Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Kategorie: Reisen (Seite 1 von 3)

How to be a Whiskykenner

There was a naughty boy,
And a naughty boy was he,
He ran away to Scotland,
The people for to see.

John Keats, 1818.

Als erstes heißt das nicht “Whiskykenner”, weil das in der Zielgruppe, der Sie imponieren wollen, einst fürnehmes Deutsch für “Säufer” war, sondern entweder “Aficionado” oder gleich richtig: “Säufer”. Zu unterscheiden für einen solchen sind Schottische, Irische und Amis. Neuerdings auch noch Japanische, aber die wollen eigentlich schottisch sein.

Die Amis gibt es beim Aldi, unterteilen sich in Kanadische und Bourbon und sind aus Mais gemacht wie das Popcorn und deshalb sorgfältig zu vernachlässigen. Sie gehören in so genannte Longdrinks, wo sie zuverlässig zu gehobener Stimmung verhelfen, was vollständig okay ist, aber ohne den Longdrink billiger vom Gucken auf die Landschaft geleistet wird.

Irische unterteilen sich in die fünf Counties, verhelfen zuverlässig zu gehobener Stimmung, was vollständig okay ist, und schmecken nach dem Torfboden, dem sie entwuchsen. Im übrigen sind sie aus Roggen gemacht wie das Brot, was Vertrauen einflößt und sie mit den Schottischen verbindet, die sich ebenfalls in Regionen unterteilen: Islay, Island, Lowland, Highland und Speyside.

“Speyside” kommt nicht von der körperlichen Reaktion auf den Missbrauch, sondern von der schottischen Ostküste um Aberdeen, und schmeckt nicht im Mund, sondern im Hinterkopf. Highland kommt von den Schafen; Schafe sind genügsame Zeitgenossen. Lowland kommt von den Rindern mit dem Pony bis über die Augen und den langen, krummen Hörnern, mit denen sie ihre Friedfertigkeit vertuschen.

Island kommt von den Inneren und Äußeren Hebriden, auf denen ein landschaftsverändernder Orkan in Norddeutschland erst kein Luftstillstand mehr wäre. Erst wenn einem das Regenwasser die Brille dermaßen vollplatscht, dass man nur mehr über ihren Rand die Ziegen – sehr genügsame Zeitgenossen übrigens – erblickt, zählt es nicht mehr als Trockenheit. So wie es nie als Trunkenheit zählt, solange man auf dem Boden liegen kann, ohne sich festzuhalten. “Wuthering Heights” von der geistig zerbrechlichsten der Brontë-Schwestern Emily handelt vom ach so streng gestalteten und bevölkerten Norden der ungeliebten südlichen Halbinsel Schottlands, und das ist noch nicht mal der liebliche schottische Süden. Und noch lange keine sturmumtoste Insel mit eigenem Kloster, in dessen im Mittelalter verfallenen Trümmern ein eisgrauer Mönch schon mal eine verschollene Bibelübersetzung mit den Fingernägeln in die bröckelige Flechtendecke geritzt hat – Eintritt twa quid –, sondern dort, wo vier Kilometer die Feldpiste runter genau der gleiche Mönch immer noch genau das versucht. Das Nachfolgekloster, established aroond 1100, erteilt Praktika, in denen man Ziegenzucht, Stallausmisten, Porterbrauerei und Exegese der biblischen Apokryphen erlernt, nur an Aspiranten mit ausreichendem Vollbart. Die anderen werden auf einer wettergepeitschten Felsnadel in Richtung der Färöer-Inseln ausgesetzt, bis sie zur Besinnung kommen. Der Mönch rudert monatlich Island-Whisky und Haggis herbei, darf aber nicht mit ihnen sprechen.

Islay ist mit diesem Gesöff am ehesten aufgrund der Tannin-Note der Whiskyfässer zu verwechseln, ansonsten schmeckt er nach den Autoreifen, auf denen die Pickups nach Torfabbau und Bibelexegese die Bourbon-Trinker von der Fähre auflesen. Die Touristen tragen Vollbärte, vor allem die Frauen, die um ein Praktikum auf den Islands vorstellig werden. Sie werden abgewiesen, weil sie bei Antritt weder Pickup-Reifen wechseln noch die 500-Liter-Fässer mit den Fußsohlen ausschrubben können und schon über der ersten Flasche Pure Single Malt am Frühstückstisch einschlafen.

Als Aficionado oder Säufer muss man als Grundwissen jederzeit parat halten, dass man Islay bestellt, wo immer er zu haben ist, einen Speyside für die Mädchen aller Geschlechts- und Altersstufen zur Verdünnung dazu, und Amis für Schirmchencocktails und Suppe verwendet. Alle besprochenen Sorten kosten irgendwas um einen Zehner, jedenfalls in der richtigen Größe, flaschenweise nicht über 29,95, woraus man aber fühlbar mehr als drei Gläser quetschen kann, und müssen aus einem Supermarktregal bezogen werden, weil keine alte Sau die gälischen Namen aussprechen kann. Klar gehen Irische, die mit “Glen” anfangen, Schottische, die mit “Glen” anfangen, und Islay. Danken Sie mir bei Gelegenheit mit einem Gebinde Laphroaig. Das Letzte war kein Scherz.

Soundtrack. The McCalmans: Scotland, aus: Ancestral Manoeuvres, 1984:

Dumme Tage gibt es genug

Heute feiern wir die Weisheit

Der Kater bloggt.

