Der Rente mit 67 oder gar mit 70 gewinnt nur eine kleine Minderheit etwas ab. Demografen und Ökonomen mögen solche Zahlen zur Verzweiflung treiben. Spricht aus ihnen nicht eine Wirklichkeitsverweigerung, die an Verstocktheit grenzt? Haben die Deutschen noch nie etwas von der sich umkehrenden Alterspyramide, vom jetzt schon zu spürenden Arbeitskräftemangel, von Generationengerechtigkeit gehört? Liegt ihnen an der Erwerbsarbeit nichts, die doch nach landläufigem Verständnis das entscheidende Portal zu einem gelungenen Leben ist?

Natürlich haben die Deutschen von alldem gehört. Frührente streben die wenigsten an. Und wenn die Not es wirklich gebietet, werden die meisten arbeiten bis zum Umfallen, was denn sonst? […] Ohne großes Murren haben die Deutschen es hingenommen, dass die Rentenreformen der vergangenen Jahre faktisch nichts anderes als Rentenkürzungen waren. Sie wissen um die Funktionsgesetze des Rentensystems. Aber jeder Einzelne versucht doch, der Tributpflicht in diesem System eigene, individuelle Grenzen zu setzen. Das hat durchaus etwas mit Selbstbestimmung zu tun. […] Die Aussicht auf Kinderbetreuung und Altenpflege veranlasst die Deutschen offenbar nicht dazu, sich länger als unbedingt nötig am Arbeitsplatz aufzuhalten. Die Familienarbeit hat gegenüber der Erwerbsarbeit den großen Vorzug, dass sich ihr Sinn ohne Weiteres erschließt.

Eckhard Fuhr: Diese kostbare Zeit in: Die Welt, 6. August 2013.

Englischer Garten München, Eisbach, Sonntagfrüh 7 Uhr

“Mei, Hansei!”

“Wosn, Gretl?”

“So schee is heit!”

Wunderschee is heit, Gretl.”

“So schee!”

“Du, Hansei?”

“Was nachat, Gretl?”

“Du, Hansei! Was mechst jetz du amoi macha, wannst amoi sechzg Johr oit bist?”

“I und sechzge! Omeiomeiomeiomei, Gretl, wann ma des no derlebm kanntn!”

“Sei kannt’s scho.”

“Ja, gell, sei kannt’s scho. Ja, was wollt ma da no macha.”

“Dei Rentn kriagst eh erscht mit siebzge. Da muaßt scho no irgendwos macha.”

“Dann will i jednfalls nimmer nach der Pfeifn von so am fuchzjahrign Rotzleffl tanzn miassn.”

“Ja, gell, Hansei, des waar schee, wann ma des kannt.”

“So schee waar des!”

“Altenpfleger!”

“Wie meinst, Gretl?”

“Altnpfleger kanntst wern! Altnpfleger, de wern gsuacht!”

“Ja, da hast recht, Gretl. Mit sechzge kannt i a Altnpfleger wern.”

“Aber Hansei, kamma denn mit sechzge no was Neis wern?”

“Warum denn net, Gretl. Mei Vater war Eisenbahner. Wie der vierzge war, hat der überlegt, ob er net Rentner wern kannt.”

“Ja, dei Vater! Und der war Eisenbahner! Und der war vierzge!”

“Ja, genau. Und i bin dann halt der Hansei und sechzge.”

“Und Altnpfleger, die wern ja gsuacht.”

“Ja, genau, Gretl, Altnpfleger wern gsuacht. Rentner, die wern net gsuacht.”

“Naa, Hansei, da san’s froh, wann’s koan sehng!”

“Haha, ja. Und da kannt i endlich meim oitn Schulspezl oans neiwürgn, der wos mi oiwei nia in sei Fuaßboimannschaft neigwählt hat, obwohl dass i’n oiwei hob abschreibm lassn in Deitsch. Na wart, wenn der im Altersheim is und zu mir kummt.”

“Ja, Hansei, des machst!”

“Und ob i des mach. Und wenn i siebzge bin, dann geh i in Rentn.”

“Is ja eh nimmer so lang hin, wiest jetz scho g’arbat hast!”

“Naa, Gretl, so lang is nimmer.”

“Is dei Vater dann mit vierzge a Rentner worn, Hansei?”

