Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Kategorie: Text und Übersetzung im wirklichen Leben (Seite 2 von 4)

Achtung an alle! Bitte beachten! Es gilt: und zwar folgendes. Was ist zum Beachten. Bei uns wird der Böhmermann groß geschrieben. Das ist das A und das O.

Update zum Langenscheidt Deutsch—Mutter/Mutter—Deutsch:

Um wieder mal meta zu werden: Wer bloggt überhaupt noch? Nachdem klar geworden war, dass ein Blog-Eintrag doch einen gewissen Aufwand erfordert, war alsbald Sense mit der Blogosphäre, und Twitter kam gerade recht, um sich herauszureden, dass man da gar nicht mehr als 140 Zeichen reinschreiben kann. Zum Vergleich: Ich brauche für einen üblichen Eintrag zwei bis drei Stunden, mit Nachdenken wird’s ein Tageswerk, wenn ich Bilder, Bildlizenzen, belegende Links, ausschmückende Links, zurechnungsfähiges Deutsch, handgeschriebenes HTML, einen Soundtrack, ein Layout und womöglich auch noch eine Idee haben soll, geht die ganze Woche drauf. Meine literaturtheoretischen Auslassungen über die aufregenden Abenteuer von Doctor Faustus und seinen komischen Freunden sind eigentlich zwei Vollzeitjobs. Selbstverständlich sind wir nur die Besten, nicht die Schnellsten. Wenn mir wieder einer seine wertvollen Tipps mitteilen will, wie ich schneller sein könnte — kein Problem: Dann verschieb ich den Eintrag halt einen bis zwei Monate.

Darum gibt’s bei uns kaum jemals was Aktuelles wie den Böhmermann (gestern war sein Pipikackaficki-Video noch da). Es bloggen mithin nur noch die Unerschrockensten und die Schmerzbefreitesten. Bloggen sollten aber solche, die mehr zu sagen haben als 140 Zeichen. Viel zu selten vernommen und gelesen wird der gewinnend markige, allzeit eindeutige Tonfall des deutschen Mittelstands. Noch zu erstellende Weblogs hätten sich Themen zu widmen wie (alphabetisch):

  • Achtung an alle!!!
  • Augen auf und flexibel sein!
  • Bei uns ist der Fortschritt Tradition.
  • Bei uns wird der Kunde groß geschrieben.
  • !!!!!Bitte beachten!!!!!
  • Das ist das A und das O.
  • Da muss man da das Gespräch, das muss man da suchen und in einen Dialog, da muss man da treten.
  • Es gilt: auf Zack sein!
  • Und zwar folgendes.
  • Was ist zum Beachten.

So passiv-aggressiv mein ich das gar nicht: Auch wenn ich mich nicht vor der IHK mit den Kollegen messen lassen muss, wird man wohl noch neidisch sein dürfen.

Soundtrack: Das Handwerk: Die Wirtschaftsmacht von nebenan, 2010.

Writing Bad

“Was haben wir eigentlich noch nie im Auftrag geliefert?”

“Wir haben schon immer alles geliefert. Ohne Verzug und hoffnungslos überbilligt.”

“Ja, aber was war noch nie dabei?”

“Hm … Ein Versepos in mehr als vierundzwanzig Gesängen?”

“Stimmt. Wir werden ins Grab sinken müssen, ohne das Sequel zur Odyssee geschrieben zu haben.”

“Du vielleicht.”

“Wieso, würdest du gern?”

“Nö, wozu denn. Mir reicht der Film.”

“Unterschätz das nicht. Der Nibelungen-Film dauert knapp drei Stunden.”

“Sind ja auch gleich 39 Gesänge.”

“Aventüüüüüren.”

“Stimmt, ist ja Stummfilm, da singt ja keiner.”

“In der Odyssee singt auch keiner, die werden gesungen.”

“Machen wir halt den Stummfilm, da sparen wir uns die Dialoge.”

“Sag bloß, Fritz Lang hat ausgerechnet die Odyssee als Film ausgelassen?”

“In echt schon. Bei Godard hat er wenigstens so getan.”

“Das ist die Lösung: Wir tun bloß so.”

“Dazu müsste man schon Fritz Lang sein.”

“Irgendwas ist ja immer.”

“Du willst nicht wirklich ein Drehbuch ohne Dialoge schreiben. Wie soll das gehen? ‘Odysseus steigt vom Berge Sinai herab und tut so, als ob er Sein oder Nichtsein aufsagt. Dann tut er so, als ob er sich von Kriemhild verabschiedet, um auf der Bounty das Goldene Vlies zu erbeuten’ …”

“… ‘Statt dessen bleibt er aber in Auerbachs Keller hängen und tauscht den Einen Ring gegen ein Tischlein-deck-Dich”, ganz recht.”

“Jedenfalls tut er so. Das werden mindestens sechs Stunden.”

“Heute hat man sowieso eher Fernsehserien zum Binge-Gucken.”

“Braucht eigentlich jede Folge einen eigenen Konflikt?”

“Nicht, wenn du genügend Cliffhanger baust. Immer einen zur nächsten, und yippi.”

“Nein, keine Scripted Reality mit Werbeunterbrechungen.”

“Hätten wir auch noch nie gescriptet, so eine Reality …”

“Man trifft ja selten reale Leute.”

“Realität ist überschätzt. Die haben bloß irgendwelche romantischen Schwärmer Ende des Achtzehnten in die Literatur reingezerrt.”

“Für ein Drehbuch reicht aber heute kein einzelner Quotenneger mehr.”

“Nehmen wir halt Inder. Da gibt’s immer bloß einen einzigen pro Film, und die haben sich nicht so wegen dem Blackfacing.”

“Copperfacing? Noch nicht. Die lernen ja schnell, die Inder.”

“Am besten, du schickst eine arbeitslose lesbische Jüdin im Rollstuhl gegen einen alleinerziehenden Pädophilen aus Eritrea los.”

“Dann brauch ich die sechs Stunden erste Staffel schon für die Exposition.”

“Irgendwas ist ja immer.”

Atmest du gerne? (World Climate Conference Paris)

Was bis jetzt nur Anämiekranke mit gestörter Bildung von roten Blutkörperchen kennen, kann bittere Wahrheit für alle werden:

Wir werden alle nach Luft, um Sauerstoff ringen:

“As it currently stands, more than half of the planet’s oxygen is generated by phytoplankton in our oceans. Once the oceans become six degrees Celsius hotter – an event that some scientists think could happen as soon as 100 years from now – it will interrupt the process of photosynthesis by the phytoplankton. Without that atmospheric oxygen being produced, humans and animals alike will be struggling to find the oxygen necessary to breathe.”