Dumme Gedanken hat jeder, aber der Weise verschweigt sie. Wilhelm Busch

Magische Nacht unter Sternen

Heute ist Feiertag in Bayern. Die Heiligen drei Könige, die einem neu geborenen Kind kostbare illegale Substanzen überreichten, sind wieder da und knuten die Christbäume aus dem Fenster.

Dabei waren sie ehedem gar keine Könige, sondern Weise. Magier, vielleicht Mathematiker, Astronomen, wissenschaftliche Elite. Sie folgten einer Sternenkonstellation und dem Kometen, der eine bedeutende Zeitenwende anzeigen sollte. Es ist auch nicht geklärt, ob es wirklich drei waren – es gibt sehr frühe Darstellungen mal mit zweien, mal mit fünfen.

Wollen wir an diesem Tag der Weisheit und der demutsvollen Suche nach Erkenntnis huldigen. Sie sind heute ein knappes Gut in der Welt.

 

Gruß
Der Kater

 

Tiny Wee Hours

Das Beste vom Tag sind ja die Stunden zwischen 4 und 7 Uhr. Manchmal schon ab 3, in stillen Gegenden auch bis 8 Uhr, aber es ist immer diese aus dem Kalender gefallene Zeit, in der die Welt bei sich ist. Da haben die Lumpereien der Nacht schon aufgehört und die des Tages noch nicht angefangen, und man muss es sich immer ein bisschen verdienen, das mitzuerleben, egal ob man schon oder noch auf ist.

Außer man ist Bäcker oder Fernfahrer, logisch. Gestern war ich ein Blässhuhn. Auf meinem nächtlichen Flug über die Stadt hab ich mich inmitten einer Horde Fulica atra niedergelassen; ihr Wachposten ließ mich gewähren und schüttelte kaum überrascht sein störrisches Gefieder.

“Warum haben wir Wachposten?” fragte ich, “sind wir im Krieg?”

“Nicht so laut”, flüsterte der Posten, “du meinst, ob wir gegen jemanden kämpfen, so wie die Senkrechten?”

“Ja, blöd, wie die sind”, beeilte ich mich.

Der Posten schielte misstrauisch herüber. “Keine Ahnung, wie tief eine Tierart sinken muss, um gruppenweise gegen ihresgleichen vorzugehen”, sagte er, “Aber momentan pass ich auf Falken und Füchse und Wiesel auf.”

Ein friedliebendes Volk, immerhin. Also fasste ich mir das Herz zuzugegeben: “Du musst mir nachsehen, ich bin gar kein Blässhuhn.”

“Ach, nicht?”

“Meistens muss ich als Mensch unterwegs sein, ich flieg heute zum ersten Mal. Ich lern bloß was dazu. Nachtsicht und so.”

“Erstaunlich”, sagte der Posten, “sonst probieren’s die Menschen immer zuerst als Schwäne. Dann mal los, du bist dran”, und ließ mich als Wachposten stehen.

Sag ich ja, dass man sich die Uhrzeit verdienen muss.

Soundtrack: Sandy Denny für Fairport Convention: Fotheringay,
aus: What We Did On Our Holidays, 1968:

Jesus Christus, ja ja

Altötting leuchtet. Der frühe Städtetourist schaut dem Kapellplatz beim Aufwachen zu, der Himmel darüber hat vor lauter Freude über das allgemeine Wiederauferstehen in seinem Weiß-Blau sogar die weißen Wölkchen vergessen, bis auf ein einziges Schäfchen. Die Devotionalieneinzelhändler um die Gnadenkapelle herum entzünden an ihren Auslageständen mindestens vier Sorten Weihrauch, damit auch der weltlich orientierteste Pilger gleich erschnuppert, wo er hingeraten ist. Riecht gar nicht schlecht, nach Frühmesse, Gratis-Mitbenutzung legaler Psychedelika und Ausräuchern aller Sünden.

Ich verlaufe mich in den historischen Gässchen ums Zentrum. Man geht hier nie lange verloren, an jeder Ecke wartet eine Kirche, die man schon seit dem Bahnhof (Bahnhof des Jahres 2020!) von den Wegweisern beim Vornamen kennt. Die meisten davon sind schon fleißig befasst mit ihrem wochentäglichen Gottesdienstprogramm. Jede Rosenkranzandacht findet genug Fans, die den Rosenkranz auswendig können, dass man ihr Gemurmel bis draußen hört.

Die Straßen und Kirchvorplätze gehören noch den Devotionalienhändlerinnen mit anscheinend heidnischen Hintergründen und mir leider etwas weltlich orientiertem Pilger. Ich betrachte die Auslagen aus geweihten und selbstständig zur Weihe vorzuführenden Kerzen, Repliken der allgegenwärtigen Schwarzen Madonna in allen Größen, Klosterlikören der weltoffensten Provenienz, kunsthandwerklichen Gegenständen ortsansässiger Hausfrauen und Nonnen, Pilgerbier als Sixpack in Bügelflaschen, erbaulichen Spruchweisheiten aller Weltreligionen, solange sie tief genug im allgemeingültig Vagen verharren, um dem römisch-katholischen Glauben nicht geradewegs zu widerspechen, und Grünen Skapulieren vom Unbefleckten Herzens Mariens. In der soeben ihre Pforten aufschließenden St.-Antonius-Buchhandlung erwäge ich den Kauf des dreibändigen Lexikons der Heiligen und Heiligenverehrung, Herder 2003, aber für den Verlagspreis hätte ich es wenigstens gesegnet haben wollen; siehe auch: avaritia; acedia.

