Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: August 2010

Marmorschädel

Die Flamme des Scheiterhaufens hat hier
Bücher und Menschen verschlungen;
Die Glocken wurden geläutet dabei
Und Kyrie eleison gesungen.

Dummheit und Bosheit buhlten hier
Gleich Hunden auf freier Gasse;
Die Enkelbrut erkennt man noch heut
An ihrem Judenhasse.

singt Heinrich Heine in Deutschland. Ein Wintermärchen 1844 in Caput IV (Was nichts “Kaputtes” ist, sondern lateinisch für “Kopf”, mithin der Augmentativ von “Kapitel”). Das waren üble Unterstellungen, darum hieß es ab der zweiten Auflage: “Die Enkelbrut erkennt man noch heut / An ihrem Glaubenshasse.”

Nun begibt es sich ausgerechnet in dem Jahr, in dem Heines in Marmor gemeißelter caput in die Walhalla aufgenommen wird, dass das 2007er Buch einer gewissen Deborah HertzHow Jews Became Germans: The History of Conversion and Assimilation in Berlin” unter die Deutschen fällt. Der deutsche Verlag Campus weiß auch nichts Besseres und übersetzt korrekt: “Wie Juden Deutsche wurden. Die Welt jüdischer Konvertiten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert“.

Ich würde ja nix sagen, das ist ein ehrenwertes Thema, und spannend find ich’s auch noch, gerade wegen Heine. Frau Hertz ist aber Professor of Modern Jewish Studies an der University of California in San Diego und sollte wissen: Deutsch ist eine Nationalität, jüdisch ist eine Religion. German is a nationality, Jewish is a religion, capisce? Findet das eigentlich erst seit der intensiven Öffentlichkeitsarbeit eines verwachsenen Österreichers mit Chaplin-Bärtchen statt, mit dem Deutschland bis heute keinen Staat machen kann, dass zwischen Juden im Gegensatz zu Deutschen unterschieden wird? Und vorsichtshalber für hintern Spiegel: Eine “Rasse” sind Juden auch nicht.

Juden, die es erst praktisch gestern zu einem eigenen Land gebracht haben, leben seit den alten Römern dort, wo seit praktisch vorgestern Deutschland liegt. Als die Germanen endlich Deutsche wurden, empfanden sich die mitten unter ihnen lebenden Juden als was wohl? Als Deutsche, genau. Als was sonst? Hermann Cohen sah in seinen jüdischen Glaubensgenossen sogar die Träger eines eigenen germanischen Stammes, was einen glatt auf die Frage werfen kann, wie gut das Chaplin-Double in Neukantianismus beschlagen war. Ganze Arbeit hat er ja geleistet: Solche eingeschlichenen Formulierungen, ebenso das bis heute grassierende “Halbjude“, insinuieren nämlich, dass “der Jude an sich” ein gutgläubiger Depp ist, der meint, er sei ein Deutscher, obwohl er doch wissen müsste, dass er von Antisemiten umzingelt ist und jederzeit massenvernichtet werden kann. Liebe Alt- und Neonazis, Judenfreunde, Christenmenschen und Sprachbenutzer, Halbjuden gibt’s nämlich gar nicht. Hat’s nie gegeben. Juden, die gibt’s, in Form von Rabbis, Bankern, Drehbuchschreibern, Schustern und koscheren Metzgern, und manche sollen sogar was gelernt haben, das nix und wieder nix mit ihrem Glauben zu tun hat. Und es gibt Leute, die etwas anderes als Juden sind. Halbe nicht. Das lassen sie sich erstaunlich gleichmütig gefallen, die Juden. Was reg ich mich also stellvertretend auf.

