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Monat: März 2009

Irrglaube und Religion im Grafikdesign

“Es ist ein Irrglaube, dass es bei Design um Grafik geht.” (HD Schellnack)

Style über alles Aussage/Bedeutung wurschtegal.

Genau das gilt es anzugehen. Stimmt 100%ig als der Kern des Problems der ganzen Diskussionen um diese Branche und um Crowdsourcing.

Auch Designer erliegen nicht zu knapp dieser Religion der Oberfläche.
Daher ist es müßig, nur Kunden (hier die SPD) oder nur die Plattformbetreiber (die Gärtnerböcke)  wegen des missglückten ausgewählten Runen-Logos “missionieren” zu wollen. Der Feind sitzt doch längst in der eigenen Reihe (ich bin schon lange kein Verteidiger der eigenen Zunft mehr, merkt man das nicht?).

Wann wird endlich Klartext gesprochen?
Die Blogs sind voll, aber ich sehe nur, dass Debatten über Crowdsourcing beiderseits von Eifersucht auf das entweder jeweils “moralisch bessere” oder “cleverere” Geschäftsmodell getrieben sind und nicht darüber, was eigentlich wirklich passiert.

Dieser Irrglaube ist das häufigste Problem, das ich mit manchem Kunden habe. Wobei ich feststelle, dass je kleiner (ungebildeter? werfe ich mal arrogant in den Raum) der Kunde, desto mehr Irrglaube. Welcher nicht einmal durch Geduld, freundliche und gutmütige Aufklärung zu beheben ist, sondern erstaunlicherweise auf geharnischten Widerstand trifft. Mit dem erbitterten Vorwurf, mit “unnützen” inhaltlichen statt Oberflächen-Behandlungen nur künstlich den Preis rauf treiben zu wollen, hatte ich sehr oft zu kämpfen. In 10 % führte das zu Abbruch der Geschäftsbeziehung von meiner Seite aus – es herrscht Vertragsfreiheit, mei – und der Rest war ein Hin- und Hergeziehe, ein immer wieder Päppeln und Anspornen, dass ich vom Gedanken daran bereits erschöpft bin. Daher verdränge ich diese Art unguter “Design-Prozesse” lieber.

Ich mag nicht daran denken, was noch kommt, die Zeiten werden jedenfalls nicht besser. Und mancher liebe Standeskollege nutzt jeden Strohhalm, ins Geschäft zu kommen. Und schon ist man wegen 3 Mark fuffzig draußen, da zu “teuer” und zu “anstrengend”.

Man kann jetzt hergehen und sagen, ist doch prima, gut für den, der wirklich durchdachtes Design (Semiotik, Inhalt, gute Geschichten/Typografie auf dem Punkt und weiß der Geier) statt hübsche Oberflächengrütze abliefert. Diese andere oberflächlichere Klientel, Kunde mitsamt grafischer Mitbewerber, verdient es, gemeinsam miteinander unterzugehen, denn ihre Arbeit ist hübsch aber schlecht. Unternehmen, die ihr Design auf Oberfläche abstellen, werden schlechtere Chancen auf dem Markt haben, bla, Grafiker, die ihre Haut hübsch und billig verkaufen, werden auch immer nur herumkrebsen, bla.

Aber stimmt diese schöne (da tröstliche) Markttheorie auch? Noch sehe ich das nicht. Ich sehe, dass sich Schrottwerbung und Design-Glump (bairisch für Schrott) ganz gut verkauft und kein Unternehmen deswegen pleite gegangen ist.

Man sollte diese Markttheorie überprüfen. Kann sein, dass wenn alle auf der Religion Style sind, dass sich die Markt-Parameter längst verschoben haben.
Ich sage bewusst Religion, da mich das Wort Irrglaube dazu inspiriert hat. Und wer gegen Reilgion ankämpfen will, der tut gut daran zu wissen, dass er Thesen an Kirchtüren nageln muss, dass er exkommuniziert wird und sich auf Kreuzigungen gefasst machen muss. Amen.

So wird das mit dem Web 3.0

In der Installation von Vista lässt sich der Explorer nicht mehr ausknipsen, der User wird zwangsgesurft. Und automatisch in Facebook, Lokalisten, Xing, DeppenVZ, MyFace und Spinnr eingeloggt.