(Quelle: http://www.care2.com/causes/climate-change-might-leave-us-without-enough-oxygen-to-breathe.html)

Kurzübersetzung:

Nur sechs Grad wärmer, dann wird die Produktion des Sauerstoff erzeugenden Phytoplankton (und damit die Photosynthese) auf den Weltmeeren geringer werden.

 

Im Moment stehen wir kurz vor 2 Grad wärmer. Wo ein Wissenschaftler auch schon nicht mehr weiß, ob mit dieser nach erträglich klingender Temperaturänderung nicht schon einige Prozesse plötzlich kippen werden.

Also holt nochmal kräftig Luft!

Bis dahin die Hollies mit  “All I Need Is The Air That I Breathe”

If I could make a wish
I think Id pass
Cant think of anything I need
No cigarettes, no sleep, no light, no sound
Nothing to eat, no books to read …

Kater Mor sieht das auch so.

Und jetzt zu etwas komplett Anderem …

 

 

Austen, Brontë, Woolf

Gegen die galoppierende Verwechslungsgefahr merken wir uns ganz einfach: Jane Austen ist ungefähr die Muttergeneration der Brontë-Schwestern — vor allem der schreibenden Anne, Charlotte und Emily. Zwei Brontë-Schwestern, Elizabeth und Mary, sind noch als Schulmädchen gestorben; vom einzigen Bruder Patrick gibt es auf eine fast theoretische Weise die gesammelten Gedichte, aber die will niemand lesen, bezahlen oder gar übersetzen, ansonsten soll er recht begabt gemalt und vor allem in der Dorfkneipe beim Porter Schoten erzählt haben. Das Alter von vierzig Jahren hat überhaupt nur Schwester Charlotte erreicht, die außerdem die einzige war, die nicht als Jungfrau gestorben ist: Ein Kumpel ihres Vaters hat sich ihrer mit 39 erbarmt, aber damit nicht eine schließlich doch noch geoutete Bestseller-Autorin geheiratet, sondern seine örtliche Pfarrerstochter. Alle anderen welkten pünktlich kurz vor ihren Dreißigsten ab — es herrschte ein hässlich feuchtes, der Lunge junger Mädchen (und Patricks) wenig zuträgliches Hochmoorklima im Pfarrhaus mit Fenster auf den Friedhof zu Haworth in West Yorkshire. Vater Brontë überlebte alle, trotz seiner sechs Kinder der letzte Spross seines Stammes.

Mit Jane Austen, ebenfalls ledigerweise nur 42 geworden, verbindet diese glücklose Familie ein angenehm überschaubares Gesamtwerk, das jeweils in einen einzigen, dann aber geradezu waffentauglichen Band passt, sowie dessen vollständige und sogar mehrfache Verfilmung, für die man sich nicht allzusehr genieren muss, wenn man sie ab und zu binge-watcht. Austen- und Brontë-Filme machen Spaß, sogar noch die richtig miesen, und man verschafft sich mal wieder das nützliche Gefühl, man habe wenigstens versucht, eine Handlung davon zu kapieren.

Viel mehr Schreiberinnen solcher Filmvorlagen sind nicht bekannt. Man kann allenfalls Elizabeth Gaskell, persönliche Freundin und erste Biographin von Charlotte Brontë, und ein paar obskure Georgianerinnen dazuzählen — mit der Schreiberei was fürs Herrenhaus dazuverdienen war erst als Viktorianerin nichts Peinliches mehr — und dann entweder bemängeln oder liebenswert finden, dass immer wieder nur das verfilmt werden kann, was nun mal da ist. Ich finde es sogar bereichernd, in die Tiefe statt in die Breite zu konsumieren — oder finden Sie mal raus, auf welche Verfilmung von Wuthering Heights hin Kate Bush 1978 zu ihrem überkandidelten Ausdruckstanz gejodelt hat.

Vroni nennt dieses durchweg erfreuliche Genre sehr treffend “Häubchenfilme” und guckt lieber Schwedenkrimis, die gar nicht trostlos genug verlaufen und ausgehen können. Recht hat sie damit, dass Jane Austen auf einer Seitenzahl, in der man getrost eine ausgewachsene Romanhandlung unterbringen könnte, gerade einmal das Setting schafft, und wenn’s endlich losgehen könnte, sind alle schon verheiratet. Tot oder glücklich wären sie erst bei Charles Dickens, aber dazu brauchte es historisch noch die Zwischengeneration der Brontinnen (wie ja die Brontës insgesamt so eine Art Charles Dickens für Mädchen sind, was spätestens dann auffällt, wenn bei John Irving in Gottes Werk und Teufels Beitrag den Waisenkinderlein im Wechsel David Copperfield und Jane Eyre vorgelesen werden).

Wer genug Häubchenfilme auf Handlungsdichte und Figurenführung durchgeschaut hat, merkt dann schon, welchen Satz nach vorn die Auffassung von Suspense in dieser entscheidenden Generation vollführt hat: Die Austen stickt noch Bildchen auf Sofakissen, die Brontës spulen schon Filme ab. Es kann auch, wenn man an dergleichen glaubt, an der Geographie liegen: Die Austen erzählt über die englische Südküste, wo am Golfstrom die ersten Palmen gedeihen, die Brontës kauzen über die knorrige Gegend an der Grenze zu Schottland herum. Und Dickens, wieder eine Generation später und von immerhin London aus wirksam, konnte dann sowieso alles.

Weiterhin verbindet Jane Austen und die drei literarisch hervorgetretenen Schwestern Brontë, dass sie im derzeitigen deutschen Buchhandel in mehreren qualitativ unterschiedlichen Gesamtausgaben stattfinden. Das reicht von den besten, natürlich wie immer beim Insel-Verlag, der für solche Gestalten ja geradewegs zuständig ist, bis hin zu Volltextabdrucken in lustigen Eindeutschungsversuchen auf einer Art saugfähigem Küchenpapier, natürlich wie immer bei ganz und gar unnötigen Verlagen, die nur deswegen Verlage sind, weil der Controller gehört hat, dass man in manchen Weltgegenden quasi für nix saugfähiges Küchenpapier volldrucken und in Deutschland preisgebunden verkaufen kann. Beider — oder genauer: vierer — Gesamtausgaben sind in schmucken Sammelkästen erhältlich, weil man mit den einbändigen Ausgaben beim Lesen im Bett Gefahr läuft, sich beim Wegdösen das Nasenbein zu brechen.