Die jungische Sintiza im wehenden Leinenmantel mit dem schlaffen Einkaufsbeutel läuft mir schon die dritte Altstadtgasse lang in einigem Abstand hinterher.

“Spende bitte!” ruft sie mir von hinten zu, “Spende, bitte Spende!”

“Gehen Sie halt ein bissel näher an die Hausmauern”, sag ich, “die spenden Schatten.”

Sie versteht gut genug Deutsch. Ihr Abstand vergrößert sich.

“Ja, ja!” schreit sie mir hinterher, “ja, ja! Jesus Christus! Ja!”

Gut gegeben; ich grinse anerkennend in mich hinein, damit sie sich nicht ausgelacht fühlt. Woher kann sie denn auch wissen, dass Pilgernde meines Schlages in so sakraler Umgebung nicht ihren Herrgott feiern, der sich schließlich allüberall finden lässet, sondern Folklore gucken gehen.

Ich gehe in Kirchen unterschiedlicher Widmungen und Baustile mein Kreuzlein schlagen und vor allem ins seit Jugendtagen anvisierte Jerusalem-Panorama “Kreuzigung Christi”, das mich mein Tagesbudget Eintritt kostet (4,50 Euro), vergesse auch einen Abstecher ins drei Kilometer beiseite liegende Neuötting nicht, verzehre vor der dortigen Nikolauskirche zwei mitgebrachte Äpfel und ein Dextro Energen, weil Verschwendung keine geringere Sünde wäre denn Habsucht, und mache mich auf den Rückweg zum Bahnhof des Jahres 2020.

Der russisch geführte Supermarkt namens R·markt in der Bahnhofstraße hat regionale Äpfel für 99 Cent das Kilo, ich muss also rein, damit ich nicht mit noch leereren Händen heimkomme, als ich weggefahren bin. Es gibt auch Salzgurken aus kaukasischer Rezeptur und etwa fünfzig Kühlregalmeter sehr unterschiedlich gewürzter Speckseiten.

Auf der Straße wartet die jungische Sintiza im wehenden Leinenmantel mit dem prallvollen Einkaufsbeutel.

“Spende bitte!” sagt sie, “Spende, bitte Spende!”

“Ja, ja”, sag ich, “Jesus Christus.”

Sie erkennt mich. Leider haben wir alle vier Arme voll zu schleppen, darum lächeln wir nur und verneigen uns voreinander im tiefsten Respekt.

Altötting leuchtet.

Soundtrack: Vagabon featuring Courtney Barnett: Reason to Believe, 2021:

Beiträge zum Konstruktivismus

I never been to the Blue Mountains but I’ve been there in a song.
Never have I loved like this one – it just keeps rolling on.
And I never been hit by lightning but I know that life is long.
I never been to the Blue Mountains but I’ve been there in a song.

And I see the wine and the fire in you,
I see the mountains blue.

And I never killed a man and I never robbed a train,
Never had a deep thought when I’m walking in the rain.
And I never lit a holy candle and wished my life would change,
I never wished for anything outside this mountain range.

Peter Doran & Haley Heynderickx: Blue Mountains, aus: Voices, 2021.

“Die Hoffnung stirbt ja zuletzt”, meint Vroni.

“Ja”, sag ich, “das ist ja das Perfide dran.”

Soundtrack: a. a. O., 2021:

Mein Hobby. Beten hilft

Buidl: Sejwa gmacht, schenk i Eahna, bassd scho.

Staying Home for Christmas

Update zum Verhalten im Weihnachtsfall vor zehn Jahren:

Ein Paket mit den Ausmaßen von 120 cm x 60 cm x 60 cm bis 31,5 kg kostet auf dem Stand von Weihnachten 2021 gerade mal 16,49 Euro Porto. Das ist die Hälfte von einem Bayernticket, mit dem Sie Ihre eigene werte Person zu einer Familienweihnachtsfeier verfrachten müssten. Und dafür kriegen Sie 63 Kilo Altpapier los, wenn Sie’s als Weiterreichen Ihrer Bücherschätze ausgeben.

Wiegen Sie mehr als 63 Kilo? Dann wissen Sie ja, was Sie Weihnachten anfangen.

Soundtrack: George Harrison: My Sweet Lord, aus: All Things Must Pass, 1970, restauriert und mit taufrischem Video, 2021. Keine Ahnung, für wen das spricht, dass ich an den darin auftretenden Prominenzen gerade mal Weird Al Yankovic und Kate Micucci ungestützt erkannt hab:

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal

Man hat immer die Auswahl: Entweder früh beizeiten losgehen, wo noch der Vollmond über Thalkirchen thront, damit man den Mandarinenten auf dem Tümpel Richtung Schloss Schwaneck beim Aufwachen zuschauen — und zuhören! — kann, oder so spät, dass in Schäftlarn schon der Klosterladen offen hat (Mittwoch bis Samstag 14 bis 17, Sonn- und Feiertage 11 bis 17 Uhr), damit man einem zum Strafdienst verdonnerten Internatsinsassen ein Pfund Honig abkaufen kann.

Diesmal war’s die Frühversion:

Isartal früh

Das Kloster steht seit anno salutis 762 und hoffentlich noch ein paar Tage; meine eigenen liebsten Dokumentationen waren Von München bis Venedig (fast) mit den meisten, seit 2010 leider deteriorierten Bildern, und Zwei Klavier-Trios und zwei Violoncello-Sonaten mit der besten Begründung, warum man sowas gelegentlich machen muss.