“Naa, Gretl. A Pensionist is er worn. Und aa erscht mit über fuchzge.”

“Was hast du gmacht, wiest vierzge warst?”

“O mei, Gretl. Woaß i heit nimmer. Wahrscheinlich no studiert.”

“Was, studiert hast aa?”

“Freilich, Gretl. Sonst wird ma ja nix.”

“Naja, vui worn bist aa so net.”

“Da hast recht, Gretl. Aber wie i fuchzehn war und was hätt lerna solln, da war i no zu bläd.”

“Was hättstn da lerna wolln, mit fuchzehn?”

“Hab i aa net gwusst. Wennst denkst: Da war i ja erscht fuchzehn!”

“Hast aa wieder recht, Hansei. Mit fuchzehn warst du bestimmt saubläd.”

“Ham’s mir aa alle gsagt. Da hab i halt des Abitur gmacht und studiert.”

“Und? Hat’s was bracht?”

“Was soll’s bracht ham. A Arbat hab i gfundn.”

“Ja, Hansei, des is gscheit. A Arbat braucht ma ja.”

“I hab koane braucht. A Geld hab i braucht.”

“Da hättst aber mehra kriagt, wennst scho mit fuchzehn was glernt und des Arbatn angfangt hättst!”

“Da miassat i ja fünfundfuchzg Jahr lang arbatn, von fuchzehn bis siebzge!”

“Ja, Hansei, des is lang.”

“Jetz is scho nimmer so lang.”

“Wann hast nachat du zum Arbatn angfangt, Hansei?”

“G’arbat hab i dauernd was, aa mit fuchzehn scho. Bloß zahlt ham’s alle nix.”

“Aber wennst arbatst, da muasst doch a Geld rauskriagn!”

“Beim Ferienjob praktisch nix. Beim Praktikum meistns gar nix. Beim Bund aa net viel. Am meistn springt beim Studiern raus, da zahlst koa Steuer net. Und mit dreißge war’s dann eh scho wurscht.”

“Warum war’s da wurscht, Hansei?”

“Na, mit dreißge machst aa koa Karriere nimmer.”

“Und studiert hast, damitst a Arbat findst. Und weilst so lang studiert hast, kriegst jetzt nix.”

“Genau, Gretl. Des is des mit dem Ding.”

“Aber dann arbatst ja doch fünfundfuchzg Jahr lang, wennst mit fuchzehn angfangt hast?”

“Irgendwie scho, Gretl. Bloß rauskriagn duri nix.”

“Aber mit sechzge wirst ja Altnpfleger.”

“Naja …”

“Ja — net, jetzt?”

“Na, vielleicht muaß i aa einfach mein eignen Vater pflegn.”

“Aber der zahlt dir ja nix, Hansei!”

“Freilich net.”

“Da kannst ja froh sei, dasst koane Kinder hast, sonst miassast die aa no pflegn!”

“Genau, Gretl. Da samma froh.”

“Aber Hansei!”

“Was nachat, Gretl?”

“Wolltst du aba net nachat aara Buach schreibm? Und Tomatn züchtn! Und a lange Wanderung macha! Und über Moos und Flechtn und Farn und Gros und Schwammerl und Kreizblütler forschn! Und des Klavierspuin lerna! Und oamoi a rothaarade Österreicherin vegln! …

“… kennalerna, hab i gsagt …”

“… kennalerna! Aber gä, Hansei, bussln daadsda’s scho aa, ha?”

“A geh weider. Wos wui denn des arme Madl mit so an oidn Saubartl wia mir.”

“Und … und … und amoi Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ganz auslesn!”

“Scho, Gretl. Kann i ja dann ois.”

“Ja, und — wann machst nacha des?”

“Mit siebzge dann.”

“Wennst dann no was siehgst, moanst!”

“Ja, genau, Gretl, wenn i dann no was siehg.”

“Aber wennst Glück hast, bist ja dann scho hii.”

“Ja, genau, Gretl, wenn i Glück hab.”

“Des wird schee, Hansei!”

“So schee.”

Buidl: Englischer Garten z’Minga am Eisbach, Sonntagfrüh um siebene.
Wann denn wohl sonst.

(Der Text ist zum Vortrag freigegeben. Funktioniert bestimmt auch in anderen Dialekten. Bloß erfahren will ich gern davon.)