Einwände gegen Heinrich Heines Aufnahme in die Walhalla (als Nr. 130 nach Sophie Scholl und Edith Stein) lauteten dahin, dass der Mann zu Lebzeiten drei Spottlieder auf König Ludwig I., den Gründer der “marmornen Schädelstätte” (wieder Heine) verfasste, die er sich nicht einmal selber in die Fassungen seiner Gedichtzyklen letzter Hand aufzunehmen traute. Und dann doch wieder: Bei der Enthüllung am 28. Juli 2010 sprach Karl-Heinz Theisen vom Düsseldorfer Freundeskreis Heinrich Heine: “Wir setzen mit dieser Ehrung auch ein deutliches Zeichen gegen antisemitische Tendenzen und Rassenhass. Diese Büste macht uns stolz.” Martin Luther ist schließlich auch da, und den wollte Ludwig I. dort nicht sehen. Und inzwischen steht er da höchstselbst, 75 Zentimeter hoch aus Lasa-Marmor. Das ist ja alles nichts Schlechtes. Was Heine uns lehren kann in dem Denkmal, das er sich durch sein Werk gesetzt hat: dass man trotzdem aufpassen soll, was man sagt.

Allen zur Warnung, die planen, mit einem kunstunsinnigen Germanisten zusammenzuziehen

Update zu Dr. Mouse und Aus meiner Textwerkstatt:

Muss es eigentlich heißen: “Ein akademischer Festakt ist nichts, währendwessen ich mit Kinkerlitzchen behelligt werden möchte” oder “[…] dessentwährend ich mit Kinkerlitzchen behelligt werden möchte”?

Ist ja gut, ich hör schon auf. Damit Sie’s endgültig glauben, noch eine Szene aus dem Hause the missing link:

Vroni: “Du dauernd mit deim Bach. Bach plätschert.”

Ich: “Logisch plätschert der, drum heißt er ja Bach. Und Händel knuspert.”

Vroni: “Du bist so blöd.”

Baches Plätschern: Glenn Gould, 1959: Partita 2, c-Moll, BWV 826; Sinfonia: Grave Adagio.

Dr. Mouse

Gratulation in allen Farben und Formen ergeht an den lieben Mäuserich, das ist: Vronis Tochter Stephi, zum Erreichen des Doktorgrades.

Wenn Sie Fragen zum Thema Photobiologische Wasserstoffproduktion mit gentechnischen Methoden durch Chlamydomonas reinhardtii haben, wenden Sie sich vertrauensvoll an uns, denn wir kennen jetzt jemanden, der sich fürchterlich damit auskennt. Glücklicherweise war Stephi schlau genug, nicht einem falsch verstandenen Anspruch der Universalität zu verfallen, indem sie ihre Doktorarbeit auf Englisch schrieb, sondern blieb unterstützt von der technischen Fakultät der
Universität Erlangen-Nürnberg sowie vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit bei ihrer und Ihrer (und unserer) Muttersprache.

Warum das so schlau war? Zwar hätte sie auf ein Verständnis unserer- und vielleicht sogar Ihrerseits verzichten können, aber laut Süddeutscher Zeitung vom Mittwoch, den 11. August 2010 (Burkhard Müller: Nicht zu wissen, dass man weiß, Feuilleton, Seite 11) wundert sich die anglophone Wissenschaftsszene schon lange, was die Deutschen unter Englisch verstehen. Ist ein Satz wie “Not only am I perfect, I am German, too” noch korrekt konstruiert, kommt der Deutsche schon in Not, wenn er ihn begründen soll. Und zwar ohne es zu merken. Da schaut er nämlich in seinem Langenscheidt nach, der Deutsche, unter w wie “weil”, und findet: “because”.

Stimmt doch, oder? “Weil” auf Englisch heißt “because”, das lernen sie doch heute schon im Multikultikindergarten. Auf einer niederen Ebene stimmt das sogar; auf jener höheren, auf der man “because” zum Darlegen von Gründen verwenden will, schon nicht mehr so zwingend. Wenn ein Engländer, oder besser noch: der sprichwörtliche “amerikanische Wissenschaftler” (meist ein gelangweilter, womöglich noch vom eigenen bootleg verkaterter Hiwi in einem Hinterzimmerprojekt der Backwood Varsity, West Virginia, wo der Prof barfuß in Hosenträgerjeans und Strohhut im Pick-up zum Dienst fährt, seine Büromannschaft mit “Howdy, folks!” grüßt und einen apple pie von seiner Frau gegen den Kater auf den Tisch … aber ich schweife ab) Einträgliches und Erbauliches herausgefunden hat, leitet er seine Begründung nicht mit “because” ein. Sooft er seine Nebensätze mit “because” anfängt, holt alles erst mal Luft, allen voran er selbst, weil danach ein kompliziertes Plädoyer mit eristischer Überzeugungsarbeit folgt. Der Deutsche schmeißt mit “because” um sich, als ob “weil’s halt so ist” oder “weil gestern im Kühlschrank mit der Petrischale der Strom aus war” eine fundamentale Rechtfertigung wissenschaftlicher Arbeit wäre, denn nur derart Bedeutsames wird durch das staatstragende “because” gekennzeichnet.