Maria Rast spricht sich beiläufig mit kurzem a, weil es sonst das Gegenteil hieße, und bringt momentan den Anfang des beliebtesten aller Psalmen in etwas fragwürdiger, dazu noch allzu verletzbarer, aber höchst ansprechender Umsetzung. Offenbar haben die Eichkatzeln schon drei Kiesel entführt:

Maria Rast, Psalm 23

Herr ist mein hirte mir wird nichts mangeln
weidet mich auf einer aue und führet mich zum frischem wasser
psalm 23

Sic, Schreibung wie in Maria Rast vorgefunden. “Mir wird nichts mangeln” — außer Honig halt. Man hat immer die Auswahl.

Soundtrack: Cellosonate op. 102 Nr. 1 mit Sviatoslav Richter und Mstislav Rostropovich, live ca. 1961–1963, von Beethoven für die auf dem Schäftlarner Klosterfriedhof begrabene Marie von Erdődy 1815:

Die neuen Rittersleut

Vor Zeiten musste ich ein Wochenende lang auf der Grünwalder Burg wohnen – was bedeutet: einmal übernachten –, um mit der Communitas Monacensis in stauferzeitlichen Gewandungen Kalligraphie in karolingischer Minuskel und gotischer Fraktur, Brettchenweben und nach dem Buch von guter spîse (ca. 1350) nahezu neongrüne, aber vegetarische Ravioli und Lungenmus am Spieß zu bereiten. Das nannten wir Burgbelebung.

Kuratiert wurde die Veranstaltung samt der ganzen Burg Grünwald außerhalb ihrer Belebungen von einem Professor der Archäologie, der von seinem Skriptorium aus auf unsere Anstrengungen blickte, mit Lebensmitteln vom unweit residierenden Grünwalder Edeka ein authentisches Nachtmahl herzustellen. Ein so liebenswürdiger wie breit und tief gebildeter Mann, der dem Nachtmahl nicht nur deshalb eine Flasche Roten stiftete, um von seiner termingebundenen Abhandlung abgelenkt zu sein, sondern mit seinen belebenden Mittelalterdarstellern am Lagerfeuer beisammenzusitzen, wobei ihm auffiel, dass keiner der Reenacter eines aufs Wesentliche reduzierten Hochmittelalters eine Armbanduhr trug – und das bei Nacht und flackerndem Feuerschein.

Zu den täglichen Verrichtungen des Professors gehörte, das Ewige Licht unter dem Kruzifix im Hof brennend zu erhalten. Im Keller des Wirtschaftsgebäudes, einem niedrigen, von einer Reihe Schießscharten erhellten Gewölbe, hausten Siebenschläfer.

Schießscharte Burg Grünwald, 22. September 2021

Eher 20 als 15 Jahre nach dem Wochenende auf und unter der Burg Grünwald bin ich noch einmal wandernd vorbeigekommen. Unter dem Wohngebäude des Professors bis in den Burghof hinein wurde ein Café eingerichtet, im Wirtschaftsgebäude ein Museum, das übrigens gar nicht so schlecht sein soll; danken wir’s unbesehen dem rotweinstiftenden, zuzeiten prokrastinierenden Professor von der Archäologischen Staatssammlung.

Was aus den Siebenschläfern geworden ist, frag ich vorsichtshalber nicht so genau nach. Das Ewige Licht wurde abgeschafft. Unterm Professor hätt’s das nicht gegeben.

Kruzifix Burghof Grünwald, 22. September 2021

Buidln: Sejwergmacht am 22. September 2021, schenk i Eahna.

Zu Grünwald im Isartal: Karl Valentin: Die alten Rittersleut aus: Die Ritterspelunke, 1939, populär durch: New Orleans Hot Dogs, 1966 ff.; mit den meisten Strophen in einer Version von 1970:

Beiträge zur deutsch-ukrainischen Freundschaft

Update zu L’important, c’est la Dose:

Ich hab ein Problem mit Augenkontakt, deshalb sitze ich von jeher mit den Leuten lieber nicht gegenüber, dass man ständig ihren Blick parieren muss, sondern nebeneinander, und versuche es als “in die gleiche Richtung schauen” auszugeben. So wird das freilich nix mit der Völkerfreundschaft mit dem befreundeten Ausland:

“Also Leute mit zwei Muttersprachen ham doch immer alle irgendwie ein Rad ab.”

“Du findest?”

“Du nicht? Wahrscheinlich macht das schizo oder entwurzelt oder sowas.”

“Bei uns in der Ukraine alle haben die zweite Muttersprache.”

“Weiß schon, ihr tatarischen Reiternomaden kommt viel rum.”

“Nomaden an dem Arsche. Kiever Rus war viel länger als Sowjetunion mit bisschen Moskau.”

“Halt kleiner.”

“Heute noch größte Land von Europa. Außerdem schöner. Russkij Heartland, weißt du.”

“Wozu braucht ihr dann eure zwei angeborenen Sprachen?”

“Moskau zu frech. Russkij Jasyk sowieso bloß degenerierter Dialekt von Ukrajinska Mowa.”

“Parther und Skythen halt.<"

“Weites Land. Viel reiten.”

“Was ist jetzt der korrekte Terminus für die ganzen räuberischen Kosakenstämme: glagolitische Walachei oder moskowitische Mongolei?”

“Bist du selber Arsch.”

Und ich hab immer geglaubt, wenn ich den Augenkontakt mit den Leuten, die noch mit mir reden, halten könnte, hätte ich’s zur Not so weit bringen können, dass mich der eine oder andere für einen funktionalen Erwachsenen hält. Erleichternd zu wissen, dass nicht mal das was gebracht hätte.

