Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Kategorie: Fernsehen

Weiße Winterruhe

Hohe Einschlafquoten

Der Kater bloggt.

An der Unterhaltungsindustrie der Staatlichen und der Privaten komme ich inzwischen immer erfolgreicher vorbei.

Da es leidlich spannendere Alternativen fürs Nickerchen gibt. Wie beispielsweise die Apple-Serie ‚Ted Lasso‘.

Oder statt zu streamen angestrengt versuchen, ausgerechnet in der Black Friday Woche einen Kühlschrank auszuwählen, der maximal 145 cm hoch sein darf, aber mindestens ein C haben muss. Einschläfernd und wenig sinnstiftend – wie der undurchsichtige Bundeshaushalt.

Die Charts

Bei denen ich im Wegdämmern überlege, ob ich zuerst beim einschläfernden Spitzel des Eisbergs oder bei richtigschlecht anfangen soll.

Platz 1:
Die Höhle der Blöden

Platz 2:
Das Bummel-Cämp

Platz 3:
Germanys Next Top Scheusals

4. Hart aber g‘schert

5. Die Rosenheim-Flops

6. Aktenzeichen XY – eingedöst

7. Mauer sucht Pfau

Gucke das alles nie. Weil es jedesmal Vollnarkose bedeutet, bei der man nie wieder aufwacht. Der Ginkgo, der gegen den Schlaf des Winters kämpft, erscheint wie ein aufrechter Held.

Die eine, letzte blühende Rose im Garten wird heute ein weißes Schlafhemd anziehen.

Aus glitzernder Watte.
Sie weiß es nur noch nicht.

Gruß
vom Kater

Und morgen versuchen wir dann, drei vollständige Staffeln durchzubingen

Rest des Nachmittags : faul und bösartig. (Wie Gott vor der Schöpfung).

Arno Schmidt: Brand’s Haide, 1951; BA I,1,136.

Na bitte: den ganzen Tag
          kein Spaß und keine
                    neuen Katastrophen.

Geht doch —
          für einen Tag, an dem
                    man aufgestanden ist.

Soundtrack: The Secret Sisters: He’s Fine,
aus: You Don’t Own Me Anymore, 2017:

Nine, ten — never sleep again

Nichts Schlimmeres als eine Baustelle vor dem Fenster. Vor dem Fenster zur Straße. Vor dem Erdgeschossfenster zur Straße. Außer:

Die Baustelle wäre wieder abgebaut, man verstünde schon vor 19 Uhr sein Radio und wachte erst nach 7 Uhr auf. Die Bagger, Dampfwalzen und Wohncontainer der eingeflogenen Straßenbauexperten wären abtransportiert, der Gehsteig wäre kein eingezäunter Hindernisparcours mehr, der Blick aus dem Schlafzimmerfenster schweifte frei bis zur anderen Straßenseite. Nach Abermonaten wäre Nachtruhe kein dienstplanbedingt zugeteilter Luxus mehr. Kann man sich, glaub ich, vorstellen.

Dann hätte man beim abendlichen Studium des Filmschaffens der 20. Jahrhundertmitte sein Handy neben sich aufs Kopfkissen gelegt, weil man neuerdings wieder einen Wecker bräuchte. Dann piepste eine MMS. Dann nähme man sein Handy, um nachzuschauen, wer einem nach Mitternacht noch Bilder schickte. Unbekannte Nummer, es ist ein Bild von der eigenen Rückansicht im Bett liegend und das Filmschaffen der 20. Jahrhundertmitte studierend, vom Schlafzimmerfenster durch die Jalousienritzen aus. Sobald man im Bett herumführe, sähe man gerade noch hinter der Jalousie einen Schatten davonhuschen.

