Dem Stoiber gilt der Sängergruß:
Schwarzbraun ist die Haselnuss.

Biermösl Blosn: Grüß Gott, mein Bayernland,
aus: Grüß Gott, mein Bayernland, 1982.

“Nä, wat soll ich denn da sagen? Die könnten ja auch sagen: Heino, die Aufnahme find’ ich scheiße, warum ham Sie dat denn gemacht? Aber: Is’ noch nich’ einer gekommen. Nä, vielleicht wird mal einer kommen, den sie vielleicht lanciert haben. Is’ kein Problem, werd’ ich auch mit fertig.”

Heino im Interview mit Holger Gertz: Kalte Sonne,
in: Süddeutsche Zeitung, Montag, 18. Februar 2013, Seite 3.

Die schlechte Nachricht zuerst: Die deutschen Download-Charts werden von untoten Namen wie Andrea Berg und Matthias Reim bevölkert – nicht irgendwo auf billigen hinteren Plätzen, die von ein paar Hipstern verursacht wurden, die solches Zeug zum Beschallen einer dreifach ironisch gebrochenen Retro-Horror-Party brauchen, sondern in den Top Ten, die von einem Mainstream verursacht werden, der das bitter ernst meint, wenn er sich für Geld “etwas Musik gönnt”. Die gute Nachricht ist: Auf Platz 1 steht nicht mehr Heino.

So bescheiden wird man. Seit vor rund fünfzig Jahren ein auffallend blonder Volkssänger mit einer etwas bemüht wirkenden Sonnenbrille in Erscheinung trat, kam ein sicherer Lacher dabei rum, wenn man ihn gebührend persiflierte. Das wurde von Anfang an getan, daran verletzt sich niemand mehr, und man sollte glauben, daran seien alle Beteiligten seit Jahrzehnten gewöhnt.

Nicht alle. Der persiflierte Heino selbst hat immer noch sein Problem damit. Er hat sich immer wieder zu seinen Parodisten geäußert – meistens in dem Sinne, dass sie alle eben nur Imitationen sind, die ihm nicht das Wasser reichen können, weil er derjenige mit der Gesangsausbildung ist, alle drei Oktaven von “Ja, ja, so blau, blau, blau blüht der Enzian” unfallfrei rauf und wieder runter kommt und deswegen von einem sehr viel größeren Publikum sehr viel mehr geliebt wird. Das schien ihm immer wichtig zu sein: geliebt zu werden, ein beliebter Sänger zu sein, Fans sonder Zahl zu haben und darin alle anderen zu übertreffen.

Dafür kann Heino grundsätzlich höchst genaue Zahlen anführen, die ihm niemand nachrechnen muss; das mit den drei Oktaven “Enzian” stimmt jedenfalls dann, wenn man den nicht obligaten Jodler aus dem letzten Refrain mitrechnet. Niemand bezweifelt, dass Heino technisch ganz beeindruckend singen kann: ein ausgebildeter, samtweicher Bariton, der jederzeit souverän durch die Extremanforderungen des Schubertschen “Ave Maria” kommt. Unbenommen: Das ist saubere Arbeit.

Das hätte genügen können. Und jetzt soll es auch noch “cool” sein. Heino parodiert zurück – indem er Lieder von Musikern einsingt, die er anscheinend für eine Art Schulhofschläger hält, die all die Jahre auf den armen kleinen Heino eingeprügelt haben: Ärzte, Rammstein, die Toten Hosen, eben die üblichen Verdächtigten.

Als 1985 die Toten Hosen eins ihrer Mitglieder als “Der wahre Heino” ausgaben, ihre sichtlich hanebüchene Behauptung bis zur Kunstform des Happenings ausreizend, konnte Heino das überhaupt nicht cool finden. Der “wahre” Heino verharrte auch dann noch in seiner Rolle, als er auf Unterlassung verklagt wurde. Seine Geldstrafe bezahlte er nicht, er saß sie eisern im Gefängnis ab. Bei wem blieb jetzt in dem Spiel die Coolness?

Trotzdem sollte sich ein Sängerwettstreit um Musik drehen und nicht darum, wer wen wofür wie erfolgreich verklagt. Zugegeben ist es wohlfeil und leicht, sich eine Wanderklampfe umzuhängen, eine Sonnenbrille aufzusetzen und unter unbeholfenem Gehampel “Blau! Blau! Blau!” zu bellen. Das künstlerische Ergebnis kann man in musikalischer und ideologischer Hinsicht mögen oder nicht.

