Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: Juli 2015

Das Kulturereignis des Monats

Den Mai durch haben sie die Musikabteilung der Gasteig-Bibliothek ganz erheblich umgeräumt. Sie will laut Eigenbeschreibung immer noch “die größte kommunale Musikbibliothek in Deutschland” sein, macht neben der größten Klassikabteilung der Welt, der beim Beck am Rathauseck, eine ganz ordentliche Figur, liegt immer noch im Keller, und sogar das elektrische Klavier zum Ausprobieren der Partituren ist noch da, aber nach Münchens einzigem zugänglichen Exemplar der Ästhetischen Theorie von Adorno muss man jetzt ganz schön schatztauchen, dafür findet man sich in den DVDs mit den Opernmitschnitten endlich zurecht. Auch schön.

Eine Inszenierung von Robert Wilson ist da, der Orphée vom Ritter Gluck, Pariser Fassung auf Französisch. Das ist fein, die hab ich immer gemocht, weil die Sorgen von Orpheus nicht erst seit seinem glücklosen Auftritt in den Sandman-Comics an irgendwas Uriges in mir rühren — meine erste Oper, die ich nach dem ganzen Operetten- und Eindeutschungsdesaster auf Vinyl in meinem elterlichen Haushalt als Gesamtaufnahme selber gekauft hab, aber nie gesehen. Außerdem mit der kleinen schnellen rothaarigen Patricia Petibon, eine der wenigen liebenswerteren Sopranetten, Jahrgang ’70, so sind sie, die Französinnen, als was sonst denn als L’Amour. Nix wie für zwei Wochen eingesackt (nicht verlängerbar).

Zur Einstimmung, weil ich über Robert Wilson nicht viel mehr weiß, als dass er mal den Black Rider von Tom Waits in seine gültige visuelle Form gebracht hat, muss man den natürlich erst mal feste googeln — um herauszufinden, dass genau dieselbe Inszenierung seit Jahren auf YouTube rumsteht. Sogar mit allem nötigen Gemoser der Kulturchecker drunter, dass Orpheus auf Französisch ja wohl mal gar nicht geht, wie immer das im englischen Wortlaut heißt, und wenn man eine Inszenierung von Robert Wilson gesehen hat, hat man alle gesehen.

Mein eigener innerer Kulturchecker findet es dagegen recht angemessen, dass eine Pariser Fassung egal wovon auf Französisch stattfindet, und eine wiedererkennbare Handschrift nennt man unter Freunden nicht “alle gesehen”, sondern “wiedererkennbare Handschrift”; oder gucken solche Miesmuscheln dann auch nie wieder einen Coen-Film, bloß weil Fargo eigentlich ganz lustig war? Und wessen Herz nicht aufgeht, wenn Patricia Petibon die barfüßige Amour gibt, wo hält sich das die ganze Zeit versteckt?

Die anrührendste Oper der Musikgeschichte als DVD und als eindreiviertelstündiges YouTübchen. Der Abend ist gleich zweimal gerettet. Lieber la Petibon zuhören als Sorgen wie Orpheus zu haben, seine Frau durch Schlangenbiss zu verlieren, aus der Hölle herauszuholen, auf dem Rückweg gleich nochmal zu verlieren und für die Bewältigung seiner Trauer von den Mänaden zu rohem Stifado zerrissen zu werden. Auf soviel kann man sich wohl einigen.

¡La ciudad unida jamás será vencida!

Update zum Anarchistischen Glaubensbekenntnis:

Werden wir gefährlich, Thalkirchener Straße

Die Stadt in der wir leben befindet sich in einem permanenten Zustand der Modernisierung bzw. Umstrukturierung. Es wird saniert, aufgewertet, abgerissen und teure Neubauten werden errichtet.

Wir sollen die Veränderungen in unserer Umgebung als passive Zuschauer wahrnehmen (also hinnehmen), um den gewinnbringenden Projekten der Zukunft nicht gefährlich zu werden, sondern sie als beschlossen und unabwendbar zu akzeptieren. Doch genau wir sind es, die die Folgen dieser Vorgänge zu spüren bekommen, sei es in Form von unbezahlbaren Mieten, die immer mehr Leute aus der Stadt verdrängen, da sie nicht mehr in der Lage sind, diese zu bezahlen oder in Form von der Ausweitung repressiver Strukturen, die dafür sorgen, dass alles, was dem reibungslosen Fortschreiten dieser Prozesse gefährlich werden könnte aus dem Weg geschafft wird. Durch einen technologischen Überwachungsapparat, erhöhte Polizeipräsenz und private Security-Firmen wird der Reichtum und das Eigentum der Einen geschützt, während die Anderen durch die Androhung von Strafe im Zaum gehalten werden. Die Politik versucht uns mit leeren Versprechungen für ihre Vorhaben zu vereinnahmen und jeden Konflikt im Keim zu ersticken. Lassen wir uns nicht blenden! Solange wir die für vorgesehene Rolle des folgsamen und unterwürfigen demokratischen Bürgers nicht endlich hinter uns lassen, werden wir weiterhin dem Bild des passiven Zuschauers gerecht, der sein Leben in die Hände anderer legt und sich deren Entscheidungen fügt.

Doch was, wenn wir das Leben wieder an uns reißen und anfangen, selbst Entscheidungen zu treffen?

Wenn wir eigenständig denken und die Konsequenz aus unserem Denken das direkte Handeln ist, sind wir in der Lage, fernab des politischen Spektakels auf unsere Realität und somit auch unmittelbar auf unsere Umgebung einzuwirken.

