Es ist die Heilige Nacht. Die Nacht, in der die Tiere sprechen können. Moritz ist, wie alle Katzen, die klügste Katze der Welt, und kann es das ganze Jahr. Er kennt zwei Wörter und kommt blendend mit ihnen aus. Neng heißt: Hunger.

In diesem Zeitalter von Amazon habe ich meine zahllosen Weihnachtseinkäufe längst stressfrei erledigt und fast vergessen, dass Vroni, Moritz und irgendwie sogar ich zu Weihnachten anständiges Futter wünschen. Moritz erwartet mich schon in der Küche.

„Ente“, schnuppert er.

„Nix für dich“, sage ich und rette die Einkaufstasche vor seiner Zudringlichkeit.

„Du wirst mir doch nicht meinen Anteil versagen“, maunzt Moritz. „Neng!“

„Als ob ich dir je deinen Anteil versagt hätte.“

„Immer erst anbetteln muss man dich.“

„Könnte ich dich daran hindern?“

„Ich schaue gern selber, wo ich bleibe.“

„Dann geh nach Mäusen.“

„Siehst du, was ich meine?“

„Sophist!“

„Genau das liebst du doch an mir.“

Wie immer muss ich Moritz Recht lassen. Ich räume den Küchentisch mit Lebensmitteln voll, die Ente liegt zuunterst in der Einkaufstasche. Hoffentlich lange genug, bis Moritz sie vergessen hat.

„Talking of Lieben…“, fängt Moritz wieder an.

„Spekulierst du auf die Ente? Dann vergiss es einfach.“

„Aber es ist doch das Fest der Liebe!“

„Was weißt du davon, du kleiner Heide?“

„Auch wir Ungetauften lieben.“

„Jawohl – Mäuse. Ein platonisch Ding, ein einseitiges dazu.“

„Ich hab nicht darum gebettelt, sterilisiert zu werden.“ In Wirklichkeit ist Moritz nämlich ein Mädchen, was man über seiner burschikosen Rhetorik oft allzu leicht vergisst.

„Was ist jetzt mit deiner Entenliebe?“

„Warum schleppst du ausgerechnet heute diesen überaus reichen Beutezug nach Hause?“

„Vroni steht drauf.“

„Richtig und gut. Du bist ein braver Ehemann und Kollege.“ Langsam macht er mich misstrauisch. „Meine Frage war: Warum ausgerechnet heute?“

„Weil Weihnachten ist?“ versuche ich vorsichtig.

„Gönnst du deiner Frau an normalen Tagen keine Ente?“

„Ich gönne meiner Frau an allen Tagen alles“, antworte ich und frage mich, warum ich meiner eigenen Katze gegenüber schon wieder in der Defensive bin. „Worauf willst du hinaus?“

„Ich hab mich nur gefragt“, lässt Moritz sich auf dem Küchenstuhl nieder und fängt demonstrativ beiläufig an, seine Vorderpfote zu schlecken, „ ich hab mich nur gefragt, „ob du alle deine Lieben so knickerig behandelst.“

„Knickerig? Ich erbeute Ente und bin knickerig?“

„Warum hast du so ein schlechtes Gewissen?“ Ich halte seinem Blick nicht stand.

„Vroni verdient jeden Tag nur das Beste. Und am Heiligen Abend verdient sie eben…“

„… noch was Besseres als das Beste. Herr Magister, Sie haben schon schlüssiger argumentiert.“

„Unsereins pflegt Rituale. Davon verstehst du nichts.“

„Davon versteh ich sehr wohl was“, schnurrt Moritz und geht zum Beweis zur Hinterpfote über.

„Dann möcht ich nur wissen, wer hier wem nichts gönnt. Seit ich reingekommen bin, bist du dabei, mir unsere Ente abzuschwatzen.“ Schon höre ich selber, wie schrill meine Stimme geworden ist.

„Geiz ist geil, gell? Ich hinterfrage nur dein Verhalten. Das Vorrecht der potentiell schwächeren Kreatur. Auch das ist Demokratie, Meister.“

„Verblüffend nur, dass dir das pünktlich dann einfällt, wenn du die Ente, die du haben willst, noch nicht mal gesehen hast. So gefroren ist die sowieso ganz bestimmt nix für dich. Für deinen Anteil werde ich auf dich zukommen. Bitte gönn uns jetzt unseren Heiligen Abend.“

„So ein Heiliger Abend dauert ungefähr zwei DVDs lang. Und da ist noch nicht mal das Bonusmaterial reingerechnet. Also mach mal halblang.“

Das hat man davon, wenn man seine Katze an kulturellen Errungenschaften teilhaben lässt. Als ich die Ente endlich auf den Tisch wuchte, ist Moritz schon ganz in die Reinigung seines Schweifes vertieft. Inzwischen hat sich Vroni vom Computer losgeschnallt und betritt die Küche.

„Du hast eine Ente erwischt!“ jubelt sie, „da wird sich das Moritz aber freuen!“ und krault ihm den Backenbart.

„Neng“, sagt Moritz.