Jede Stunde veröffentlicht sich ein Tweet in Ihrem Twitter-Account, sofern Sie nicht selbst einen erstellen. Diese Autotweets erwähnen nicht mehr als dreimal einen unserer Sponsoren, den wir aus Ihrem auf individueller Sicherheitsstufe gespeicherten Interessenprofil auswählen, die weiterhin dafür garantieren, dass unsere Angebote werbefrei bleiben.

Wer unter einer individuell (Alter, Jahreseinkommen, sexuelle Orientierung) festgelegten Anzahl von Kontakten bleibt, bekommt Chinesen vorgeschlagen: “Wollen Sie jetzt Schanghai hinzufügen? — Ja | Ja, 10 | Ja, 10 hoch [Eingabe] | Ja, alle | Nein, später erneut fragen | Neustart”.

Bei der content generation ist eine Qualitätskontrolle nicht mehr vorgesehen: Die User sind genau wie ihre Maschinen lernende Systeme, die im Zuge von Web 2.0 das relevante PR-Pidgin implementiert haben.

Google Earth hat mir eine Urlaubsreise gebucht. Mal sehen, wo’s hingeht.

Wer sich an Web 2.0 erinnern kann, war nicht dabei.

Soundtrack: Andreas Dorau: Die Welt ist schlecht, aus: Die Doraus und die Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen, 1983.

“Fachwissen ist uninteressant.” Teil1

"Richtig manipulieren.

Niemand kauft Ihnen etwas ab, nur weil Sie auf Ihrem Gebiet kompetent
sind. Ihr Fachwissen ist selbstverständlich, sonst käme ich doch gar
nicht erst zu Ihnen!“

Geht es dem Leser auch so, von solchen textlichen Trainer- oder Coach-Anreißern massiv genervt zu sein? Meist übergehe ich solche Dinge, wenn sie mir in Newslettern oder im Netz begegnen, weil sie seltsamerweise plötzlich recht harmlos weiterreden – um wohlbekannte Binsen zu formulieren, wo ich das Gähnen unterdrücken muss. Weil mir der Tag zu schad ist.

So wie bei der Weiterrede, die exakt auf die obige  "provokative" Anmache folgt, dass Fachwissen uninteressant sei:

"Erfahren Sie von der Kraft der Vorannahmen. Lernen Sie, wie Medien Meinungen nach Belieben bilden oder ändern. Hören Sie, warum wir immer wieder den gleichen Mustern folgen."

Ja. Könnte interessant sein. Könnte. Weil der gewiefte medienerfahrene Leser das schon weiß. Könnte, auch, wenn es nicht so einen plötzlichen inhaltlichen Bruch gäbe und fad formuliert und brav daherkäme.

Was fehlt

Hier wäre Schreiber-Fachwissen nötig: Der fachwissende Kommunikator, der sich mit Menschen, Aussagen und Texten beschäftigt, bemerkt hier den deutlichen Bruch zwischen Anreißer und Weiterführung. Manchmal bemerken ihn sogar Journalisten^^.

Wo ist der Punkt

Wenn der geneigte Leser nicht gleich drauf kommt, was ich meine: Der geistige Bruch zwischen der Verheißung im Anreißer (der Headline, der Überschrift oder wie auch immer Sie das nennen), dass Fachwissen für den Erfolg nicht wichtig sei und der seltsamen Conclusio darauf, dass man von den Medien lernen solle, wie man Meinungen steuert. Der Sprung zu dem Medienthema ist nicht nachvollziehbar: Was hat es mit dem sich persönlich gut Verkaufen per Presse zu tun, wenn der Dienstleister bereits beim Kunden ist?

Solcherlei Sprünge macht nicht einmal BILD, sondern sie bleibt beim hechelnden Thema und zieht es schmatzend durch. (Aktuell: Der Amokschütze in Baden-Württemberg)

Public Relations in eigener Sache

In der Weiterführung gemeint ist Public Relations in eigener Sache, die man geschickt(er) machen solle, indem man von den "tollen" Medien abschaut. Aber man kommt spontan nicht über diese Brücke.  Warum? Tja, das ist der Fehler, der Bruch, den der Fachwissende sofort sieht:  "Abgeholt" wird der interessierte Leser dabei, wie er als Dienstleister vor dem Kunden steht, der ihn ja eh für sein tolles Fachwissen geholt hätte. Dann aber wird er stehen gelassen und plötzlich mit der Binse zugedeckt, dass er von der Presse lernen solle.

Hallo? Jemand da? 