So eine Schmucksammlung wünsch ich mir endlich aus einer bis drei weiteren Generationen später: von Virginia Woolf, über deren Orlando in der jüngsten Übersetzung von Melanie Walz man ja Wunderdinge hört. Der ist von 1928 im Eigenverlag einer starken Frau erschienen, da wurden die englischen Könige schon fotografiert statt gemalt, die Engländerinnen wurden zu politischen Wahlen zugelassen und die Häubchen fallen nicht mehr als Stigma unterdrückten Heiratsfutters auf, das ist dann vielleicht sogar für Vroni zeitgemäß genug. Und verfilmt ist der — wenn schon, dann richtig — mit Tilda Swinton.

Filmtipp: Der eine Häubchenfilm, der wirklich richtig was taugt, ist Sinn und Sinnlichkeit nach Jane Austen — aber der von 1995, mit Emma Thompson als Hauptrolle und dem 1996er Oscar fürs adaptierte Drehbuch, Kate Winslet in der anderen Hauptrolle, einem gewohnt doofen, aber gut gelaunten Hugh Grant, dem sowieso immer lohnenden Alan Rickman und ein paar frühen, hinreißend grantigen Kurzauftritten von Hugh “Dr. House” Laurie in seiner Jungform, als er eigentlich noch Musiker war.

Anarchistisches Glaubensbekenntnis

Das Plakat mit dem Text von 1910 hängt zur Stunde noch einige Meter neben dem Kafe Marat, das keinesfalls zu verwechseln ist mit dem Tröpferlbad im gleichen Gebäude; nur inzwischen etwas abgewanzter. Von den zwei Läden will wahrscheinlich bloß keiner “in die rechte Tür” sagen müssen, wenn er neue Proselyten rekrutiert hat. Seine Inhalte mache ich mir vorsichtshalber nicht zu eigen, solange ich es nur korrekturgelesen, aber nicht verstanden hab. Schon gar nicht öffentlich.

Bei den Schweizer Genossen, die das im März 2013 aus dem Italienischen übersetzt haben sollen, fehlt zweimal eine sinnverändernde Wortgruppe, falls es sie interessiert — aber es kommt drauf an, ob von dem Text auf dem Plakat oder dem Text online als maßgeblich ausgegangen wird. Ich sag’s bloß. Venceremos.

Plakat Kafe Marat, La Rivolta, Aufruhr, Ich, 1910, März 2013

La Rivolta, anarchistische Zeitung:

Ich

Pistoia, Italien, 12. Februar 1910,
übersetzt von Aufruhr, Nummer 5, März 2013:

Ich habe einen Verstand, einen Charakter, der mich von meinen Mitmenschen unterscheidet, und ich habe eine Würde, die sich weder verkaufen noch beugen will. Ich habe eine Menge zu verstreuende Energien, zu entwickelnde Gedanken und zu begehende Handlungen. Ich suche nach der Erfüllung von mir selbst, nach der vollständigen Entfaltung meiner Individualität, und in dieser Entfaltung fühle ich mich glücklich. Ich suche nach dem Wohl der anderen oder verachte es, je nachdem, ob ich in ihrem Wohlstand mein Glück oder mein Unglück finde.

Ich will. Ich will materiell frei sein, um sagen und tun zu können, wonach mir ist, ohne dass mir irgendeine Autorität irgendetwas aufzwingt. Ich nehme Kritik oder Ratschläge von anderen an, nachdem ich über sie nachgedacht, sie für gut befunden und verstanden habe; den brutalen Befehl aber verachte ich und weise ich zurück.

Ich spüre in mir selbst die moralische Unmöglichkeit, zu gehorchen. Da ich ein Gehirn habe, das denkt, will ich tun, was ich für richtig halte, und nicht, was meinen Unterdrückern zugutekommt. Ich habe es nicht nötig, dass mich irgendjemand führt und mich beschützt: Man sagt mir, das Individuum könne sich nicht selbst führen, doch wenn ich meine Handlungen nicht regeln kann, dann können noch viel weniger die Regierenden die Handlungen von anderen führen.

Da ich also in der heutigen Gesellschaft nicht frei bin, kämpfe ich mit allen meinen Kräften, um alle Schranken zu zerstören. Ich kämpfe nicht weil ich auf einen weit entfernten Wohlstand hoffe, nicht nur, weil ich Glauben an die Zukunft habe. Ich lebe in der Gegenwart. Selbst wenn ich wüsste, dass ich niemals frei sein werde, würde ich genauso revoltieren, denn ich spüre den Drang gegen jegliche Tyrannei zu revoltieren.

Ich habe keinen Glauben, ich habe keine Dogmen, ich habe keine Sorgen einer Partei oder einer Schule. Ich glaube weder an Gott, noch an das himmlische Paradies oder an das irdische, das die Gesellschaftler vor den Augen anderer wie im Traum aufblitzen lassen.

Ich suche nicht danach, mich mit meinen Mitmenschen für den Ruhm zu vereinigen, einem Verband anzugehören, und unter einem Banner Unterschlupf zu finden. Ich schließe mich zusammen für ein bestimmtes Ziel, und wenn dieses erreicht ist, ergreife ich wieder meine Freiheit.

Ich hasse die konstituierten Formen, weil sie im Widerspruch zum Fortschritt stehen, der beständig alles verändert.

Ich will nicht wissen, es kümmert mich nicht, was die künftige Gesellschaft sein wird. Ich glaube nicht an jene, die im Namen des Volkes, der Menschheit und anderer ungreifbaren und formlosen, kollektiven Körperschaften sprechen, denn man kann das Zusammengesetzte nicht kennen, ohne die einfachen Einzelnen – jeden für jeden – zu kennen – was unmöglich ist. Darum glaube ich nicht an die Abgeordneten, an die Widerstandskomitees, an die Kongresse und alle Parlamentarismen. Nur ich alleine kann mich selbst repräsentieren.

Ich will keine Bestrafungen, ich will keine Gesetzbücher, Formalismen, Stempel und dergleichen. Die moralischen Gefühle drängen sich nicht auf, wenn sie nicht existieren, und wenn sie existieren, ist es nicht nötig sie aufzudrängen. Ich rebelliere gegen die Mode, ich glaube nicht an die Phrasen, an das Recht, an die Moral, an die Justiz. Im übrigen formt sie sich ein jeder für den eigenen Gebrauch und Verzehr.

Ich glaube nur an die Stärke und den Kampf, der das Individuum vorantreibt, nicht, um die Schwachen zu zertrampeln und die Starken zu vergöttern, sondern um sich selbst immer mehr zu erhöhen und zu verbessern. Ich glaube an das Leben, an die Energie. Heute kämpfe ich mit Gewalt, weil ich gegen mich die Gewalt habe; morgen kämpfe ich mit dem Denken, weil ich gegen mich das Denken habe.