Damit dergleichen nicht erneut vorfiele, installierte man sich gleich am Lieferdatum eine legal erhältliche Überwachungskamera, die den Gehsteig beobachtete. Am nächsten Morgen wäre sie verschwunden, weil man ein leises Rappeln an der Jalousie morgens um drei aus Trägheit nicht weiter verfolgt hätte, um weiter von amerikanischen Filmen zu träumen, in denen die Leute ungestraft jeden über den Haufen ballern dürfen, der sich ihrem Privatgrund nähert. Die letzte Aufzeichnung auf dem Laptop zeigte in grobem Korn einen schwarz vermummten jüngeren Mann mit Kapuze, der die Hand nach dem Objektiv ausstreckt, dann bräche die Übertragung ab. Soviel vom Gesicht zu erkennen wäre, war es Freddy Krueger.

Ominöse Telefonbotschaften rissen ab sofort nicht mehr ab. Die Polizei belangte einen wegen des Anfertigens weder genehmigter noch unkenntlich gemachter Aufzeichnungen aus dem öffentlichen Raum.

Glauben Sie nicht? Nun, natürlich war es nicht zwingend Freddy Krueger.

Fachliteratur aus der Regensburger Weststadt: Lisa Schnell: Der Typ an der Jalousie, Süddeutsche Zeitung 29. Mai 2021.

Bande sonore: Carla Bruni: Quelqu’un m’a dit, aus: Quelqu’un m’a dit, 2003, das so ziemlich gruseligste Video des 21. Jahrhundertanfangs:

Keine Insel mit zwei Bergen

Keine Ahnung mehr, von wem mir das unterlaufen ist, aber offensichtlich war es am 12. November:

Wenn wir ganz und gar aufgehört haben, Kinder zu sein, dann sind wir schon tot.

Michael Ende, der heute 90 geworden wäre

Die etwas poröse Quellenangabe über den Spruch von Michael Ende atmet den Geist seiner unendlichen Geschichte von 1979, das Zitat selbst sollte wohl eher die frühere Momo von 1973 untermalen. Die unendliche Geschichte hat mich drei Jahre meines Lebens beschäftigt, indem ich Dialoge zwischen ihren Figuren fürs einschlägige Computerspiel vom Englischen ins Deutsche übersetzt hab, was auf Umwegen nötig geworden war; Momo war lange vor der Verfilmung mit Radost Bokel von 1986 mein erster Kontakt mit Herrn Endes Hervorbringungen: in der Form von Geh doch zu Momo aus der Reihe Lemmi und die Schmöker nämlich, Erstausstrahlung 1. Mai 1975, als es noch einen Monat bis zu Radost Bokels Geburt hin war. Die Momo aus der Lemmi-Folge war Léonie Thelen, die im Gegensatz zur Bokelin nicht im Playboy, sondern in der Glyptothek geendet ist.

Die Computerschmiede, in der ich “Bullshit” mit “Hühnerkacke” kulturell angenähert habe, worauf ich mir bis heute wunder was einbilde, gibt’s nicht mehr; siehe auch: Neuer Markt. Liegt wohl nicht so der Übersegen drauf, auf dem Kindersein nach Anleitungen von Michael Ende.

Soundtrack. Tocotronic: Michael Ende, Du hast mein Leben zerstört,
aus: Nach der verlorenen Zeit, 1995:

The Good, the Bad, the Ugly, and the Flauschi

Update zu Glück und Geld:

Gut, dass einen gerade noch so das Google-Doodle vorwarnt, dass die nächste Zeit wieder irgendsoein Herrenfußball-Schmarrn gefeiert wird, da kann man guten Gewissens non solum das Fernsehgeschehen, sed etiam die Innenstadt meiden und alte Filme gucken.

Für meinen Begriff ist ja Il buono, il brutto, il cattivo, besser bekannt als The Good, the Bad and the Ugly, der auf Deutsch aus kulturhistorisch nicht nachvollziehbaren Gründen nur Zwei glorreiche Halunken zählt, immer noch “der neue” unter den Leone-Eastwood-Spaghettis, weil er der jüngste Teil der Dollar-Trilogie ist. In der Handlung liegt er aber vor den zwei älteren und ist dabei immer noch älter als ich: Ein halbes Jahrhundert wird der pünktich kurz vor Weihnachten.