Das ist ein Beispiel. Man muss jedoch nicht so naiv sein zu erwarten, dass interkulturelles Verständnis in komplizierteren Fällen besser funktioniert, nur weil ich sie Ihnen in einem Blogeintrag erspare. Dieses eine Beispiel hat jedenfalls genügend Einfluss auf den Amerikaner, dass er unbefangen englisch daherformulierten Texten seines deutschen Kollegen, den er ansonsten durchaus schätzt, mit einem großen ungeheuchelten Unverständnis begegnet. (Dabei nehme ich persönlich nicht an, dass der große Bruder Amerika den Deutschen wegen seiner Unbeholfenheit im Ausdruck verachtet. Es wird wohl eher eine Art wohlwollendes Kopfschütteln sein, mit einem Schuss Faszination davon, dass hinter der Freiheitsstatue auch Leute wohnen – eben wie kleinen Geschwistern gegenüber, die neuerdings versuchen, bei den großen Kindern mitzuspielen.)

Woher Burkhard Müller das weiß? Aus der linguistischen Habilitationsschrift von Winfried Thielmann: Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich: Hinführen – Verknüpfen – Benennen, Synchron Verlag, Heidelberg 2010 – noch seriöser kann man nicht werden. Da kann der Deutsche sich interkulturell schulen lassen, so toll seit dem Kindergarten “englisch können”, dass er gar nicht mehr groß übersetzen muss, sondern längst einfach so “aus dem Bauch heraus” fühlt, wie es heißen muss, es sogar noch mit dem Langenscheidt verifizieren, und um sein Leben publishen, um nicht zu perishen, soviel er will: Er wird es nie bemerken, weil es ihm keiner sagen wird. Dazu fehlt es erstens an der Notwendigkeit, weil der amerikanische Kollege ja immerhin etwas versteht, das er den wunderlichen Krauts zuschreibt, und zweitens an der nötigen Unverschämtheit: Sollte der Amerikaner von diesem Effekt wissen, wäre er immer noch zu höflich, dem Deutschen beständig ins Wort zu fallen, dass er doch bitte wenigstens “since” oder “due to” sagen soll.

Überhaupt das mit der Höflichkeit: Ins Englische übersetzte deutsche Texte klingen ja immer den entscheidenden Tick zu pompös, apodiktisch, mit zu langen Sätzen. Sie stammen nämlich aus korrekt und eloquent formulierten Originalen, nur dass im amerikanischen Stilempfinden gerade kurze, auf dem Punkt sitzende, und nicht verschlungene Sätze voller ex- und impliziter Handlungsanweisungen als besonders elegant gelten. Umgekehrt haftet ins Deutsche übersetzten englischen Texte immer etwas Lakonisches an, ist ja klar: das britische Understatement, ein sattes Jahrtausend lang eingeübt. Nur dass der Deutsche nicht wahrnimmt, gar nicht wahrnehmen kann, wie all die unscheinbaren Allerweltswörter darin in Wirklichkeit als Fachtermini gebraucht werden. Die wissenschaftliche Arbeit des amerikanischen Kollegen ist also nicht unverbindlich und seicht, wie der Deutsche vermuten möchte, der sämtliche Allerweltswörter von Kindheit an souverän verwendet, sie bellt nur nicht in einem fortgesetzten Kanzlei- und Kasernenhofton herum.

Man hätte es wissen können: Dass verschiedene Sprachen geradezu ein verschiedenes Medium sind, in dem sich ein Sprecher zu bewegen, ja zu tummeln hat, wusste schon Schopenhauer, übrigens ein ausgewiesener und praktizierender Experte für Eristik und Engländer, und er riet dazu, niemals wörtlich zu übersetzen, sondern den in einem Text enthaltenen Gedanken erst zu seiner reinen Idee im platonischen Sinne “einzuschmelzen”, bevor man ihn aus dem so entstandenen Rohstoff in der Fremdsprache zu einem neuen Gedanken schmiede.