Mein Ziel ist es mich zu vervollkommnen; mein Mittel ist der Kampf, mein Verlangen ist die Freiheit.

Mich beschimpfen die Frommen und nennen mich hochmütig, unmoralisch, etc. Ich lache über sie: Für meine Handlungen bin ich nur vor meinem Bewusstsein verantwortlich. Ich bin Atheist, ich bin Rebell, ich bin Anarchist, ich bin frei. Ich bin “Ich”.

Plakat: Kafe Marat München, Thalkirchnerstraße 102,
nach Fernweh. Anarchistische Straßenzeitung, März 2013.

Latein am Ende

Am gefährlichsten sind die, die sich einbilden, sie könnten denken.

Meister Eder in: Ellis Kaut: Pumuckl und die Katze, ca. 1969.

Wie auch schon nicht mehr ganz so kürzlich dargestellt, glaubt heute so ziemlich jeder, er könnte Englisch. Das ist kein deutscher Irrglauben, sondern ein weltweiter.

Wie’s kommt? Die Leute, die zu Gewinn und Verbreitung von Erkenntnis am meisten auf eine gemeinverständliche Sprache angewiesen sind, die Wissenschaftler, durften bis 1906 ihre Aufsätze, Einträge und Bücher zur allgemeinen Gültigkeit in allerlei Sprachen verfassen: Zulässig waren Englisch, Französisch und Deutsch — und eben nicht nur Latein, wie nach einem weiteren weltweiten Irrglauben. Ganze Fakultäten wie Chemie oder protestantische Theologie waren übers 19. Jahrhundert “in deutsche Hände” geraten und nahezu rein deutsche Disziplinen geworden; kleinere Sprachkreise taten sich weniger oder anderswo hervor und waren deshalb schneller bei der Hand, sich anderen Sprachgemeinschaften anzuschließen. 1906 kam Spanien beim Internationalen Botanischen Kongress damit an, ebenfalls Sprache der wissenschaftlichen Nomenklatur zu werden. Das wäre dann eine zuviel geworden, und fortan musste alles auf Latein veröffentlicht werden. Das ist niemandes Muttersprache und muss von allen eigens gelernt werden, die Gehör wünschen, und damit sind alle gleich mies benachteiligt. In der Botanik, und erst ab 1906.

Das macht aber Englisch zu einer unter vielen Sprachen, in der Menschen — auch Wissenschaftler, zum Beispiel Botaniker — denken, und benachteiligt alle, die zufällig eine andere Muttersprache als Englisch haben. Und als Anfang des 20. Jahrhunderts plötzlich Russisch wichtiger wurde als die eine der drei großen traditonellen Wissenschaftssprachen, das Französische, die wahrscheinlich immer noch leicht beleidigten Spanier gleich ein Regal weiter und Latein, mit dem seit dem alten Rom noch nie jemand recht glücklich war, zu groß. Englisch in seiner trügerischen Leichtigkeit und Tragweite setzte sich gegen alle konkurrierenden Sprachen durch und wurde nicht offiziell zur Nomenklatur ausgerufen, setzte sich vielmehr organisch als solche durch. Diese gewachsene Art des triumphs hält sich viel länger, worüber man jetzt allerhand evolutionäre und moralische Betrachtungen anstellen kann.

Dabei ist Englisch gar nicht so leicht, wie es daherkommt: Praktisch alle Wörter außer ein paar allerjüngsten Importen aus anderen Sprachen sind mehrdeutig und in ihren Bedeutungen gegenüber ihren Entsprechungen bei den Nachbarn verschoben, wo nicht gar diametral entgegengesetzt, kein einziges Schriftbild entspricht dem Lautbild, und der wendige Satzbau tändelt einen knappen Gehalt vor, der anderwärts von mehreren vollständigen Sätzen getragen werden muss. Das wird sich in den meisten Sprachen ähnlich verhalten, ist aber kein vernünftiger Grund für die englische Nachfolge für Esperanto und Ido — jene Versuche des 20. Jahrhhunderts, einfache und neutrale Systeme zu schaffen, als das Bedürfnis nach weltumspannender Kommunikation danach schrie.

So mächtig ist Englisch in gerade mal hundert Jahren geworden, dass eine wissenschaftliche Veröffentlichung in jeder anderen Sprache ein Bekenntnis zur zugehörigen Nation darstellt. Wissenschaft auf Deutsch, Russisch, Japanisch, Suaheli, Esperanto — kann man machen, muss man aber wollen. Zum Englischen als gewachsenem Standard muss man sich trotzdem auf die eine oder andere Art verhalten, so wie längst niemand mehr eine Comic-Maus zeichnen kann, die Micky Maus entweder besonders ähnlich oder besonders unähnlich sieht. Die Gleichheit für alle ist damit keine Neutralität mehr.

Das gängigste Beispiel für die feinen, unauffälligen Sprachabstände ist immer wieder der Unterschied zwischen dem englischen because und dem deutschen weil: Gemeinhin wird das eine 1:1 mit dem anderen übersetzt, weil das begreifliche und lesbare Ergebnisse zeitigt. Ab der Schulzeit neigt deshalb ganz Deutschland nebst angeschlossenen Sprachgebieten dazu, beide Konjunktionen für gleichbedeutend zu halten. Eine Detailanalyse des Unterschieds führt in ziemlich tiefe Sümpfe der Philologie, jedenfalls aber macht because eine Art Vorschlag zur Begründung, wogegen weil den begründeten Begriff festlegt. Da ist kein Disput mehr vorgesehen, da wird nur noch verankert.

Die Untersuchung, nach der die Hälfte des akademischen Personalsder Uni Duisburg Schwierigkeiten hatte, auf Englisch zu schreiben, und immerhin noch ein Viertel, Englisch zu lesen, ist mittlerweile 20 Jahre alt, und seitdem wird sich nicht viel gebessert haben, weil jeder — nicht nur Akademiker unter sozialem Intelligenzdruck — den ganzen Tag Englisches liest und hört, sogar schreibt und spricht und damit sogar mehr oder weniger verstanden wird. So viel Englisch kann jeder, um etwas zu vermitteln.

Unter solchen Voraussetzungen sollte sich aber niemand wundern, wenn auf dem Rückweg der Kommunikation wieder nur halbgar Verständliches ankommt. Die Vernetzung der internationalen Wissenschaft mit ihrer angloiden Lingua franca ist eine Flüsterpost.