Man weiß von Vater-Sohn-Gespannen, die den einträchtig eine Zeitlang täglich angeschaut haben — was insofern besonders generationenverbindend ist, als das Ding in der künstlerisch vorgesehenen Fassung 178 Minuten dauert. Man hat also innerhalb der Familie ziemlich viel zum pausenlosen Durchgrinsen, bis Eli Wallach am Schluss Clint Eastwood endlich “Der Blitz soll dich beim Scheißen treffen!” hinterherbrüllt.

Kaufen muss man ihn nicht, weil er gut genug ist, dass sich irgendwo auf Welt immer jemand findet, der ihn ungekürzt auf YouTube pumpt. Bis ungefähr vorgestern hat den Job eine Version mit arabischen Untertiteln gemacht, momentan ist es die mit den vietnamesischen. Die stören nicht weiter, geredet wird sowieso nicht viel. Und die Qualität ist auch nicht mieser als die VHS-Kassetten aus den Achtzigern, wenn man sie mit seinem Vater erst mal einen Monat lang täglich komplett durchgeschaut hat.

Was hat man vor dem Zeiten des Internets — angeblich gibt’s Amazon ja erst seit 1994, YouTube sogar erst seit 2005 — obskure Versandhändler damit bemüht, einem die ungekürzte Fassung mit den vollen drei Stunden aufzutreiben, und es soll bloß keiner glauben, dass die besonders schnell oder billig gearbeitet hätten. In der Kinofassung für Deutschland haben nämlich ein paar bestimmte Großaufnahmen gefehlt, in der Fernsehfassung gar der halbe Showdown auf dem Friedhof, der eigentlich den Film erst ausmacht. Wo sind die Dinger eigentlich heute alle, seit die heimischen Regalmeter für DVDs gebraucht wurden, an die sich zur Not noch jemand erinnert, weil Spaghettiwestern meistens erst ab 16 sind?

Arabien wusste noch von den ganzen 178 Minuten, Vietnam hat jetzt 174. Wer seinen komparatistischen Ehrgeiz darein setzen will, kann ja mal nachschauen, wo heute die restlichen vier abgeblieben sind.

Das ist sowieso das, was den Menschen vom Vieh unterscheidet: Er kann Western etwas abgewinnen und entdeckt auch nach dem hundertelfzigsten Mal noch neue Details.

Ich muss nomma fix nach Frau Piepenbrinck röwer

Das darf mich jetzt wieder keiner fragen, wie man von der Recherche über die Schuld und Sühne des größeren Kollegen Böhmermann auf eine alte Kinderserie namens Neues aus Uhlenbusch kommt.

Jedenfalls soll die 1977 bis 1982 sonntagnachmittags im ZDF gelaufen sein und steht heute ziemlich lückenlos auf YouTube. 1977 war ich neun und mir anscheinend schon zu cool für Kinderserien. Als obere Altersgrenze der Zielgruppe für Kinderfernsehen gelten 14 Jahre; danach entsteht eine Pause, bis man das Zeug gesellschaftlich unsanktioniert wieder “kultig” finden darf.

Dabei wirkt Neues aus Uhlenbusch allenfalls durch sein Personal im Kindesalter so, als ob es sich an Kinder richtete. Es gibt keine durchgehenden Hauptdarsteller, nur eine durchgehende Nebenrolle von Hans Peter Korff als Briefträger und lieber Onkel des gesamten norddeutschen Kleinstadtidylls. Es gibt keinen durchgehenden Schauplatz: Obwohl in Norddeutschland gleich zwei Uhlenbüsche vorrätig wären, eins in der Wesermarsch, eins im Kreis Herzogtum Lauenburg, wurde in Liegenschaften wie Rehburg-Loccum, Evessen, Bornum am Elm, Königslutter, Räbke oder dem vormals literaturhistorisch hervorgetretenen Wiedensahl gedreht.