Und doch zeichnet sich ab, dass Heinos übliches Repertoire – Volkslieder im weitesten Sinne – recht gut funktionieren kann, wenn es mit den Mitteln des Rockers eingespielt wird. Das schiere Liedermaterial ist stabil genug, um allerlei Interpretationen auszuhalten. Denkt noch jemand an Achim Reichel oder Peter Rohland? Die müssten die ersten gewesen sein, die deutsche Volkslieder – und eben nicht volkstümliche – mit E-Gitarre und Schlagzeug durchgezogen haben. Die haben das nicht getan, um Heino oder dessen Sangeskollegen zu erniedrigen, die wollten denen die guten Lieder aus der Hand nehmen, um den Missbrauch an ihnen zu unterbinden. Hannes Wader singt Volkslieder – ohne Schlagzeug und mit Akustikgitarre, aber mit Zupfmustern von Bob Dylan? Das “Ade zur guten Nacht” von Reinhard Mey – ebenfalls ohne Strom und rein taktgebende Instrumente?

Alles klasse Lieder, ohne Häme, ohne Verunglimpfung, anrührend wie ein stilles Naturereignis. Nicht alles davon richtet sich gegen einen Heino, kommt aber sehr gut ohne ihn aus. Man kann in Heinos Sinne weitersingen oder ganz anders als Heino, aber man kann keine deutschen Volkslieder singen, ohne an Heino zu denken, das hat er mit seiner Dauerpräsenz über ein geschlagenes halbes Jahrhundert geschafft.

Es reicht ihm nicht. Er glaubt zurückschlagen zu müssen. Das sollte er dürfen. Parodiert wurde er tatsächlich oft genug, und oft genug mit boshafter Absicht: Die erwähnte Aktion seitens der Toten Hosen oder die einschlägigen Auftritte von Otto Waalkes waren keine Hommagen, das waren Polemiken. Gut, dann soll der alte Herr mal zurücklästern und zeigen, was er aus deren angestammtem Musikmaterial machen kann. Cool will er sein? Okay, den Versuch muss er guthaben. Uncool fand ich zuerst sogar die Reaktionen aus der betroffenen Fraktion, die sich darüber echauffierte, wie sie plötzlich ganz ungewohnt zurückparodiert wurde.

Es hat nicht funktioniert. Die Gesangsstimme ist trainiert wie vor zwei Generationen, die Arrangements professionell, die PR allgegenwärtig. Aber dann. Diese angelernte Rocker-Pose war cool gemeint? Dieses Abspulen vermeintlich schlichter Melodieverläufe mit dem Charme einer lizenzneutralen Sounddatei auf Wikipedia soll etwas beweisen? Wenn das mein Vater wäre, ich würde ihm fürsorglich seine Wanderklampfe hinterhertragen, mit der er sich auskennt.

Möglicherweise war Heino dort am besten, wo ich mich persönlich mit dem Gutfinden mal lieber zurückhalten würde: 1977 durfte er im Auftrag von Ministerpräsident Hans Filbinger singen, was kaum jemand singen darf: alle drei Strophen des Deutschlandliedes. Zur Dokumentation, hieß es, für den Schulunterricht, hieß es. Dazu historisches Liedgut, unter anderem das Schlesierlied, “Der Gott, der Eisen wachsen ließ” und vom berüchtigten Ernst Moritz Arndt. Weil das einfach gute Lieder sind, hieß es. Und die Platte hieß “Uns geht die Sonne nicht unter. Heimat- und Vaterlandslieder”. Die verlinke ich mal vorsichtshalber nicht, weil ich nicht ermessen kann, wie legal das ist – aber das wurde einst in einer parlamentarischen Demokratie mit politischer Unterstützung produziert und zugänglich gemacht. Vom Deutschlandlied wurde dann doch nur die dritte Strophe veröffentlicht, die LP in CD-Form zu überführen hat sich aber schon keiner mehr getraut.

Immerhin hat Heino das angebliche auf seine Person bezogene Hitler-Zitat mit dem Leder, den Windhunden und dem Kruppstahl aus dem Interview mit der FAS, das offenbar nicht mitgeschnitten wurde, inzwischen dementiert. Könnte man nicht aus einem besonderen Blickwinkel auf den Gedanken verfallen, man erkenne hier ein Weltbild, das von der demokratischen Meinungsfreiheit nicht gedeckt wird? Wenn Heino, der ja gar kein schlechter Mensch sein muss, so versessen auf Zuneigung ist – bei wem genau will er sich mit seinen Äußerungen beliebt machen? Auf wen bezieht er sich, wenn er 1995 seine Autobiographie mit einem kindlich-trotzigen Lebensmotto “Und sie lieben mich doch” versieht? Und beobachten wir eigentlich seit einem halben Jahrhundert eine Künstlerkarriere oder einen Krankheitsverlauf?

Böse Rocker und andere Musiker, die man für böse Rocker hält, nachsingen, das ist legal – solange man nichts an den Liedern verändert. Parodieren, das ist legal. Ist es auch notwendig, ist es wenigstens bereichernd? Und ist es auch cool?

Nicht, wenn einer den Anspruch stellt, cool zu sein. Immerhin ist er schon gar nicht mehr auf Platz 1. Man wird so bescheiden.

CD-Tipp: Achim Reichel: Volxlieder, 2006.

Seltenheit. Heino ohne Sonnenbrille 15 Euro

Bild: Second-Hand-Schaufenster in der Barer Straße, 2008,
Geschäft erloschen.