Marketingplanungen für heute abgeschlossen? Ihren guten Vorsatz des täglichen Networking-Anrufs erledigt? Tee statt Kaffee? Sitzen Sie orthopädisch vorteilhaft? Fein, dann sind Sie ja so jemand, der gerne mal diese Betroffenheitslyrik liest.

Falls noch jemand Zweifel hatte, dass eine natürliche Auslese lebensuntüchtiger Elemente politisch gewollt ist: Die Zeitungen werden heute voll mit der folgenden Meldung sein, was nicht lange anhalten wird. Ich wähle die Version aus der Süddeutschen Zeitung und teile nach Art von Erich Fried den — gekürzten — Wortlaut in Verse auf. Dann ist es Kunst und muss niemanden erschüttern.

Ein
arbeitsloser
Mann
geht in den Wald,
um zu sterben.

Ein Hochsitz,
wie es sie im Solling
zu Hunderten gibt,
nicht weit
entfernt von einem
Erlebnis-Waldweg
in der Nähe
des Ferienorts
Uslar.

Jagd-Kollegen
von Hennecke
entdeckten die Leiche
des Mannes, als sie
am vergangenen Freitag
ein paar morsche
Bretter reparieren wollten.

Der Arbeitslose,
davon geht
die Polizei aus,
hat seinem Leben
durch Nahrungsverweigerung
ein Ende gesetzt.

Polizeisprecher Harald Falkenhain
bestätigt am Dienstag
Angaben der
Sollinger Allgemeinen
Zeitung
, dass der
Arbeitslose
in seinen
letzten Lebenswochen
ein Tagebuch
geführt hat, das
neben der Leiche
gefunden wurde.

Seine Ehe
sei gescheitert,
seine erwachsene
Tochter habe sich
von ihm losgesagt.
Und als er im Oktober
kein Arbeitslosengeld
mehr bekam, habe er
sich mit dem Fahrrad
auf den Weg gemacht
von Hannover
Richtung Solling.
Uslar liegt
mehr als 100 Kilometer
südlich der niedersächsischen
Landeshauptstadt.

Ein kleines Mädchen
habe den Hochsitz
erklimmen wollen, sei
aber von seinem
besorgten Vater
zurückgerufen worden.

Als die Jäger
ihn jetzt fanden,
lag der Tote,
der vertrocknet und
wie mumifiziert
ausgesehen hat, auf
einer alten Matratze
auf dem Boden
des Hochsitzes.

Das Tagebuch
des Toten wird
jetzt an seine Tochter
geschickt. Der 58-Jährige
hatte in dem Büchlein
darum gebeten.

Text: Süddeutsche Zeitung: Arbeitsloser hungert sich auf Hochsitz zu Tode,
12. Februar 2008, gekürzt.