Am gefährlichsten sind die, die sich einbilden, sie könnten denken.

Meister Eder in: Pumuckl und die Katze, o.J., ca. 1969

Jerboa

Moderne Möglichkeiten der Textverarbeitung und Marketingausbildungen für alle Menschen zwischen Hartz-IV-Opfer und Bill Gates haben einer Auffassung Vorschub geleistet, jeder könne schreiben.

 

Stimmt. In Word immer schön auf der Zeile zu bleiben ist schwer zu vermeiden, wenn man einen Fehler macht, wird er rot unterringelt, Deutsch reden muss man sowieso den ganzen Tag, und wenn man seinen nächsten Milestone so nicht erreicht, gibt’s eben Saures.

Die höhere Schule, die Sie und Sie und Sie — na, Sie natürlich schon — eben nicht ohne weiteres hinkriegen, ist aber der Ausdruck dessen, was den Leser in der Weise berührt, dass er nach dem Lesen nicht mehr derselbe ist. Dass er fühlt: Hups, eine neue Erkenntnis! oder: Stimmt, muss ich jetzt wirklich machen!, oder: Hey, so hab ich’s ja noch nie gesehen!

Solche Effekte, auf die Sie als Werbetreibender schließlich aus sind, kann man durch Aphorismen erzielen — muss man aber nicht. Diese sprachlichen Pendants zu Glasperlen wirken immer bemüht, ihre Berechtigung haben sie als Lösungssätze zu Kreuzworträtseln (“Wein ist das, was man trinkt, wenn das Bier alle ist.”), die Anerkennung, die man für sie erntet, gleicht der für kleine Kinder, die jetzt auch schon wie ein Großer aufs Töpfchen können, das Ergebnis dem Inhalt des letzteren.

Aphorismen durfte nur Lichtenberg, so wie nur der eine vergessene Genius, der zum ersten Mal “Herz” auf “Schmerz” reimte, “Herz” auf “Schmerz” reimen durfte. Das könnte Otfried von Weißenburg um 870 getan haben, der erste nach ihm fing schon an zu nerven.

Ich werde nicht enden zu sagen: Eine Aussage, egal ob in einem stabgereimten Gedicht oder in den AGB Ihrer Geschäftswebsite, wird spannend durch ihren Inhalt. Interessant ist immer das Was, nicht das Wie.

Otfried, Lichtenberg, Meister Eder (oder wenigstens Ellis Kaut), der alte Werbetext-Haudegen Reinhard Siemes und der postmoderne Skalde Funny van Dannen — alle sind sie klassisch geworden, weil sie Inhalte vermitteln, statt ein paar lobenswerte Deutschkenntnisse um ihrer selbst willen zur Schau zu stellen.

Klassisch von Klasse. Was unterscheidet Kafka von den Romaneschmieden der deutschen Romantik, die jeder zwanzigmal so viel geschrieben haben wie der? — Die Stringenz im Vermögen, einen Inhalt zu vermitteln.

Gerade Kafka wird bis heute in den Schulen gelesen, weil er nicht viel Platz brauchte, um seine Gedanken zu entwickeln. Versicherungsangestellter bei Tag, schrieb er sich nachts die Seele frei, um sechs ging schon der Wecker. Kein Wunder, dass einer da atemlos das Wesentliche festhält. Die Schüler danken ihm zuerst, dass er kürzeren Prozess macht als der Vollzeitromancier Thomas Mann, und später, dass er einem sogar etwas fürs Leben mitgibt. “Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.” Kein Wort zuviel, und Publikumspreis 2007 als immerhin zweitschönster erster Satz der deutschen Literatur.

Noch einer, der mir früh im Leben mit einer ähnlichen Qualität aufgefallen ist, war Charles Bukowksi. Gegen seine Inhalte kann man einiges einwenden, aber er vermittelt sie mit der notwendig kalten Schnauze dessen, der etwas zu sagen hat. Der Mann brauchte eine Romanlänge, um über seine Lebensgeschichte zu variieren, richtig gut ist er in seinen Maulschellen von Kurzgeschichte (Anspieltipp: You Kissed Lilly aus Hot Water Music!), seine Gedichte sind Gedichte geworden, weil noch weniger Zeit war. Gehn Sie mir doch mit Hemingway.

Innerhalb der statistischen Mehrheit, die Dinge wie Sprache, Texten, Formulierkunst, ja sogar Kommunikation im Marketing, für allgemein zugängliche Pflichtübungen hält, sind das derart unterschätzte Qualitäten, dass ein Berufsschreiber kaum dagegen ankommt. Keiner Message ist damit gedient, wenn sie sich in Formulierungsgeschneckel ergeht. Deswegen verhungern die Dachstubendichter, deswegen soll der Drucker gleich mit ein bissel aufs Lektorat schauen, deswegen bauen sich die Leute Werbefilter in den Fernseher.

Versuchen wir’s mal selbst:

Die mongolische Riesenohr-Springmaus, über deren Lebensweise wenig bekannt wurde, ist vom Aussterben bedroht. Erst seit kurzem existiert die erste Filmaufnahme von ihr. Ein inhaltlich bis zum Anschlag verdichtetes Dokument ohne Gelaber.