Bei Schopenhauer ging es noch um Latein, die wissenschaftliche lingua franca seiner Zeit, was auch heißt: Damals war das Problem nicht so prekär wie heute, weil schon um 1800 nirgends auf der Welt aktive Muttersprachler des Lateinischen lebten. Dafür leben heute haufenweise English native speakers, und sie müssen kein Deutsch lesen, wenn ihnen nicht einmal ein Deutscher vermitteln kann, zu welchem Ende sie ihre time, die money ist, darein investieren sollten.

Es ist davon auszugehen, dass Wissenschaftler, die das Englische für – im obigen Sinne – “einfach” und problemlos hantierbar erachten, Texte produzieren, die im angelsächsischen Sprachraum aufgrund ihrer Hermetik ebenso problemlos ignoriert werden können.”

Winfried Thielmann, a.a.O.

Da bricht sich ganz Deutschland einen ab, um lieber zehn als nur fünf Fremdsprachen zu beherrschen, damit es noch in einer anderen Wissenschaft außer dem Umherschussern von Fußbällen und dem Zusammenschrauben von Autos aus asiatischen Einzelteilen vorkommt, und schreibt sich gerade dadurch in die buchstäblich universelle Irrelevanz. Und nein, das ist keine blogtypisch oberskurrile Satireübertreibung von mir.

Wie das zu beheben sei? Das wissen weder Burkhard Müller noch Winfried Thielmann; vielmehr schaffen beide lediglich das, wozu sich ebenfalls keiner der legendären amerikanischen Wissenschaftler aus West Virginia jemals herbeiließe: Problembewusstsein. Photobiologische Wasserstoffproduktion mit gentechnischen Methoden von Dr.-Ing. cand. Stephanie Geier hingegen erscheint hoffentlich noch 2010 im deutschen Original, weil der Mäuserich ein sehr kluges großes Mädel ist. Also, von mir hat die das nicht.

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One for the Mäuserich: Sir Edward Elgar: Pomp and Circumstance.

Das Neueste vom Sommerloch

NEUENKIRCHEN Fassungslos waren die Bewohner des Antoniusstift, als sie am Dienstagmorgen vor die Tür sahen: Einer der zwei Blumenkübel vor dem Eingang des Altenheimes wurde umgestoßen und lag zerbrochen vor dem Eingang.

Katharina Hövels: Antoniusstift: Großer Blumenkübel zerstört, 3. August 2010, 13.52 Uhr.

Und damit nicht genug, denn “[e]ntlang der gesamten Rheiner Straße, von Dr. Göbbels abwärts, wurden auch noch Mülltonnen umgeworfen.”

Was die Münstersche Zeitung verschweigt: Der Chaostheorie oder irgend so einem Angeberquatsch für Theoretische Physiker und Epigonen der Empfindsamkeit folgend, müsste sich wenige Kausalschritte darauf ein Schmetterling in Südamerika den Flügel verstaucht haben. Von den ungezählten Säcken Reis in China ganz zu schweigen.

Das war doch bestimmt wieder die eine Dicke aus dem Zweiten.

Katharina Hövels, Antoniusstift. Großer Blumenkübel zerstört. Münstersche Zeitung, 3. August 2010

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Edit: Nochmal gut gegangen:

NEUENKIRCHEN Die neuen Blumenkübel sind am Freitagmorgen in Neuenkirchen eingetroffen. Um 10 Uhr lieferte ein Postbote per Overnight-Express die neuen trittsicheren Blumenkübel aus Metall an.

Yvonne Petrausch: Das sind die neuen Blumenkübel, 6. August 2010, 11.22 Uhr.

Yvonne Petrausch, Das sind die neuen Blumenkübel. Münstersche Zeitung, 6. August 2010

/Edit.

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Soundtrack: Funny van Dannen: Freunde der Realität, aus: Herzscheiße, 2003;
Fotos: Katharina Hövels, Yvonne Petrausch.

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