Es gibt weder eine durchgehende Botschaft außer der einen umfassenden der 1970er Jahre — Kinder, lasst euch nichts gefallen und seid nett zueinander — und es gibt nicht einmal besonders viel Handlung, geschweige denn Action, und wo es doch eine gibt, klafft ihr Ende meistens weiter offen als bei Jim Jarmusch.

Es gibt keine durchgehenden Funktionen, weder am Drehbuch, der Regie noch nur der Regieassistenz. Es gibt keine Identifikationsfiguren außer einem trotteligen Briefträger, der keine Rollenmodell bieten kann. Es gibt, man muss es so sagen, keinen Grund, sich das anzuschauen. Überhaupt kann man einwenden, es sei alles ein recht planloses, breitärschiges Herumgeeier. Man kann aber auch besonnenes Storytelling dazu sagen und wertschätzen, dass alle Figuren, alle Ereignisse und alle Bilder endlich mal ausreden dürfen.

Die erste Folge lief am 24. Dezember 1977, der noch ein Samstag war und im weiteren Verlauf auf regelmäßige Sonntage umgestellt wurde — und geht gleich zur Sache mit den sozialen heißen Eisen: Bierlisa stellt am Heiligabend zur Einführung erst mal dar, wie ein zeitweise alleinerziehender Kleinbauer seinen Hof versäuft und seine Tochter unbeaufsichtigt an ungesicherten Orten spielen lässt, während er im Wirtshaus hockt. Das Happy End besteht darin, dass eine unbescholtene Oma, die als besonders einfühlsam gezeichnet wird, vor den Augen des Alkoholikers ein Glas Bier zur Schau auf ex trinkt.

Das sind alles hohe künstlerische Zumutungen ans Publikum, wie sie heute nicht einmal mehr an Volljährige herangetragen werden. Die Altersgrenze von 14 Jahren ist eine obere, die von Kindern selbst und unbewusst eingehalten wird, kein vorgeschriebenes Mindestalter. Solche Themen und Handlungsverläufe würde sich im jüngeren Fernsehgeschehen kein Sender mehr trauen — schon allein weil sich kein Drehbuchschreiber mehr so einen Vorschlag wie “ich hab eine super Idee! Wir machen eine Kindersendung, in der jede Woche andere Leute auftreten und bloß immer ein trotteliger Briefträger rumradelt! Für den Vorspann nehmen wir ein Zeichentrickviech, das auch sonst nirgends reingepasst hat und nix und wieder nix mit dem Rest zu tun hat, Spannungsbogen brauchen wir auch keinen, und nach einer halben Stunde hört der Film auf!” im Ernst antun will. Lassen Sie mich also gar nicht erst mit dem Tatort anfangen, mit dem angeblich erwachsene Leute seit Generationen sehenden Auges (wie auch sonst …) ihre Sonntagabende verschleudern.

Das war mal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und galt nicht etwa als provokanter Trash, sondern als pädagogisch wertvoll. Gut, das war auch in jener versunkenen Welt, in der man unangeschnallte Kleinkinder besten Gewissens bei zugeriegelten Autofenstern mehrere Stunden lang mit Zigaretten einqualmte, wofür einem heute wahrscheinlich das Jugendamt mit Blaulicht und Sirene noch während der Ausübung das Sorgerecht für jeden Wellensittich entrisse. Dafür kann man lernen, ausführlich in ein Kinder- oder Erwachsenengesicht zu schauen, ohne dass jeden Moment mit umso höherer Schlagzahl die Oneliner des Jahrhunderts rauspurzeln müssen. Das ist pädagogisch wertvoll.

Als Anspieltipp verlinke ich die Folge Der große Bruder vom Sonntag, den 16. November 1980 — da spielt den kleinen Bruder nämlich der achtjährige Moritz Bleibtreu, weil er zeitweise der Sohn vom Briefträger “Onkel Heini” Korff war. In den restlichen 39 Folgen kann man dann raten, wo man gerade die Dorfbesichtigung im Geburtsort von Wilhelm Busch mitmacht.