Der Vorteil ist: Man kann seine Zigaretten sehr viel souveräner mit seinem Nebeneinander teilen als mit seinem Gegenüber.

Soundtrack: Chip Taylor & The New Ukrainians:
Fuck All The Perfect People, aus: F++K All The Perfect People, 2012.

Please don’t tell what train I’m on, they won’t know what route I’m going

Bei allem berechtigten und verbreiteten (was selten genug zusammentrifft) Bahn-Bashing muss einem im fortgeschritttenen Alter doch endlich auffallen: Man kann nirgends so flüssig und nachhaltig lesen wie im Zug. Einen eigenen Sitzplatz vorausgesetzt, auf Hin- und Rückfahrt. Der Verwandtschaftsbesuch dazwischen ist im Preis fürs Bayernticket mit drin, aber gegen solche Schmerzen hilft der Glühwein ganz gut.

Für die Rückfahrt sind wegen des Glühweins nicht die Eichendorff-Gedichte, die man sich auswendig merken muss, sondern der Charles Dickens. Auf allen Ausgaben steht nämlich vorne drauf: “Weihnachtsgeschichten”, manchmal auch “Weihnachtserzählungen”, jedenfalls ein Plural. Das bedeutet: Der Mann hat noch mehr von dem Zeug geschrieben als das ewige A Christmas Carol. In Prose. Being a Ghost Story of Christmas (mit dem ansonsten nichts verkehrt ist).

Als Soundtrack drängt sich in diesem Sinne mein wichtigster Musikus des Jahres 2019 auf: Der altgediente Mundharmonika-Recke Adam Gussow, der mit der Zeit immer verblüffender wie ein abgemagerter Clint Eastwood aussieht, seit er sich in die YouTube-Tutorials zurückgezogen hat, einem dort didaktisch nichts schenkt, aber so hilfreich wirkt wie sonst nur noch die Soundvideos mit Soloklavier von Bach und Mozart.

Adam Gussow entstammt der Generation, die noch das Tuten einer Sirene mit dem Erscheinungsbild eines Eisenbahnzuges verbindet. Seine meisten anderen Videos handeln in C-Dur, für den Zug benutzt er ein Beißblech in A-Dur:

Das war’s für 2019. Gussow würde sagen: See you down the road.

Feuerzangenbowle

Bis heute gibt es an jeder Schule, jedenfalls an jedem Gymnasium, einen Lehrer, der Struppi heißt, einen, der mal die Transsibirische Eisenbahn bis Wladiwostok gefahren ist, und einen, der mal mit dem VW-Bus durch Südamerika gefahren ist. Der mit dem VW-Bus schüttelt den Kopf darüber, wie ein Mensch acht Tage in einem Zugabteil stillsitzen kann, während er einen halben Erdkreis lang kurz unter Nordpol entlangschrammt, der mit der Transsib ist stolz, dass niemand sich je getraut hat, ihm einen kauzigen Spitznamen anzuhängen, und Struppi ist froh, dass er daheim bleiben kann.

Vroni meint: “Wolf. Es sind Ferien.”

“Ha”, sag ich, “nicht mehr lang.”

Guten Rutsch.

Soundtrack: Element of Crime: Immer da wo du bist bin ich nie, 2009:

Bitte helfen Sie mir auf die Bierbank

Solche Schulkumpane muss man auch erst mal finden, solang man noch jung ist: Wird der Bub 50 und lässt sich im ausgehenden Winter erst mal auf dem Moritzberg unter dem selbergemachten Motto “Der Lack ist ab” von seinen in einem halben Jahrhundert aufgesammelten Lieblingsmenschen feiern, und weil das nicht reicht, im tiefen Sommer gleich nochmal bei allgemeinem Kanupaddeln durch “Bayerisch Kanada” den Schwarzen Regen einschließlich Bärenloch hinunter, und zahlt alles.

Glaubt mir wieder kein Mensch, dass ich außer einer Wanderklampfe, weil die bildlich belegt ist, auch ein Kanupaddel am richtigen Ende festhalten kann, aber das restliche Bildmaterial soll angeblich noch kommen, und dann zahlt er den USB-Stick auch noch. Zu unserer Schulzeit war alles davon Science-Fiction.

Ist schon mal ein Mensch so gründlich 50 geworden?

Camping Schwarzer Regen

Camping Schwarzer Regen

Camping Schwarzer Regen

Camping Schwarzer Regen

Ach ja, die Soundtracks endlich nachgeliefert: John Denver: Country Roads, aus: Poems, Prayers & Promises, 1971, und S.T.S.: Irgendwann bleib i dann dort, aus: Grenzenlos, 1985, für die kein Mensch trotz mehrfach wiederholtem Durchblättern weder Text noch Griffe im Klampfenordner gefunden hat, weil eine neue Gleitsichtbrille, Lagerfeuerbeleuchtung (auf den Bildern ohne Photoshop-Einflüsse!) und Freibier, bis der Arzt entnervt wieder heimgeht, halt eine saudumme Mischung sind. Ich hätt’s auch nicht besser gekonnt als die Originale, soviel versprech ich:

Buidln: Privat, aber mit Quellenangabe
und/oder freundlichem Fragen bestimmt lizenzfrei vewendbar,
30. Juni 2018.

Muss i denn?

Update zu Von München bis Venedig (fast):

Obacht gebm. Ma bereut im Leben nie, was ma gmacht hat, bloß was ma glassn hat.