Das ist eine historische Entwicklung, was auch bedeutet, dass es nicht auf ewig so bleiben wird. Wenn, ja wenn endlich klar wird, dass wissenschaftliche Texte von menschlichen Gehirnen verfertigt und nicht von standardisierten Computerprogrammen, schließt das ein, dass sie der Übersetzung bedürfen, weil und because Wissenschaft etwas anderes ist als Information. Die Technik der Kommunikation macht menschliche Übersetzungen also nicht überflüssig, sie setzt sie vielmehr voraus.

Und darüber, was auf syntaktischer Ebene in menschengemachten wie in technisch automatisierten Übersetzungen gemeinhin aus Gerundivkonstruktionen gemacht wird, können an dieser Stelle nur kurz suprasegmental die Augen verdreht werden.

Literatur:
— Ulrich Ammon: Deutsch als Wissenschaftssprache;
— Michael D. Gordin: Scientific Babel, Profile Books, 2015;
— Burkhard Müller: Nicht zu wissen, dass man weiß, in: Süddeutsche Zeitung, 11. August 2010, Seite 11;
— Wilhelm Ostwald: Weltdeutsch;
— Thomas Steinfeld: Neutral ist nur die Macht, die alle beherrscht, in: Süddeutsche Zeitung, 22. April 2015, Seite 9;
— Winfried Thielmann: Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich: Hinführen – Verknüpfen – Benennen, Synchron Verlag, Heidelberg 2010.

Metaffiti

Ich träume von einer Welt, in der man für ein Komma stirbt.

Émile Michel Cioran.

In letzter Zeit beobachte ich einen gewissen Freizeitgelehrtenstreit darüber, ob man lieber ein Komma zuviel oder das eine oder andere zuwenig setzen sollte.

Schön, dass das Graffito des Jahres sich einer korrekten Zeichensetzung befleißigt. Und schön, es schon in Kalenderwoche 7 zu kennen.

Dinge, die ich hasse, Grafffiti Thalkirchener Straße

Dinge, die ich hasse:

  • Vandalismus
  • Ironie
  • Listen

Thalkirchener Straße: Unbekannter Typograph, 2014 ff.

Cot almahtico

DER HERR hat mich gehabt im anfang seiner wege / Ehe er was machet / war ich da. Jch bin eingesetzt von ewigkeit / von anfang vor der Erden. Da die Tieffen noch nicht waren / da war ich schon bereit / Da die Brunne noch nicht mit wasser quollen. Ehe denn die Berge eingesenckt waren / vor den Hügeln war ich bereit. Er hatte die Erden noch nicht gemacht / vnd was dran ist / noch die Berge des Erdbodens. Da er die Himel bereitet / war ich daselbs / da er die Tieffen mit seim ziel verfasset. Da er die Wolcken droben festet / da er festiget die Brünnen der tieffen. Da er dem Meer das ziel setzet / vnd den Wassern / das sie nicht vbergehen seinen Befelh. Da er den grund der Erden legt / da war ich der Werckmeister bey jm / vnd hatte meine lust teglich / vnd spielet fur jm allezeit. Vnd spielet auff seinem Erdboden / Vnd meine lust ist bey den Menschenkindern. SO gehorcht mir nu meine Kinder / Wol denen / die meine wege behalten. Höret die Zucht vnd werdet Weise / vnd lasset sie nicht faren.

Sprüche Salomo, 8,22–33.

Das ist Wessobrunn.

Ortsmitte Wessobrunn

Wasserwerk Wessobrunn

Das ist der Weg nach Wessobrunn.

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Gates of Wessobrunn

Das sind die Wessobrunnerinnen.

Wessobrunnerinnen Kühe

Das ist das Kloster Wessobrunn.

Kloster Wessobrunn mit Grauem Herzog

Und das, das ist das Wessobrunner Gebet. Neuhochdeutsch, kann man ja noch lesen.

Klosterkirche Wessobrunn, Gebet

Und das ist das Wessobrunner Gebet nochmal in Älter. Althochdeutsch, kann man ja gar nicht lesen. Saualt. So weit von unserer Sprache weg, dass man Holländisch, Plattdeutsch oder das Gegrummel aus dem Landkreis Nürnberger Land besser versteht. So alt ist das Gebet.

Wessobrunner Gebet, Gebtetsstein unter der Gebetslinde auf dem Lindenfleck

Eine von den Wurzeln der deutschen Literatur, kann man ruhig so sagen.

Wessobrunner Gebet, Gebetsstein unter der Gebetslinde am Lindenfleck

Muss man unbedingt mal hin, ist ja ein Geschenk, sowas, dass sich das so erhalten hat. Der Zettel, wo das Wessobrunner Gebet draufsteht, liegt heute ja schon in München, in der Stabi, Clm 22053, 65v und 66r, aber erst seit 1806 oder so, seit dem Napoleon. Haben also sogar die Säkularisierung überlebt, das Kloster und das Gebet, und sehen heute noch gut aus und können einwandfrei benutzt werden.

Und dann kommt da so’ne Frau.

Die Missions-Benediktinerinnen von Tutzing verkaufen das Kloster Wessobrunn an Martina Gebhardt

Nach 99 Jahren haben sich die Missions-Benediktinerinnen von Tutzing entschlossen, das Kloster Wessobrunn zu verkaufen.

Martina Gebhardt, Inhaberin der Firma Martina Gebhardt Naturkosmetik GmbH und MG Naturkosmetik Produktions GmbH, wird mit Ihren Gesellschaften in das 7 km entfernte Kloster Wessobrunn ziehen und dort Produktion, Heilpflanzenanbau, Vertrieb und Tagungshotel einrichten.

Im Weiteren sind Räume für Kunst, Manufakturen und Ausstellungen geplant.

Klingt komisch, ist aber so. Wo die freundlichen Schwestern seit eineinviertel Jahrtausenden auf die Quelle der deutschen Literatur aufgepasst haben, da darf jetzt eine neue Schwester kommen und ihre freizeitayurvedischen Duftseifen zusammenkochen, neben ihrem Tagungshotel mit Aufenthaltsraum, Tischtennis und Beamer. Haben sich eben doch ein paar Wertsetzungen verschoben seit der Zeit vor Karl dem Großen.

Eingang Klosterbücherei Wessobrunn

Klosterführung Bücherei Wessobrunn

Da muss man nämlich ganz gut aufpassen, liebe Kinder, wie es auf dem Zettel, auf dem das Wessobrunner Gebet draufsteht, drunter noch weitergeht. Diesmal lateinisch, also noch ältere Sprache, und gehört deswegen schon nicht mehr richtig zum Gebet dazu. Da steht nämlich:

Qui non vult peccata sua penitere | ille venit iterum ubi iam amplius | illum non penitebunt | nec illorum | se ultra erubescit.