Mondo Schmuddelkino

Der Fernsehtipp des ganzen nächsten Monats ist ja wohl: auf NDR, der sich hoffentlich weit genug südlich streamen lässt, die gleich drei Klassiker: Cinema Perverso. Die wunderbare und kaputte Welt des Bahnhofskinos: Eine Bahre für den Sheriff, Fünf Klumpen Gold und Töte Amigo — in den frühen Morgenstunden des 15. Dezember 2015 von 0.45 bis 5.15 Uhr hintereinander weg. Für echte Fans: Das ist der Donnerstag.

Diese B- bis E-Klasse der Italo-Western hat durchaus Fans — vor allem die mit Klaus Kinski, wo er dermaßen irre gucken darf, dass seine Auftritte in den familientauglichen Edgar-Wallace-Schnulzen dagegen reines Arthouse sind. Für einen Querschnitt durch das klassische Bahnhofskinoprogramm finde ich die Auswahl etwas einseitig: Wo bleibt der Schulmädchen-Report? Bademeister-Report? Hausfrauen-Report? Die Mondo-Serie? Lederhosen-Pornos? Romero, Russ Meyer, John Waters, die frühen David Lynch und Peter Jackson?

Und vor allem: Warum wurden jemals andere Filme gedreht als solche, die preiswert produziert werden können und gerade deswegen genug Schauwert aufweisen, dass man zuerst hinterher in der Kneipe und später seinen Kindern was zu erzählen hat?

Weil man nach dem Besuch eine Bahnhofskinos nicht in die Kneipe geht, sondern nach Hause zu seiner Frau und so tut, als wäre man überall gewesen außer im Kino. Die zuletzt genannten Regisseure sind keine Deutschen, die Institution des Bahnhofskinos hingegen so urdeutsch wie Faust persönlich (der selber nicht als Welterklärung eines Dichterfürsten, sondern als reißerisches Puppenspiel fliegender Komödianten angefangen hat).

Die Dokumentation, die der Filmnacht am 15. Dezember interpretierend beiliegt, läuft derzeit auf Arte und heißt ebenfalls Cinema Perverso. Da erfährt man 59 Minuten lang, dass Ben Becker und Wolfgang Niedecken zu ihren einstmaligen Besuchen in Bahnhofskinos stehen und Jörg Buttgereit zu dem Zeug, das er gedreht hat, dass eine gewisse Mechthild Großmann eine Stimmlage von einer geschätzten halben Oktave unter Elmar Gunsch spazieren führt, erlebt eine künstlerisch tatsächlich nicht ganz ambitionsfreie Nacktsequenz mit der welpigen Ingrid Steeger, auf die sie traurigerweise gar “nicht stolz” ist, und fragt sich, wozu jemals das heimische Fernsehen eine derartige Verbreitung erfahren konnte und warum mein zuständiger Laden im ersten Stock vom Nürnberger Hauptbahnhof eigentlich “aki” geheißen hat.

Solange Filme noch einen bewussten Weg zu einem dazu bestimmten Gebäude, Eintrittsgeld und eine Spanne aufmerksamen Stillsitzens erforderten, verbreitete sich der Kopiensatz über eine lange Verweildauer in den Kinos und wurde von großen Häusern in großen Städten in kleine Klitschen auf dem flachen Land durchgereicht, danach wieder zurück in die Großstadt, wo der Film dann schon seine ganze Zielgruppe erreicht hatte, oft sogar mehrmals, und noch eine Zeitlang im Bahnhof lief.

Im Laufe der 1960er Jahre, als jeder gratis drei Fernsehprogramme von der Kinderstunde bis zum Ameisenkrieg anschauen konnte, ohne den Hintern zu heben, ließ das nach. In den 1980ern, als jeder nach Belieben Videokassetten kaufen, ausleihen und sogar selber aufnehmen konnte, starb es aus. Betriebswirtschaftlich sagt man wohl: Die Wertschöfpungskette eines Films hat sich dahingehend geändert, dass er aus dem Multiplex nahtlos auf Blu-ray übergehen muss, damit ihn nicht jeder Schulfratz sofort dem Markt entzieht. Oder kürzer: Ein Film rechnet sich gleich oder gar nicht.