Ralf, 2012 ff.

Weihnachten 2001 hat das angefangen. Da hat mir Vroni den schönen Bildband Zu Fuss über die Alpen von Ludwig Graßler geschenkt. Das Buch scheint gut zu gehen, man entdeckt fast jedes Jahr eine aktualisierte Auflage. Weniger gut soll es dem Ludwig Graßler selber gehen: Der Mann ist gerade 93 geworden und konnte am 8.8. zum ersten Mal seit 1974 nicht um 8 Uhr auf dem Marienplatz erscheinen, um die Leute nach Venedig zu verabschieden.

Marienplatz, München--Venedig, 8. August 2018

Den Wanderweg hat Herr Graßler als führendes Mitglied des Isartalvereins persönlich eingerichtet, was sich nur ein bissel hingezogen hat, weil das Isartal leider kurz von den Alpen unterbrochen wird. Seit 1974 heißt die Strecke Traumpfad München–Venedig, hat immer noch keinen Status als offizieller Fernwanderweg, dafür ungefähr 555 Kilometer. Das klingt noch beeindruckender, wenn man die zwanzigtausend Höhenmeter berücksichtigt, und dass man vom Marienplatz bis zum Markusplatz einen Monat brauchen soll.

Marienplatz, München--Venedig, 8. August 2018

2014 war ich schon mal da, zur Verabschiedung am Marienplatz — auch wenn der Wanderweg mythischen Ausmaßes jeden lieben Tag von irgendwem beschritten wird. Berghütten werden ja nicht je einmal im Jahr von zwanzig Hanseln bewohnt, sondern 365-mal im Jahr von irgendwas zwischen zwei und zweihundert. Damals, zum vierzigsten Jahrestag der Wanderwegeröffnung war der Graßler-Wiggerl noch da, und wer nicht in Wikipedia nachgeschaut hat, konnte gar nicht glauben, dass der drahtige ältere Herr selber bloß bis Pullach mitlatschen wollte, weil er “ja schon im Neinzigsten” war. Ansonsten war’s eher trist: früh um achte noch regnerisch, und die Musik hat abgesagt und bloß eine einzelne Zehnjährige im Dirndl da, die auf der Klarinette Muss i denn zusammengestopselt hat. Schon goldig und würdig alles, und der Graßler hat mir auch an der Julia-Statue meinen Bildband handsigniert, aber es fehlt einem halt der Vorgriff auf die Majestät der Alpen.

2018 hab ich nochmal vorbeigeschaut. Die Musik war ein echter Gewinn: ein paar abseitige Landler und Schottisch von einem sichtlich Urmünchner Ehepaar, und dafür dass der Graßler sich daheim davon ausruht, dass ihm nach Aberjahrzehnten das Haus voller selberbezahlter Schreinermöbel unterm Arsch abgerissen werden und er auf seine alten Tage umziehen soll, ist allerhand Traumpfadprominenz da — so wie der Franke, der eine der brauchbarsten Websites überhaupt — die München–Venedig.net — gebaut hat und weiterhin pflegt, und heuer staunt man, wie viele junge, auffallend hübsche Madeln und gerade mal mit dem Abitur fertige Junghamster sich einen nicht ganz unstrapaziösen Monat antun wollen, für den man angeblich um die zweitausend Euro pro Nase ausgibt.

Und was alle für ein gepflegtes, selbstverständliches Bairisch reden! Was für einen Grund sollte es wohl geben, sich unnütz in München aufzuhalten, gar dort seinen Wohnsitz zu errichten, wenn nicht, um rüstigen Rentnern in beigen Rentneranoraks zuzuhören, wie sie reden wie Gustl Bayrhammer, wenn er Heilige Nacht vorliest?

Traditionell wird der Teilnehmer extra begrüßt, der die weiteste Anreise zum Marienplatz auf sich genommen hat. Es meldet sich einer aus Hamburg, tritt vor, grüßt mit zackigem “Moin!” und kriegt diskret was in die Hand gedrückt, wahrscheinlich etwas in der Qualität einer Wandernadel oder was auf den restlichen 555 Kilometern nicht so arg im Rucksack aufträgt. Die Mädchengruppe wartet Muss i denn nicht mehr ab und fängt noch diskreter schon mal mit dem Wandern an.

Marienplatz, München--Venedig, 8. August 2018

Selber komm ich seit 2001, seit ich von dem Wanderweg weiß, bloß ein-, zweimal im Jahr bis Kloster Schäftlarn. Das ist annähernd der erste halbe Tag, den ganzen hab ich mal bis Wolfratshausen durchgehalten. Der zweite, den ich getrennt davon angegangen bin, geht bis Bad Tölz, der dritte, für den ich sogar einen zweiten Verrückten gewinnen konnte, bis Lenggries. Dahinter soll’s ernsthaft bergauf gehen.

Venedig liegt übrigens auf genau 0 Meter über dem Meeresspiegel, man geht also insgesamt bergab, was man gar nicht glaubt, wenn man die Berichte und die Bilder in meinem Bildband anschaut. Aber man glaubt ja auch nicht, dass so der offizielle Weg zwischen dem Marien- und dem Markusplatz aussehen soll, seit die Brennerautobahn entdeckt ist.

Auf dem Heimweg fällt mir beim Buddeln in der Hosentasche die Tube Katzenzahnpasta in die Finger, die ich heut füh bei der Katzenhygiene dort hineingesteckt und vergessen haben muss. Ich hätte also sowieso nicht mit können.

