Shel SilversteinDie Wölfin hat soeben sehr treffend beobachtet: Um Country zu singen, braucht der Mensch, vor allem in seiner männlichen Ausprägung und Bühnenpräsenz, eine anständige tiefe Stimme. Da hat sie Recht (hat sie immer), und fortan kann ich mich damit trösten, dass aus mir allein deswegen nur ein Schreibfuzzi geworden ist, weil mein stimmliches Organ klingt “wiara Glasl Kunsthonig” (griaß Goot, liabe boarische Zuigruppm, schee dass’ do seids).

Johnny Cash oder Harry Rowohlt — das sind Stimmen, für die sich ein Mannsbild nicht genieren muss, grad neidisch kann einer werden. So wenig Harry Rowohlt bisher als Countrysänger hervorgetreten ist, darf man von ihm keinesfalls annehmen, dass er es nicht kann, sondern dass er nur (noch) nicht will. Was ihn dennoch mit Johnny Cash verbindet: die Freundschaft mit Shel Silverstein.

Das waren jetzt schon viele Namen auf so wenige Absätze. Merken wir uns: Johnny Cash und Shel Silverstein sind tot, Harry Rowohlt lebt noch, mazeltov.

Der Älteste von den dreien war Shel Silverstein. Für Harry Rowohlt hat er eine der schönsten Übersetzungsvorlagen geschrieben: die Kindergedichtbände Lafcadio: The Lion Who Shot Back (1963) und Falling Up (1996 — es gibt noch viel mehr!), für Johnny Cash und das Lied A Boy Named Sue.

Hätte man ihm hierzulande gar nicht zugetraut, überhaupt wohnt sträflich wenig Countrymucke im kollektiven Bewusstsein des deutschen Volkes. Aber die Deutschen in Beziehung zu dem, was manche von ihnen für Volksmusik halten, kriegen wir später mal (als kulturkritisches Pamphlet wahrscheinlich).

Für die zahlreichen Countrymucker, an denen der Deutsche an sich seit Jahrzehnten vorbeihört, hat Shel Silverstein ebenfalls Lieder geschrieben. Viele. Und meistens sind es ihre besten. Johnny Cash kennt der Deutsche zur Not, von seinem quäksenden Gassenhauer Ring of Fire her. Bei Townes Van Zandt muss er schon überlegen.

Ein Lied von Shel Silverstein erkennt man nicht sofort. Erst, wenn man drauf geschubst wird, dass es von ihm ist. Der Mann war gut genug, sich auszusuchen, für wen er schreibt. So wie Harry Rowohlt, der selbst bestimmt, was er auf seine alten Tage noch übersetzen will. Die Lieder von Silverstein sind immer die voll Wortwitz, die hörbar aus einem einzelnen Kalauer erwachsen, den er dann durchdekliniert, bis es entweder endgültig albern wird oder seine innewohnende Weisheit entwickelt. Beides ist okay, Liedertexte dürfen albern sein (siehe auch: “Yeah Yeah Yeah”, “Heidschi Bumbeidschi”, “Da Da Da”, “Wogalaweia”). Silverstein-Lieder sind deswegen über viele Jahre auf viele Stimmen verteilt. Man muss also nach ihnen Ausschau halten, was sich aber lohnt.

Wie lange war es da schon fällig, Silverstein-Lieder an einer Stelle zu versammeln! Da musste der Mann erst sterben und dann achtzig werden, bis sich jemand zu einer Tribute-CD durchrang. Gestorben ist er 1999, achtzig ist er am 25. September geworden, die CD heißt Twistable Turnable Man. Die Originalmucker waren wohl nicht mehr für ihre zuständigen Lieder aufzutreiben, aber auf der CD sind allesamt welche, die Herrn Silverstein zu schätzen wissen und seine Textarbeit nicht verunglimpfen werden. Eine der dankenswertesten Radiosendungen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein- bis zweimal im Monat, so genau steckt man da nicht drin, auf Deutschlandradio Kultur Berlin von zwei bis fünf Uhr früh stattfindet, die “Tonart Country”“, brachte unlängst in ihrer Septemberausgabe zahlreiche Hörbeispiele. Ein Fest.

Man hört an allen Ecken und Enden den Kinderbuchautor raus, so eine Freude an Sprachschönheit um ihrer selbst willen, so ein Spaß an Rhythmus und dreimal schiefer gelegten Bedeutungsebenen glitzert und blinkt und tanzt und trällert da mit. Egal, ob es albern oder weise wird — es muss gesungen werden, weil es noch nie gesagt wurde und einem den Tag aufhellen kann, da muss man kein Kind sein, da muss man auch nicht erwachsen sein, da muss man einfach hinhören und staunen, was alles möglich ist, wenn man es nur geschehen lässt. Anscheinend geht sowas wirklich nur auf Englisch, denn aus England kennt man die aberwitzigen Kinderbücher von Lewis Carroll, in denen Fünf- wie Fünfzigjährige auf ernstzunehmende philosphische Inhalte stoßen, und die manche sprachwissenschaftlichen Erklärungsansätze erst möglich gemacht haben (siehe: Portmanteau) und Ogden Nash. Was kennt man aus Deutschland? Tom Astor und Bosshoss.

Mit seiner Gedichtgestaltung war Silverstein heikel: Da schrieb er dem Verlag vor, welches Papier für die Bücher zu verwenden sei, weil er das als Teil der Aussage betrachtete. Der “Playboy”, für den er Cartoons lieferte, ließ sich weniger dreinreden, aber wir waren bei seinem jugendfreien Werk. Da nimmt es Wunder, dass er seine Lieder auf keinen besondere Stimme festlegte. Silverstein-Gedichte dürfen nur auf fünfundachtzig Gramm mittelgrobes Korn mit zehn Prozent Sepiatönung gedruckt, aber seine Lieder gleichermaßen von Kris Kristofferson und Dolly Parton gesungen werden, und Harry Rowohlt darf “clam” mit “Auster” übersetzen — immerhin aus dem nachvollziehbaren Grund, dass “It’s all the same to the clam” besser marschiert, wenn man in ausgesucht wurschtigem Bairisch (das der Hamburger Rowohlt jedenfalls vorbildlicher beherrscht als mancher, der vorgibt, bayerische “Volksmusik” zu treiben) ranzt: “Des is doch der Auster so wurscht.”

Erklären wir es uns damit, dass ein Lied als Live-Event weiter herumkommen muss denn der festgelegte Gegenstand Buch: Bücher stauben ein, Lieder entstehen jedes Mal neu. Beiden schadet es nicht, im Gegenteil. Eingestaubte Silverstein-Bücher bleiben tanzbar, Silverstein-Lieder sind in jeder Instrumentierung unverwüstlich, da konnte Bernadette la Hengst den “Boy named Sue” sogar zum “Mädchen namens Gerd” umwandeln (2002).

Wenn ich achtzig bin, werd ich auch so ein Schrat, meine Produktion an cantabilem Kinderkram läuft ständig. Und Weihnachten ist ja auch gleich schon wieder.

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Bild: Rebecca Grites: Shel Silverstein makes the perfect vintage summertime look, 10. Mai 2009;
Dokumentation: Jon Grimson for Sugarhill Records: Bobby Bare Jr. and Bobby Bare Sr.: “Twistable Turnable Man”, 2010.