Man mag das bedauern; in Cinema Perverso beteuern jedenfalls alle Interviewten aufs ausführlichste ihr Bedauern darüber. Wahrscheinlich ist es wie mit den ehrbaren Absturzkneipen: Ein-, zweimal war jeder drin, leugnet es aber erstens und kann zweitens damit keinen Laden ernsthaft finanzieren. Was damals “Schmuddelfilme” waren, ist heute mindestens “Trash” und somit “Kult” und lehrt uns, wenn schon keine Alltagskultur, was die heutigen Herrgötter des Films ohne Jugendfreigabe, Tarantino und Rodriguez, da eigentlich die ganze Zeit keineswegs ohne Respekt zitieren.

Aus Johnny Depp (A Nightmare on Elm Street, 1984) und Renée Zellweger (Texas Chainsaw Massacre – Die Rückkehr, 1994) ist schließlich auch noch was geworden, die späten Machwerke von Peter Jackson (Bad Taste, 1987) kommen auf 17 Oscars bei 30 Nominierungen. Nur Brad Pitt (Todesparty 2, 1988) hat mit der Scream Queen Jennifer Aniston (Leprechaun – Der Killerkobold, 1993) gebrochen und musste dafür die böse Hexe heiraten.

Die wirkliche Frage ist allerdings: Was muss das für ein Zeitalter der Unschuld gewesen sein, in dem sich erwachsene Menschen allen Ernstes an Filmen wie Die Todesgöttin des Liebescamps (Christian Anders, 1981) aufgeilen konnten?

Wenn mich jemand sucht: Ich schau mal nach, ob Friß den Staub von meinen Stiefeln (1970) und Ein Zombie hing am Glockenseil (1980) endlich auf YouTube in halbwegs hinnehmbaren Schnittfassungen vorliegen.

Ingrid Steeger beim Bergsteigen

Das Bild ist der beschriebenen Dokumentation Cinema Perverso von Lunabeach auf Arte entnommen. Wer mir als erstes in den Kommentar schreibt, aus welchem Film das stammt, kriegt ein schönes Buch oder vielleicht auch passender: ein grausigen Film auf DVD von mir. Diese Verlosung ist privat wie nur was, dient rein meiner persönlichen Belustigung und schließt jeden Rechtsweg aus.

Der Woche ihre Filme

Das bayerische Filmschaffen besteht praktisch aus Marcus H. Rosenmüller, das fränkische gar nicht mehr; was macht eigentlich inzwischen Fitzgerald Kusz (1 Film, 1989)?

Einen einzigen Film zu benennen ist ein müdes Witzchen. Es müssen viele sein, dann klingt’s lustig. Und beschweren Sie sich nicht bei mir, wenn Sie jetzt den ganzen Tag albern grinsend über süddeutsche Filmprojekte nachdenken. — Die ersten 25 alphabetisch nach Vorlage:

  • Den Killertomaten ihr Angriff
  • Dem Architekt sein Bauch
  • Dem Dorian Gray sein Bildnis
  • Dem Prinz seine Braut
  • Den Frauen ihr Duft
  • Dem Geld seine Farbe
  • Der Entscheidung ihr Fels
  • Der Sohn vom Frankenstein
  • Dem Grauen sein Fahrstuhl
  • The Fog – Dem Grauen sein Nebel
  • Dem Zorn seine Früchte (eigentlich: Der Wut ihr Obst)
  • Dem Tod sein Hauch
  • Dem Verderben sein Labyrinth
  • Im Vater seinem Namen
  • Dem Dr. Moreau seine Insel
  • Dem verlorenen Schatz seine Jäger
  • Der Spinnenfrau ihr Kuss
  • Nosferatu – Dem Grauen seine Symphonie
  • Dem Teufel seine rechte und seine linke Hand
  • Der Kokosnuss ihre Ritter
  • Den reitenden Leichen ihre Rückkehr
  • Im Zweifel seinem Schatten
  • Dem Manitu sein Schuh
  • Den Lämmern ihr Schweigen
  • Dem Leben sein Sinn

Weiß jemand noch mehr?