Marienplatz, München--Venedig, 8. August 2018

Soundtrack: Wenn man von egal welchem Lied die Version von Hannes Wader haben kann, so soll man sie auch nehmen: Hannes Wader: Muß i denn zum Städtele hinaus , aus: Hannes Wader singt Volkslieder, 1990:

Hinten, ganz weit hinten im Präkambrium

Kaum schaut man sechs Jährchen nicht hin, hat eins der wenigen seriösen Bücher über Naturwissenschaft, die sogar ich versteh, eine Neuauflage: Peter Rothe: Die Erde. Alles über Erdgeschichte, Plattentektonik, Vulkane, Erdbeben, Gesteine und Fossilien von 2008 ist jetzt Die Erde: Alles über Erdgeschichte, Erdbeben, Vulkane, Gesteine und Fossilien von 2015.

Das nennt sich erweiterte Neuausgabe und hat weiterhin großherzigerweise ein richtig wandfüllendes Poster beigelegt, auf dem ein Zeitstrahl mit der Erdgeschichte drauf ist, mit Vulkanen, Urzeitwäldern, Trilobiten, Dinosauriern und allem. Das hält so lange, bis das Quartär zu Ende geht.

Der Zeitstrahl fängt unten mit dem Präkambrium an, was so sinnvoll wie lehrreich ist. In der Neuausgabe von 2015 ist das Präkambrium allerdings ein schmaler, maßstabsgestauchter Streifen, was sinnvoll, aber nicht ganz so lehrreich ist. In dieser Hinsicht war das Poster der Ausgabe von 2008 nämlich eine Rarität: mit dem Präkambrium in maßstabsgetreuer Ausdehnung von 80 Prozent der bisherigen Erdgeschichte. Das war kein schmaler Streifen, das war der Löwenanteil.

Weiterlesen

Der Retter der 62

Für die Buslinie 62 innerhalb der Isarvorstadt ergeht vorläufige Entwarnung: Die nervige Umleitung zwischen Kapuzinerstraße und Zenettistraße ist aufgehoben.

Nicht dass bisher eine Haltestelle ausgefallen wäre. Nur eben, dass man von der Kapuziner- zur Zenettistraße unverstärkt hinüberschreien kann, dass der Bus schnell warten soll — was die Klientel des Tröpferlbades, das sich akkurat zwischen den zwei Haltestellen erstreckt, nächtens bestimmt auch öfter so handhabt — der Bus aber seit Anfang Oktober ständig am Penny abgebogen und über den Umweg über Tumblinger- und Zenettistraße weiter ist. In der Gegenrichtung übrigens nicht, weil sie wieder nur die halbe Straße saniert haben. Die Längshälfte.

Um sein Viertel kennenzulernen, war’s ganz praktisch. Oder wer kennt denn das Eck ums Arbeitsamt herum, wo es ein so inniges wie sinniges Ensemble mit dem Schlachthof bildet, Weiterlesen

Frankfurtreich

Es folgt mein alljährliches Geläster über die Frankfurter Buchmesse.

Longtemps je me suis couché de bonne heure.

Das französische Autobahnnetz ist so lang wie ein Satz von Marcel Proust, aber sehr viel langweiliger und obendrein gebührenpflichtig.

Catherine Meurisse, Süddeutsche Zeitung Nr. 233,
Literatur-Teil, Dienstag, 10. Oktober 2017, Seite 1.

Man fasst es ja nicht, was in einem Jahr, in dem Frankreich Gastland auf der Herbstbuchmesse ist, ein dahinsiechender Literaturbetrieb noch aus einem 104 Jahre alten Buch rausholen kann: Die 1953er Übersetzung — zum 40-jährigen Erscheinen — von Eva Rechel-Mertens, die Generationen hypersensibler Sozialphobiker zu dem gemacht hat, was sie sind, hat endlich einen Anmerkungsteil — und ist bereinigt von angeblichen Übersetzungsfehlern, weil keinem mehr klar ist, dass eine “Person” vorwiegend weiblich, aber etwas anderes als ein “Mädel” ist — dabei war Dr. Rechel-Mertens Brandenburgerin und wusste wahrscheinlich selber nicht einmal, wann es “das Mensch” heißt.

Und die 2013er Übersetzung — zum 100-jährigen Erscheinen — von Bernd-Jürgen Fischer ist in einem stark zeitversetzten Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Rechelin ebenfalls nach vier Jahren fertig und schon als Taschenbuch-Gesamtklotz lieferbar — dafür mit noch mehr Anmerkungen und einem zusätzlichen Handbuch, das — wenn schon, dann richtig — gleich den dicksten von 8 Bänden abgibt. — Ein 104-jähriges Buch wohlgemerkt, in dem es 5000 (jawoll: fünftausend) Seiten lang hauptsächlich darum geht, dass vor einem Menschenalter ein kleiner Bub mal einen Keks in Tee getunkt hat. In Lindenblütentee!

Im Direktvergleich hat Fischer den sprichwörtlich gewordenen ersten Satz “Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen” dem Buben gelassen, dafür “schloss” er jetzt die Augen, statt dass sie ihm, übrigens gleich im ersten Absatz, “zufielen”, weil das wegen fermer wörtlich richtiger sein soll, obwohl es um den Schlaf und nicht seinen großen Bruder geht. Solche Skandale häufen sich auf den folgenden 4999 Seiten.