Ein Profi hätte diese "Auflösung" entweder nie so geschrieben, oder eben einen anderen Anreißer für das Thema "Steuern der tollen Medien"  gewählt. Eine elementare Sache, die sogar der junge Copywriter-Praktikant in Werbeagenturen lernt, dass das so nicht geht. Und er lernt in guten Agenturen, wie es anders und besser geht.

Fachwissen ist durchaus nicht selbstverständlich

Nicht alles, was sich auf dem Markt tummelt und sich Texter oder Journalist nennt, hat Fachwissen und Professionalität. (Haben wir ja gerade gesehen.)

Und klar sind Diplome oder Uni-Abschlüsse nur die halbe Miete. Ein Blick in den beruflichen Werdegang aber und in die beruflichen Stationen des Dienstleisters, Texters oder Designers hilft sehr. Weit entgegen der provokativen Aussage, dass Fachwissen nichts nütze, da es eh jeder haben müsse. Letzeres ist Dummfasel.

Nachtrag: Medien sind eben nicht toll

Ich halte es für fatal, wenn ein Dienstleister/Unternehmer versucht, nach einer solchen Anleitung mit den Tricks der Medien PR so zu machen, wie die Medien es vormachen. Wenn ein Cocch oder ein "Erfolgs"-Trainer versucht, Ihnen das weis zu machen, verlangen Sie seine Ausbildungs-Zertifikate oder noch besser: Suchen Sie gleich das Weite.

Oder möchten Sie von einem Manipulations-Crashkurs-Besucher bedient werden? (Diese Frage ist manipulativ :-) )

Disclosure: Dieser Beitrag wurde von dem Designer des Teams geschrieben. Bitte keine Anwürfe, was Kommafehler, fehlende Blancs oder Tippfehler betrifft, danke! Unser Blog ist authentisch, spontan geschrieben. Die Texte kommen – anders als bei Presseveröffentlichungen, Ratgebern und Broschüren, da muss es – nicht ins teuere Lektorat :-)


Tantenbesuch

DIE ZEIT schreibt mir. Persönlich. Nicht zu fassen, die gibt's noch.

Bildung ist die Basis für persönliche Entfaltung, Wohlstand und sozialen Frieden in unserer Gesellschaft. Über die große Bedeutung eines erfolgreichen Bildungssystems sind sich deshalb auch fast alle in diesem Land einig. Doch die Frage, wie dieses Ziel erreicht werden kann, ist heftig umstritten.

Da hat sie ja dann auch recht, die gute Tante. Keine Chance zu widersprechen, das ist so bei Predigten. Ist denn schon Sonntag? Hach nein, sonntags wär ja keine Post gekommen.

DIE ZEIT möchte nun mit Ihrer Hilfe herausfinden, was unser Bildungssystem wirklich braucht.

Das ehrt mich dann doch. Sie wollen wissen, was dieses Land wirklich braucht, um Wohlstand und sozialen Frieden zu entfalten, und haben zuerst an mich gedacht. Alten Damen soll man ja über die Straße helfen, wenn sie einen von der Seite anquatschen.

Und dann ein 6-Seiten-Flyer Altarfalz mit elf Fragen, meistens mit Antwortmöglichkeiten "Ich stimme voll zu", "Ich stimme teilweise zu", "Ich stimme nicht zu": "In Deutschland haben alle Kinder die gleichen Bildungschancen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft" (Frage 3). Soll das gebildet aussehen? Na gut, zu meiner Schulzeit standen die Eliteuniversitäten in Oxford, nicht in München.

Immerhin: Als Dankeschön erhalte ich auf Wunsch "4 Ausgaben der ZEIT inklusive des ZEITmagazins gratis" und sogar eine Uhr oder einen Kuli, wenn ich vergesse zu kündigen, halt nein: nach 4 Ausgaben weiterlese, und: "Das Porto zahlt DIE ZEIT für Sie!"

Soll man jemandem wie der ZEIT Marketingmaßnahmen unterstellen? Die war ja sicher auch mal jung — oder wäre das so ähnlich wie Dame Edna mit Schlampenstempel?

Ach Gott, wenn die richtige Tante kommt, darf sie doch ein bissel dummquackeln, wenn sie einem dafür Räuberheftchen mitbringt.

Soundtrack: O Tante Klara, ich hab dich tanzen gesehn featuring Saxofonového Orkestru Dobbri, Hud. J. Petersburski, slova R. Jurist. zpívá J. Láznicka, ca. 1929.

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