Update zu Der triviale Pursuit of Happiness oder: Lebbe is kei Twitterwidget:

Junge Leute werden viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel fortgerissen; Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt; Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen Fazillitäten der Kommunikation sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbieten, zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren.

Goethe, 1825

Das Blickfeld der Marktforschung ist kein schmeichelhafter Aufenthalt. Man müsste jedem raten, ihn zu meiden, aber man sucht sich das nicht aus. Das Blickfeld der Marktforschung ist flächendeckend bis zur Deckungsgleiche mit ihrem Forschungsgegenstand, und der sind Sie.

Ja, Sie da am MacBook Pro. Kein Grund zum Zusammenzucken. Sie sind auch nicht besser durchschaut als Ihr Nachbar mit dem fünfjährigen Medion, mehr als hundert Prozent geht nicht. Und ich, Ihr freundlicher Anbieter grandioser Texte, ja dann auch irgendwie. Wissen Sie, wie die uns nennt, die Marktforschung, übrigens im Gefolge aller Industrien, die uns Gegenstände und Abstrakta zu verkaufen suchen?

Endverbraucher.

Eine Un. Ver. Schämt. Heit. Endverbraucher, das klingt wie der Arbeitstitel für einen neuen Beschleuniger zum Kompostieren. Nach einem fettleibigen Ritalinopfer, das dauernd angebraust kommt und die schönen neuen Sachen kaputt macht, die es nicht zusammenfressen kann. Nach Enddarm. Nach dem letzten Arschloch. Und jetzt raten Sie mal, was dem Endverbraucher folgerichtig zugestanden wird.

Qualitätshaltige Gegenstände und Abstrakta, nennen wir sie Produkte und Dienstleistungen? Ja nee, is klar, ne. Und seit jeder vom Ein-Euro-Jobber bis zum Papst jeder mal irgendeine Grundausbildung in Marketing mitgemacht hat, benimmt er sich auch so, der Endverbraucher, und gibt sich mit der letzten Scheiße zufrieden. Ohne von ferne darauf zu verfallen, dass es anders gehen könnte.

Schon reiht sich das Wort Qualität in die Kuriositäten aus dem Wortmuseum: als etwas, das Ihre Oma in den Gugelhupf gerührt hat, drei Vaterunser lang zum Herzen hin. Die Hirnregion für Qualität ist eine Art Steißbein, die für Kosten-“Bewusstsein” wuchert. Qualität soll’s noch geben, auf so einem Hippie-Bauernhof hinterm Chiemgau, gar nicht schlecht, sagt der Berufstrendsetter im Starbucks mit den grauen Schläfen, der bei Manufactum einkauft, sollten Sie sich ruhig mal ein Portiönchen kommen lassen, ist richtig süß, aber lassen Sie sich nicht übern Tisch ziehn, die nehmen’s vom Lebendigen! Abgesehen davon überlebt Qualität in der Philosophischen Fakultät als Kantische Kategorie, aber nichts, was man heute oder morgen mal brauchen kann, so als Endverbraucher.

Wir sind Endverbraucher geworden, weil wir dachten, das heißt halt jetzt so. Fragt noch jemand, ob Sprache Gedanken bildet oder ausschließlich umgekehrt? Diese fundamentale Missachtung unserer Rolle als einer von zwei gleichwertigen Geschäftspartnern rächt sich jetzt an allen Beteiligten, denn bestimmt muss sogar der Ackermannsepp ab und zu ein Häppchen essen. Wahrscheinlich Tütensuppe. Und an Feiertagen, weil er sich’s leisten kann, was Richtiges. Wegen der Dings, der Qualität.

Solange das Wort Arbeitgeber Menschen bezeichnet, die Arbeit auf ihre restlichen Kapitalberge häufen, und das Wort Arbeitnehmer Menschen, die nichts anderes herzugeben haben außer Arbeit, bin ich wahrscheinlich wieder der einzige, der sich daran stört, dass ich Endverbraucher sein soll, obwohl ich mein Konsumverhalten als Investition in meine Produktivität betrachte — das ist so wie mit den Autos und dem Benzin, das sind doch die Vergleiche, die sie verstehen, die Marktforschung und die Anbieter von Produkten und Dienstleistungen.

Heute: Konsumboykott, Mutter hat fränkische Büchsenwurst von so einem Hippie-Bauernhof geschickt.

Soundtrack: Wolfgang: Trödler Abraham, 1973.