Weil es Buchmesse heißen und deshalb immer um harte Kosten-Nutzen-Rechnungen gehen muss: Der ICE von München nach Frankfurt ist länger als ein Satz von Marcel Proust, aber seit dem Unwesen mit den Schallschutzwänden sehr viel langweiliger und praktisch nicht unter 89,90 zu haben, die anderen Versionen kosten 125,90 und brauchen länger — und zwar einfache Fahrt. Pro Sitz-, wenn nicht gar Stehplatz. Das macht zu zweit 503,60, falls Sie jemals wieder nach München wollen. Ach ja: plus vier ICE-Zuschläge, gell? — Den Rechel-Mertens-Proust gibt’s momentan ab 42,48 und in jeder — wirklich jeder — Stadtbücherei dauerhaft umsonst. Von dem haben Sie länger als sechs Stunden was, und Sie dürfen sich dazu hinlegen, ohne dass ein Großraumwaggon voller rasierwassergetränkter Rollkoffermännchen blöd herschaut.

Und Weihnachten ist auch gleich wieder, genau deswegen ist ja Buchmesse. Für mich bitte einmal die revidierte Rechel-Mertens: Suhrkamp 49,95 statt Reclam 148.

Bookporn: Bookshot, 20. September 2017:

Bonus Track: Carla Bruni: Quelqu’un m’a dit, aus: Quelqu’un m’a dit, 2002:

Ich bin nicht alt geworden, ich bin noch allzeit jung

Am einzigen Regentag der Woche nach Schäftlarn pilgern, um lokalen Klosterhonig aufzutreiben, zum ersten Mal im Leben Fotos von den Sehenswürdigkeiten machen, ohne einen ausgewiesenen Fotoapparat zu benutzen, am Abend mit demselben Gerät auf Spotify das Gesamtwerk von Zupfgeigenhansel durchhören und dann wundern, wenn’s Werbung für Treppenlifte reinschwemmt. Genau mein Humor.

Öffnungszeiten vom Klosterladen:
Mittwoch bis Samstag: 14.00 bis 17.00 Uhr,
Sonn- und Feiertage: 11.00 bis 17.00 Uhr.
Montag und Dienstag: geschlossen.
Sonntage im Januar, Februar und März: geschlossen.

Kloster Schäftlarn von hinten, mit Obstgarten, 22. März 2017

Buidl: Kloster Schäftlarn von hinten mit Obstgarten, 22. März 2017, von mir. Schenk ich Ihnen, weil’s meins ist.

Hättest du je geahnt, dass die Südlichen Sandwichinseln im subantarktischen Südatlantik liegen, zum britischen Überseegebiet Südgeorgien und die Südlichen Sandwichinseln gehören, auch von Argentinien beansprucht werden und aufgrund ihrer geographischen Lage nicht unter den Antarktisvertrag fallen?

Wenn’s mal auf hart kommt, bin ich eine Enttäuschung für jeden Psychoanalytiker. Ich träume nämlich nicht und werde ihm nichts zu erzählen wissen. Die fünf ersten Probestunden, von denen man so viel hört, werden dahingehen mit der Diskussion darüber, dass jeder Mensch träumt, was mir aber nichts hilft, weil ich mich nun mal an nix und wieder nix erinnern kann, und die nächsten zehn Stunden mit der Diskussion darüber, dass “Ich kann nicht” mitnichten “Ich will nicht” bedeutet, sondern “Ich kann nicht”, weil ich nämlich sonst “Ich will nicht” gesagt hätte. Es wird alles sehr ungedeihlich, wenn’s mal auf hart kommt.

Weil mich die Leute auch dauernd für so einen Träumer halten müssen. Mir wird aber auch grundsätzlich unterstellt, dass ich ein schlimmer Kiffer wäre, dabei bin ich wirklich so.

Letzte Woche zum Beispiel. Da war ich eingeladen. So weit weg, dass ich anderwärtig übernachten musste. Im Kinderzimmer nämlich. Da war die Nachttischlampe ein Leuchtglobus (oder ein Leuchtglobus die Nachttischlampe, je nachdem). Die Gastgeberin brachte mich ins Kinderbettchen und erklärte mir, wie man die Nachttischlampe (oder den Leuchtglobus) ausknipst, wenn man sich durch die Märchenbücher im ganzen Kinderzimmer gelesen hat.

“Und? Was Schönes geträumt?” fragte sie später beim Kaffeekochen.

“Nö, ich träum nie was.”

“Jeder Mensch träumt.”

Bevor das Gespräch schon in seiner Frühphase eine ungedeihliche Richtung einschlagen konnte, steuerte ich bei: “Und was man in der ersten Nacht in einem neuen Haus träumt, geht in Erfüllung.”

“So neu ist das Haus gar nicht, ich hab bloß Staub gesaugt.”

“Und die Märchenbücher nach Farbe geordnet.”

“Alle ausgelesen über Nacht?”

“Woher denn. Ich bin bloß platt rumgelegen, hab der Welt auf den Arsch geglotzt und bin bis vor zwei Stunden nicht drüber hinweggekommen, dass auf den Sandwichinseln das erste n fehlt. Sadwich Islds.”

“Kann sein. War im Angebot bei Weltbild.”

“Logisch. Dann dürfen die auch Tippfehler auf ihren Globus machen, wenn’s bloß um die Bilder geht.”

“Apropos Sandwichinseln: Wurst oder Nutella?”

Und ich wusste wieder, warum ich mich lieber von ihr einladen ließ als vom nächstbesten Psychoanalytiker.

« Ältere Beiträge

© 2024 Freitag! Logbuch

Theme von Anders NorénHoch ↑