Das heißt auf Neuhochdeutsch, damit es die Frau Gebhardt auch versteht:

Wer seine Sünden nicht bereuen will, kommt dereinst dorthin, wo sie ihn nicht mehr reuen können und er sich ihrer nicht mehr schämen kann.

Und so kommt man übrigens aus Wessobrunn wieder weg.

Bushaltestelle Wessobrunn Kloster, SOS

Bushaltestelle Wessobrunn Kloster

Tintenherz

A person who won’t read has no advantage over one who can’t read.

Mark Twain

Unser Halloween-Beitrag

Schopftintling Zeichen des Verfalls

Fund an den Isarauen. Foto: Vroni Gräbel

Schopftintling - der Verfall eines Speisepilzess

Schopftintling, jung den ersten Tag lang eine kulinarische Köstlichkeit, später mit spektakulärem Abgang. Foto: Vroni Gräbel

Tintenherz – Der Verfall. Statt Kürbisse allenorten.

Dieser Pilz ist jetzt in die Welt des Blog-Lesens als Platzhalter verschwunden. Es gibt ihn bereits in der Natur nicht mehr. *

 

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* Schopftintling, Altersform kurz vor dem Ver-wesen. Als junger Schopftintling wäre er ein hervorragender Speisepilz gewesen.

 

 

Find a Biergarten

Grab Erich KästnerMünchen hat auch schöne Ecken. So viel immerhin lernt man in der PR-Textsammlung Biergartenguide. Die selbstbewussten 14 Euro 90 kriegt man locker wieder rein, wenn man die 40 beiliegenden Gutscheine nutzt: Die meisten Biergärten haben (hoffentlich) zugestimmt, gegen deren Vorlage unter juristisch wasserfestgelegten Bedingungen zwei Maß Helles zum Preis von einer einzigen zu verkaufen. Beim 2014 vorherrschenden Selbstbewusstsein der Münchner Biergartenwirte von um die sieben Euro pro Maß nimmt man da leicht 280 Euro ein, da sind die 14,90 auch schon wurscht, und da schaut man auch über Sätze wie “Im Sommer ist das Park Café nicht zuletzt wegen seiner zentralen Lage ein beliebter Treffpunkt”, Kombinationen aus Substantiv + “pur”, Hinweise darauf, was alles “zum Verweilen” einlade und das allfällige “lecker” (Herrschaftzeiten, es geht um München) generös hinweg.

Gebracht hat mich unser Rezensionsexemplar — schönen Dank an die Autoren Markus Birk und Thomas Hartmann! — auf was: Den Biergarten Sankt Emmeramsmühle wollt ich schon immer mal anschauen. “Historisches Flair gepaart mit einer Portion Tradition erleben Biergartenbesucher am nordöstlichen Ende des Englischen Gartens” sollte einen ja abhalten, und ob ein Wirtshaus eine regionale Küche “neu interpretieren” muss, kann man man auch ziemlich fruchtlos diskutieren, aber sonst scheint der Laden wirklich ganz anständig.

Der liegt nämlich am schöneren Teil des straßenzugweise kreuzhässlichen Bogenhausen, von wo man leicht zum dasigen Friedhof Sankt Georg kommt.

Und schau her: In dem überschaubaren Gräberfeld um die Kirche liegt der Erich Kästner mitsamt der Seinigen Luiselotte Enderle begraben, und mit seinem frisch interpretierten Alpenländer Schutzhüttenbrettl (12,90) im Bauch kann man über teuren Toten sein Kreuzl schlagen, von denen man das Schreiben lernen kann (sollte der nicht heuer vierzigsten Todestag haben? Der Buchhandel spart wohl noch auf den fuchzigsten). Für solche Anregungen ist der Biergartenguide wirklich ganz gut.

Buidl: Sejwergmacht, gmoafrei.

Kann sich eh keiner merken

Update zu Langenscheidt Deutsch—Mutter/Mutter—Deutsch:

Die Merkhilfe zur Halbbildung und zum Ausschneiden.

das: spricht sich bairisch “dees”;
dass: spricht sich bairisch “dass”;
daß: schreibt sich anders.

bayerisch: Land, Leute, Löwe, Raute;
bairisch: Sprache;
bayrisch: Schmarrn.

Impressionismus: was mit Tupfen;
Expressionismus: was mit Blumen.

Lebensgefahr: an der Isar;
Todesgefahr: im Film.

mein: Geist;
dein: Geld.

aufdringlich: live;
zudringlich: mit der Post.

Blödsinn: Internet;
Schwachsinn: live.

chamois, ecru, khaki, marone, mauve, petrol, siena, terrakotta: ungefähr beesch.

Langenscheidt Deutsch—Mutter/Mutter—Deutsch

Update zu 60 + 2.0 und Mutter, du hier?:

Teil 1: Deutsch—Mutter.

Abitur: nichts lernen, bloß auf die Schule gehen.

studieren: in die Schule gehen, bis man dreißig ist.

BWL: Geld machen.

Zahnmedizin: was aus sich machen.

Geisteswissenschaften: Lesen und Schreiben.

Germanistik: unfallfrei ein Buch lesen können.

den Sinn des Lebens suchen: schauen, wie der Club gespielt hat.

Studentenwohnung: Haschisch fressen; einen Bart wachsen lassen; feste bumsen.

Auslandssemester: in der Weltgeschichte herumhupfen.

vorlesungsfreie Zeit: Ferien; Mucken auf die Schwänze hauen; monatelang den ganzen Tag das Maul ans Tischbein hauen.

BAföG: meine Steuern.

Studiengebühren: in Hartz IV einzahlen.

Magister Artium; Diplom: doch mal endlich fertig; zu alt für die Schule geworden.

Werbetexter: Reklamekasper.

Praktikum: immer noch kein Job.

freie Mitarbeit: keine Arbeit.

fester Freelancer: keine Arbeit.

Auftrag: keine Arbeit.

selbstständig: arbeitslos.

Arbeit finden: nirgends anders genommen werden.

promovieren: doch lieber weiter auf die Schule gehen.

selbstständig, fünfzehn Jahre lang: bis heute nie irgendwo eingestellt.

eigene Firma: noch nie eine Arbeit gehabt.

eigene Firma, zehn Jahre lang: auch nichts geworden.

Geschäftsidee: Strohfeuer; der nächste Hirnfurz.

Freundin: weißt schon, die da.

Freundin, erste: die Schnalle damals.