Das wird man wohl noch hören dürfen

“Sag mal, ab einem gewissen Alter sollte man doch wählerisch werden, was für Musik man sich noch antun will, oder nicht?”

“Ach? Sind wir wieder auf dem Kulturpessimistischen? Oder auf dem Midlife-Kritischen?”

“Ich hab einfach noch nie die Reichweite von Bayern 1 bei seiner Kernzielgruppe verstanden. Das ist die deutschlandweit höchste, bei den ‘Best Agers’ von 45 bis 69 Jahren.”

“Das wären genau wie viele?”

“Über drei Millionen Hörer täglich.”

“Halleluja. Da sieht man, wie leidensfähig die jetzigen Best Agers noch sind.”

“Wenn die alle so gebildet und gut situiert und qualitätsorientiert und konsumfreudig sind, da werden sie doch wohl noch ihren Radiosender aussuchen können, oder nicht?

“Ja. Sagt jemand was anderes?”

“So ein Radio ist doch voller Radiosender. Warum hören die nicht was Gescheites?”

“Weil sie Radiogebühren zahlen und ihre kulturelle Grundversorgung in Anspruch nehmen?”

Grundversorgung. Ganz recht. Deine Mudder ist grundversorgt.”

“Ja, die auch. Die würde nie wagen, schwarz bei der GEZ zu hören.”

“Die ‘Zwingburg, die man nicht mehr GEZ nennen soll, ein Bollwerk des Bösen, das uns schale Späße unfähiger Gaukler aufnötigen soll, und uns mit Kopfsteuern bestraft, da wir uns widersetzlich zeigten’? (Dietmar Dath: Das Katakombengericht, in: Titanic, April 2013, Seite 38) Die GEZ, die unsere Kopfsteuer vorerst verdreifacht hat?”

“Genau die. Kennst du noch eine?”

“Die eine reicht.”

“Womit wärst denn du gerne versorgt?”

“Ein Direktvergleich der Filmlisten von Ernst Lubitsch und Billy Wilder. Die endlich auseinanderzukennen, das wär schon mal ein Anfang.”

“O ja. Da wär ich jetz auch als erstes drauf gekommen …”

“Auch nicht abseitiger als ein Direktvergleich, in welchem europäischen Land sie heuer das schönste Lied gesungen haben.”

“Die wollen das so. Die haben sogar dafür bezahlt.”

“Glatter Missbrauch der Meinungsfreiheit.”

“Unternimm was dagegen. Aber ich sag’s gleich: Die anderen sind mehr. Und du weißt, was das in einer Demokratie bedeutet.”

“Interner Gruß der stolz politisch Inkorrekten: Das wird man wohl noch sagen dürfen!”

“Geh DVDs gucken.”

Brötchen hammer net. Entweder du mogst Semmeln oder du schleichst di.

Update zu Lebbe is kei Twitterwidget:

Geschäftlich soll man ja immer von den Großen lernen: Think big. Mal überlegen:

Als erstes verkaufe ich jedem meine Texte. Die Zielgruppendefinition ist also: Jeder. Ob er will oder nicht. Und zwar mit der Begründung: Er könnte ja, wenn er wollte.

Als nächstes liefere ich nicht. Und zwar mit der Begründung: Ich könnte ja, wenn ich wollte.

Wie viele Straftatbestände wären das eigentlich? Egal, dann hab ich ja die Kohle.

Think big:
Am 23. März 2013: Bundesweiter GEZ-Protest: Schluss mit der TV-Steuer;
Unterschriftenaktion: Online-Boykott;
Online-Petition: Abschaffung der GEZ — Keine Zwangsfinanzierung von Medienkonzernen.

