeln war ich bereit. Er hatte die Erden noch nicht gemacht / vnd was dran ist / noch die Berge des Erdbodens. Da er die Himel bereitet / war ich daselbs / da er die Tieffen mit seim ziel verfasset. Da er die Wolcken droben festet / da er festiget die Brünnen der tieffen. Da er dem Meer das ziel setzet / vnd den Wassern / das sie nicht vbergehen seinen Befelh. Da er den grund der Erden legt / da war ich der Werckmeister bey jm / vnd hatte meine lust teglich / vnd spielet fur jm allezeit. Vnd spielet auff seinem Erdboden / Vnd meine lust ist bey den Menschenkindern. SO gehorcht mir nu meine Kinder / Wol denen / die meine wege behalten. Höret die Zucht vnd werdet Weise / vnd lasset sie nicht faren.

Sprüche Salomo, 8,22–33.

Das ist Wessobrunn.

Ortsmitte Wessobrunn

Wasserwerk Wessobrunn

Das ist der Weg nach Wessobrunn.

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Das sind die Wessobrunnerinnen.

Wessobrunnerinnen Kühe

Das ist das Kloster Wessobrunn.

Kloster Wessobrunn mit Grauem Herzog

Und das, das ist das Wessobrunner Gebet. Neuhochdeutsch, kann man ja noch lesen.

Klosterkirche Wessobrunn, Gebet

Und das ist das Wessobrunner Gebet nochmal in Älter. Althochdeutsch, kann man ja gar nicht lesen. Saualt. So weit von unserer Sprache weg, dass man Holländisch, Plattdeutsch oder das Gegrummel aus dem Landkreis Nürnberger Land besser versteht. So alt ist das Gebet.

Wessobrunner Gebet, Gebtetsstein unter der Gebetslinde auf dem Lindenfleck

Eine von den Wurzeln der deutschen Literatur, kann man ruhig so sagen.

Wessobrunner Gebet, Gebetsstein unter der Gebetslinde am Lindenfleck

Muss man unbedingt mal hin, ist ja ein Geschenk, sowas, dass sich das so erhalten hat. Der Zettel, wo das Wessobrunner Gebet draufsteht, liegt heute ja schon in München, in der Stabi, Clm 22053, 65v und 66r, aber erst seit 1806 oder so, seit dem Napoleon. Haben also sogar die Säkularisierung überlebt, das Kloster und das Gebet, und sehen heute noch gut aus und können einwandfrei benutzt werden.

Und dann kommt da so’ne Frau.

Die Missions-Benediktinerinnen von Tutzing verkaufen das Kloster Wessobrunn an Martina Gebhardt

Nach 99 Jahren haben sich die Missions-Benediktinerinnen von Tutzing entschlossen, das Kloster Wessobrunn zu verkaufen.

Martina Gebhardt, Inhaberin der Firma Martina Gebhardt Naturkosmetik GmbH und MG Naturkosmetik Produktions GmbH, wird mit Ihren Gesellschaften in das 7 km entfernte Kloster Wessobrunn ziehen und dort Produktion, Heilpflanzenanbau, Vertrieb und Tagungshotel einrichten.

Im Weiteren sind Räume für Kunst, Manufakturen und Ausstellungen geplant.

Klingt komisch, ist aber so. Wo die freundlichen Schwestern seit eineinviertel Jahrtausenden auf die Quelle der deutschen Literatur aufgepasst haben, da darf jetzt eine neue Schwester kommen und ihre freizeitayurvedischen Duftseifen zusammenkochen, neben ihrem Tagungshotel mit Aufenthaltsraum, Tischtennis und Beamer. Haben sich eben doch ein paar Wertsetzungen verschoben seit der Zeit vor Karl dem Großen.

Eingang Klosterbücherei Wessobrunn

Klosterführung Bücherei Wessobrunn

Da muss man nämlich ganz gut aufpassen, liebe Kinder, wie es auf dem Zettel, auf dem das Wessobrunner Gebet draufsteht, drunter noch weitergeht. Diesmal lateinisch, also noch ältere Sprache, und gehört deswegen schon nicht mehr richtig zum Gebet dazu. Da steht nämlich:

Qui non vult peccata sua penitere | ille venit iterum ubi iam amplius | illum non penitebunt | nec illorum | se ultra erubescit.

Das heißt auf Neuhochdeutsch, damit es die Frau Gebhardt auch versteht:

Wer seine Sünden nicht bereuen will, kommt dereinst dorthin, wo sie ihn nicht mehr reuen können und er sich ihrer nicht mehr schämen kann.

Und so kommt man übrigens aus Wessobrunn wieder weg.

Bushaltestelle Wessobrunn Kloster, SOS

Bushaltestelle Wessobrunn Kloster

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