Freundin, zweite: die mit dem Gesicht.

Freundin, dritte: der geschminkte Fratz, hast du noch was mit der?

Ehefrau: die, weißt schon.

Beruf: was mit Computer.

Computer: was man da heute immer hat.

iPad: sowas Neues.

Internet: im Computer drin; gar nicht da.

Facebook: im Internetz drin.

Statusmeldung: dein Rumgekasper den ganzen Tag.

Blog: dein Geschmarre zu nachtschlafender Zeit.

Twitter: dem Willi seinem Buben sein Geschmarre zu allen Tag- und Nachtzeiten.

Google: vielleicht nächstes Jahr ein neues Sofa.

Website: von was dem Willi sein Enkel jetzt schon wahrscheinlich bald keinen Finger mehr rühren braucht.

Posteingang: Pimmelreklame.

Postausgang: anders bist ja du nicht zu erreichen.

neue Rechtschreibung: wie man will.

YouTube: Reklame.

Musikvideo: was früher dauernd aus deinem Zimmer rausgedröhnt ist.

Musik: Neger-Hau-Hau.

klassische Musik: das schwere Gegeige (instrumental); das Mozartgeschrei (vokal).

volkstümliche Musik: Musik.

Radio: die Urwaldaffen aus Amerika.

Bayern 1: Radio.

Eigentumswohnung: hinausgekündigt.

Wohneigentum: Schulden bis ins Grab.

Eigentumsbildung: in der Bruchbude hausen.

Rente: endlich daheimbleiben; zuwenig rauskriegen.

Wochenende: in die Fränkische fahren.

sich betrinken: ein Seidlein kaufen.

sich regelmäßig betrinken: endlich was davon haben.

Politik: keine Mannsbilder mehr.

Bier: Brot.

Schnaps: Nachspeise.

Wein: kein Bier mehr.

Champagner: der Teure vom Aldi.

Essen: Schäuferle mit Knödel.

Essen, vegetarisches: Vogelfutter.

mit Salat: vegetarisch.

Schäuferle mit Knödel: was Gescheites zu essen.

Gicht: Strafe Gottes.

Kinderzimmer, ehemaliges: Wurstkonservenkammerl.

fernsehen: (s.o.: den Sinn des Lebens suchen).

Privatfernsehen: Busenradau.

ZDF: Fernsehen.

Altersdemenz: nicht mehr so können wie vor vierzig Jahren.

Altersstarrsinn: Meinung; Wahrheit.

Nordic Walking: jetzt auch immer zwei so Stecken mitnehmen.

nächste Woche: wenn wir mal nicht mehr sind.

Rufnummer unbekannt: deine Mutter.

Nächste Woche (eventuell): Teil 2: Mutter—Deutsch.

Bei meinem Leisten

Christina Dichterliebchen macht Urlaub

“Und? Wie?”

Du machst Bilder statt Text?”

“Einer muss ja.”

“Ich mach Webdesign gern, aber nicht zum Vergnügen.”

“Wie ich beim Schreiben.”

“Ja. Nee. Net wirklich.”

“Wieso?”

“Na is die da drauf nackich oder net?”

“Wenn du sie nackich sehn willst, schon. There’s a million things to be.”

“Neeeee…”

“Nochmal drüber?”

“Nochmal drüber.”

*kritzel* *radier*

“Aha. Jetzt am Meer statt im Bett.”

“Is einfacher als ihre ganze Zimmereinrichtung perspektivisch.”

“Nimm mal ihre Brüste ins Bild, da hätt ich in dem Fall gar nicht mal was dagegen.”

“Dir is schon klar, dass dann die Perspektive kippt? Dann schaut uns jeder Honk in ihre Weichteile.”

“Autsch.”

“Autsch.”

“Sind deine Texte fertig?”

PS: Leider muss ich aus juristischen Gründen an dieser Stelle vermerken, dass das Bildmaterial meinem eigenen Copyright unterliegt, weil ich keine 8000 Euro zuviel hab. Die Bilder sind zur Gaudi auf meinem Flickr-Account, die schenk ich Ihnen.

Nettes Buch

Bücher jagen ist fast so lustig wie Bücher lesen und, auf die Aufwand-Gaudi-Korrelation umgerechnet, viel billiger als die meisten anderen Sportarten; jedenfalls kriegt man davon keinen Muskelkater bis übemorgen, sondern was fürs Leben.

In den relevanten Jagdgründen des Internets fallen in letzter Zeit Anbieter antiquarischer Beute auf, die den Sinn davon nicht einsehen. Verhallt ist Kurt Tucholskys Ruf “Macht unsere Bücher billiger!” (1932), schließlich schreibt ja auch keiner bessere — warum also sollte ein seltenes Stück wie die Geschichte einer Maltherapie Der gemalte Schrei weniger kosten als 195,02 Euro? Oder der Klassiker Gestalttherapie Praxis von Perls/Hefferline/Goodman weniger als 178,53? Wo es Gestalt-Therapie ja schon für 152,06 gibt?

Gut, das sind die teuren Angebote, und selbst die noch aus einem eng umrissenen Spezialthema. Selber schuld, wer die kauft, statt die wohlfeileren Angebote ab ein paar nicht weiter erwähnenswerten Cent wahrzunehmen. Was sie verbindet: Sie sind allesamt ein “Nizza Buch”. Das ist kein Verlag, auch kein Insider-Ausdruck dafür, dass sie aus dem Nachlass von Grace Kelly stammen, das ist, wie ich begründen kann, ein Übersetzungsfehler.

Da hat wieder einer, dem an Umsatz mehr als an seinem Angebot liegt, irgendeinen Babelfish gefragt und erfahren, dass ein “nice book” wohl ein Buch aus Nice, gleich Nizza sein wird.

Vielleicht ist das noch die bessere Lösung denn “nice” als die kleine Schwester von Scheiße zu übersetzen. Trotzdem empfehle ich außer einem anständigen Übersetzer, der sich bei dem Bücherausstoß innerhalb zwei Stunden amortisieren müsste, wenigstens einen anständigen Währungsumrechner.

Soundtrack: Sarah Silverman: Give the Jew Girls Toys
aus: Jesus is Magic, 2007.

Epikur für Werber

Den Menschen nützt der unnatürliche Reichtum nicht mehr als Wasser einem vollen Gefäß. Man wird mit Notwendigkeit bemerken, daß beide außen überlaufen.

Epikur, ca. 300 v.C.

Reklame begegnete uns nicht auf Schritt und Tritt, wären wir nicht so empfängliche Wesen.

Alain de Botton, 2000.