GEZ-Protest

Den Sand in den Kopf stecken

In diesen ruhelosen Tagen werden unsere Kollegen aller Branchen “was zur WM machen” müssen. Das muss the missing link glücklicherweise nicht. Bis zum 11. Juli 2010, an dem dieser betrübliche Auswuchs der afrikanischen Entwicklungshilfe enden wird, verhalten Sie sich uns und allen gefühlsbegabten Menschen gegenüber nach folgenden sehr wenigen, sehr einfachen Regeln:

  1. Meiden Sie Zusammenrottungen vor übergroßen Monitoren. Man erkennt sie von weitem am typischen Ausruf “Schlant!” und am Klang des Rauschens wie von Meeresbrandungen oder Autobahnen, gerne auch von traditionell afrikanischen Musikinstrumenten, die ähnlich heißen wie ein zurückgezogen lebender deutscher Fußballspieler. — Sollten Sie trotzdem unverschuldet in eine solche Zusammenrottung geraten, vergegenwärtigen Sie sich, dass man traditionell afrikanische Musikinstrumente und zurückgezogen lebende deutsche Fußballspieler respektieren sollte. Ebenfalls mit Respekt, nicht etwa Mitleid, sollte man zum eigenen Schutz Menschen mit Verhaltensstörungen begegnen. Deren Selbsthilfegruppen lösen sich am 11. Juli von selbst auf und mit ihnen das Problem, das sie bewältigen.
  2. Vermeiden Sie auch den Erwerb von Merchandising, der im Zusammenhang mit dem Fußball der Herren steht. Sehr wahrscheinlich unterstützen Sie damit niemanden, der Sie nicht dafür verhöhnen würde, allen voran eine undurchschaubare Hierarchie bizarr überbezahlter Hauptschulabbrecher. — Sollten Sie trotzdem unverschuldet solches Merchandising erwerben, etwa weil Entwicklungshilfe schließlich Entwicklungshilfe ist, oder weil Sie glauben, dass der Krempel in fünfzig Jahren was wert wird, verschließen Sie es gut an einem Ort, zu dem niemand außer Ihnen Einsicht gewinnt.
  3. Vor allem aber vermeiden Sie die Sätze “Der Ball ist rund”, “Der nächste Gegner ist immer der schwerste”, “Das Spiel dauert neunzig Minuten” und “Nach dem Spiel ist vor dem Spiel” sowie die Synekdoche “das runde Leder” als Umschreibung für einen Fußball. 1954, das war gerade einmal neun Jahre nach dem bisher verheerendsten Krieg, als man froh sein musste, wenn die Leute nicht noch schlimmere Sachen sagten. Rechnen Sie zum Vergleich nach, wo Sie heute vor neun Jahren standen, und bewahren Sie ein Mindestmaß an Würde in Ihren Äußerungen. — Sollten Sie trotzdem unverschuldet solche Sätze aufsagen müssen, etwa weil Sie sonst von Menschen, die sich unter Drogeneinfluss die Wangen mit Landesflaggen bemalt haben, spontan auf die Lichter kriegen, hören Sie hinterher zuhause ein Viertelstündchen Deutschlandfunk. Das bereichert und reinigt den Geist.

Sollten ungnädige Umstände Sie dennoch in den nächsten Wochen zwingen, ein Fernsehgerät zu verwenden: Nutzen Sie die DJ-Helme, die Sie sonst in Ihren iPod stöpseln! Die passen nämlich auch in die Kopfhöreranschlüsse an Breitwandfernsehern. Danke.

Nächste Woche: Korrektes Verhalten, wenn die Sendung mit der Maus wegen Fußball ausfällt, in behördlich unterstützten Verkehrsstörungen (“Autokorso”) und im Kontakt mit Betroffenen und Angehörigen.

© 2024 Freitag! Logbuch

Theme von Anders NorénHoch ↑