Wenn das Leben in dieser Stadt für viele unmöglich wird, ist das kein Schicksal sondern das Ergebnis der kapitalistischen Gleichung, bei der unterm Strich der Profit zählt.

Wer von der Umstrukturierung und Aufwertung der Stadt profitiert und sich somit für diese verantwortlich macht, liegt auf der Hand. Vom Vermieter und Architekten, über die Immobilienfirma, Makler und Baufirmen bis zur Stadtverwaltung und Politik, befinden sich die, die unseren Lebensraum als handelbare Ware betrachten überall um uns herum und sind somit auch überall angreifbar.

Machen wir ein für alle Mal klar, was wir von ihnen halten. Mit eigenen Ideen, Worten und Taten!

Ich referier das bloß. So ein Deutsch und so eine Logik in der Argumentation pflegen also diejenigen, mit denen man eigentlich zur Not ganz gern ein paar Überschneidungen in der Meinung hätte. Als erklärte Münchner Einwohner sind es vermutlich Deutsche, auch wenn sie das Wort “München” sorgsam umgehen, aber vielleicht verwenden sie ja für anderen Städte den gleichen Text; das politische Spektakel tobt ja überall. Wer braucht schon Argumente, wenn er eine Meinung haben kann.

Unser Versuch seit Jahren ist, unsere eigene Wohnung aufzuwerten. “Wer von der Umstrukturierung und Aufwertung der Stadt profitiert und sich somit für diese verantwortlich macht, liegt auf der Hand”: nicht etwa “Vermieter und Architekten, über die Immobilienfirma, Makler und Baufirmen bis zur Stadtverwaltung und Politik” (cit. a. a. O.), sondern ausschließlich wir selber. Wenn jetzt das Sondereigentum unseres Kelleranteils zum Wohle der Eigentümergemeinschaft wenn schon nicht komplett enteignet, so doch verkleinert und in seiner Nutzbarkeit eingeschränkt wird, so ist das demokratisch hinzunehmen, weil wir schließlich alle Opfer bringen müssen: Wo soll die Hausgemeinschaft nach einer Sanierung des Abwassersystems mit komplizierter neuer Rohrverlegung denn sonst hinscheißen, wenn nicht mitten durch unseren Keller, am Regal mit den Einweckgläsern vorbei, vorausgesetzt, dass die hinterher noch reinpassen? Dem hab ich keine anderslautenden Vorschläge entgegenzusetzen, weil ich dazu wie immer das Falsche studiert hab. Sollte in einer folgenden Eigentümerversammlung, sei sie ordentlich oder außerordentlich, beschlossen werden, dass ich in meinem Wohnzimmer, weil wir grade so schön dabei sind, auf Kosten des Bücherregals ein Klärbecken einzurichten habe, könnte eventuell sogar ich überlegen, mal gefährlich zu werden; man kann ja durch nichts so verstören wie durch korrekte Kommasetzung. Meine Befürchtung ist allein, dass niemand sie bemerken wird.

Bild mit Zitat: am Tröpferlbad in der Thalkirchener Straße selber gemacht, keine Rechte vorbehalten, aber bitte mit Quellenangabe. Bitte Vorsicht mit dem Text, auch wenn er von jungen, betont gemeinschaftlich orientierten Antifa-Recken stammt: Enteignet werden ist unlustig. Venceremos.

Soundtrack: Roxette: Dangerous aus: Look Sharp!, 1989.

Die Wildnis hat viele Gesichter.

“Was ist denn jetzt der Unterschied zwischen Gondwana und Pangäa?”

“Eins ist zerbröselt, das andere kommt erst noch?”

“Quack. Es müsste eher so wie der Unterschied zwischen Jahwe und Allah sein.”

“Vielleicht doch mehr der Unterschied zwischen Persephone und Proserpina.”

“Dass du immer gleich alles so ins Mythologische ziehen musst.”

“Pff.”

Conrad Ferdinand Meyer, Sämtliche Erzählungen, Reclam

Buidl: Selber gemacht und gemeinfrei gegeben, 8. Juli 2015.
Keine Rechte vorbehalten, aber bitte mit Quellenangabe. Wer die Buchhandlung errät, darf sich ein Eis kaufen. Sogar in der Buchhandlung.

Wir werden das genau verfolgen.

Drei Mühlen, bayerisches Wirtshaus, Neueröffnung

Endlich wieder eine zünftige Hauskneipe. Zuerst hat sie Zur wilden Sau geheißen, das konnte sich jeder merken. Dann Mundart, da haben die Leute schon um ein Eck denken müssen, wenn man ihnen den Weg erklärt hat. Dann Ennstaler Stub’n, das hat keiner mehr gekannt, das Ennstal nicht, und ich hab mich für den Apostroph geniert. Seit 29. heißt es Drei Mühlen, das geht jetzt wieder, weil das Viertel auch so heißt, weil die Leute schon anfangen, sich fürs Glockenbachviertel zu genieren, weil das nächste große Ding das Westend wird, wenn es nicht das Dreimühlenviertel wird, was aber bloß ein Thema werden kann, wenn der Texmex am Eck zumacht, weil der sich nämlich komischerweise hält. Drei Mühlen jedenfalls, und Hauptsache, die Halbe kostet nicht über drei fuchzig.

Drei Mühlen, bayerisches Wirtshaus, Neueröffnung

Buidln: Drei Mühlen, bayerisches Wirtshaus, Stand 18. Mai 2015.
Keine Rechte vorbehalten, aber bitte mit Quellenangabe.

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