Anno 20 vor Christus hatte Oinoanda um die zehntausend Einwohner. Das genügte den Anbietern des überschaubaren Marktplatzes als Zielgruppe, um Werbung zu schalten. Darum bauten sie an ihrem POS eine massive Kalksteinmauer von achtzig Metern Länge und vier Metern Höhe mit beschreibbarer Oberfläche, gesponsert von Diogenes von Oinoanda.

Deren content bestand aus Sentenzen des führenden testimonials für consumer goods und lifestyle, des Philosophen Ἐπίκουρος, der 250 Jahre vorher verstorben war.

Die Kampagne hielt nur diesen einzigen flight lang, der allerdings mehrere Jahrhunderte andauerte. Das mag daran liegen, dass ausschließlich die hard facts der Produkte ausgelobt wurden; von ambient messages wurde vollständig abgesehen. Den Consumern sollte sogar in direkter Ansprache vermittelt werden, dass sie durch ihren Konsum keineswegs glücklich werden könnten, ja dass sie durch ihre buying decisions ihre wahren, anderweitigen needs lediglich kompensierten. Werbeziele waren modernerweise durchaus attention und awareness für den USP des jeweiligen Anbieters, jedoch auch dafür, dass sie ihr impliziertes Endziel, nämlich die Freiheit von körperlichem Schmerz und seelischer Unruhe, nicht durch Lustgewinn und Völlerei erreichen konnten. Wer Luxusgüter kaufte, bekam automatisch unterstellt, dass er wahrscheinlich Gäste einladen wollte und sich demnach wohl nach Freundschaft sehnte; wer materielle und Zeitressourcen bei den professionellen Würfelspielern investierte, wurde an den ideellen Wert eines Spiels mit Kindern und deren unschuldiges Lachen erinnert. Also corporate social responsibility communication management (CSR), zweieinhalb Jahrhunderte nach dem Tod des content providers.

Leider sind die antiken Aufzeichnungen zur Werbezielkontrolle nicht überliefert. Wir wissen also nicht, ob die Kundschaft aufgrund des jahrhundertelangen CSR aufhörte, Sachen zu kaufen, die sie nicht brauchte und sie vom Schnuppern an wild wachsenden, also verdienstneutralen Blumen abhielten. Offenbar nicht in einem krisenstiftenden Übermaß.

Auf heutige Verhältnisse übertragen hieße das nicht weniger, als dass ein Anbieter seinem entschlossenen Kunden einen Fernseher verweigert, weil er seine Fantasie ebenso gut auf Waldspaziergängen anregen könnte. Nur weil die Menschen nach Epikur ja nicht erwirtschaften wollen, sondern haben. Nicht lernen, sondern können. Nicht Arbeit, sondern Bezahlung, und kein Geld, sondern käufliche Gegenstände, und keine schönen Kleider, sondern gut aussehen, und nicht gut aussehen, sondern Sex, und nicht Sex, sondern dafür gelobt werden, und kein Lob, sondern wahrscheinlich doch wieder Bezahlung. Sogar ich hab mir vor ein paar Wochen einen neuen Computer gekauft, dabei will ich nur in aller Ruhe Kohle scheffeln.

Eine genügend konsequent epikureisch geführte Kommunikationsstrategie hätte das Zeug, die Weltwirtschaft lahmzulegen (und die Leute in umfassende Verwirrung zu stürzen). Die Anschauung lehrt jedoch: Oinoanda steht noch und floriert in einem Land mit ansteigendem Touristenaufkommen. Das hoffe ich so sachlich wie möglich zu referieren, mitdenken müssen Sie selbst.

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Soundtrack: The Muffs: Really Really Happy, aus: Really Really Happy, 2004. Gute-Laune-Geschrammel, das drei Minuten lang glücklich macht.

Angebotsvertiefung: Baby Pull the Trigger

Diese Woche zwei Ideen gehabt: Erstens müsste es Goethes Smash-Hit Die Leiden des jungen Werthers (mit Genitiv-s bitte) als Weblog geben – und zwar in den beiden Versionen von 1774 und 1787, und dann auf Deutsch und auf Englisch, also insgesamt viermal. Dazu die wichtigste Sekundärliteratur, Erich Trunz und Martin Andree (“Wenn Texte töten. Über Werther, Medienwirkung und Mediengewalt” – wie fetzig kann Didaktik des Deutschunterrichts noch werden?) und so, die Primärtexte sind sowieso gemeinfrei (falls es jemandem entgangen sein sollte: Goethe ist tot! Seit mehr als siebzig Jahren!). Denn welches Buch empföhle sich trefflicher für die Form des Tagebuchs denn der traditionelle Briefroman, und dann doch gleich einer, für den sich genau definierte Usergruppen interessieren müssen? Leben und Werk von Kurt Tucholsky stehen ja auch blogweise rum, und zwar sehr handlich und zuverlässig. Boah, das ist so gut, da muss jeder einzelne Zugriff bare Penunze kosten. Fragt sich noch, ob WordPress oder Blogspot, die Sammelbecken für Schrullenblogs, ihre Einträge auf 1771 zurückdatieren lassen, dann ist das die beste Grundlage für

Idee 2: Nachhilfe geben. Deutsch und Englisch. Wollte ich schon vor Jahren, ist unter einem Wust anderer Arbeit versickert. Unerfindlich, warum wir das nicht längst im Portfolio haben, Kontakt zur Basis ist wichtig. Interesse? Germanistik, Anglistik, das umgänglichste Seelchen, das Sie sich als Lehrer wünschen können. Unterricht bitte bei Ihnen oder auf neutralem Boden, bei uns zu Hause weiß man nie vorher, wie tag- oder nachtaktiv wir grade sind. Nachfragen aus dem Aktionsradius der Münchner MVG werden ab sofort angenommen.

Werther's Original Bag

Soundtrack: Der ruppige struppige garstige borstige 2008er Ohrwurm If This Hat is Missing I’ve Gone Hunting von Get Well Soon. Zum Mitsingen: Der verängstigte Kinderchor in der Mitte quäkt “Shoot baby shoot, baby, pull the trigger! Fire a bullet, an arrow or a poisoned dart, baby! Shoot baby shoot, free us from the pressure with a rifle or a gun! We can’t live forever!” Wenn Sie das auswendig können und sich weiterhangeln, möchte ich ausdrücklich vor dem Video zu Automatic Heart warnen: Vegetarier, Herzkranke, Schwangere und kleine Mädchen sollen lieber weiter Madonna in Unterhosen angucken.

Bild: Werthers Original Bag 190 Pieces bei Buy Candy Wholesale, Amazon.com.

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