Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: April 2013

Dances with Models

Zwei Stunden auf Flickr herumgeklickt, und man kann getrost seine Zweifel beiseite legen, ob in der zeitgenössischen Kunst noch Qualität geschaffen werde: alles voller sehr junger, sehr schöner und sehr kluger Mädchen, die sich als Fotografinnen verstehen oder laut ihren Profilangaben so schnell wie möglich welche werden wollen.

Dafür empfehlen sie sich durch Portfolios, die für nicht weniger als professionell zu halten sind. Gerne bedient wird dabei das Genre des Selbstportraits, weil bessere Fotomotive als die eigene Person um den gleichen Preis für junge, schöne, kluge Mädchen nicht zu haben sind; gerne dokumentiert wird eine Neigung zu den traditionellen Freizeitbeschäftigungen Hoher Töchter (Lesen alter Bücher, Zeichnen von jungen, schönen, klugen Mädchen, Barfußlaufen nicht aus Armut, sondern aus innerer Verbundenheit zu märchenhaften Wäldern und landwirtschaflichen Nutzflächen, feengleiches Schweben im Raum pp.); die technische Qualität entsteht durch den Einsatz leistungsstarker Kameras, deren Preise praktisch mit jeder Stunde mehr verfallen, und Photoshop, dessen ältere Versionen es zumindest am Rande der Legalität für nix gibt.

Vor ein paar Jahren, als Myspace noch ein Thema war, gaben sich aufstrebende Schönheiten mit solchen öffentlichen Selbstdarstellungen noch Spott und Häme preis. Meist standen sie leicht oder gar nicht bekleidet im elterlichen Badezimmer und richteten am ausgestreckten Arm ein mobiles Telefon mit Fotofunktion auf sich. Das fanden sie möglicherweise cool oder erotisch oder jedenfalls geeignet als Ausdruck ihrer pubertären Gefühlslage, was man nachträglich gar nicht so gehässig niedermachen muss. In dieser kurzen Zeit hat sich nämlich ihre Professionalität auf eine Ebene erhoben, die man nicht mehr ignorieren kann.

Ob in Photoshop oder einer analogen Installation, finden die jungen Damen genügend Zeit, Energie und Sachkenntnis, Bilder von sich zu veröffentlichen, für die man in den 1990er Jahren noch ausgewiesener, weltweit gefeierter Starfotograf und Model Whisperer geworden wäre. Theoretisch kann sich heute jedes Lifestyle- oder Modemagazin aus privaten Flickr-Accounts bestücken, ohne sich zu blamieren. Dieses atemberaubend hochwertige Bildmaterial hat in der Herstellung nahe null gekostet, wird von Privatpersonen ohne Geschäftsinteressen (oft sogar ohne Geschäftsfähigkeit) bereitgestellt und kann deshalb nicht weit über null kosten.

Die Künstlerinnen erinnern allesamt an Existenzen wie die Figur von Scarlett Johansson in “Lost in Translation”. Der Film ist von 2003, da war Myspace eine große Halde für schnell dahingeknipste Handyfotos, die man nicht mehr beim Schlecker für Geld entwickeln lassen musste, und Scarlett Johansson war neunzehn.

2003 fand es Scarlett Johansson — jedenfalls im Film — so erstrebenswert wie Heranwachsende der Jahre 1913 oder 2013, einen “kreativen” Beruf zu ergreifen — zum Beispiel Fotografin. Frauen wie die Johansson oder Alexis Mire, Brooke Shaden oder Laura Zalenga und wie sie alle heißen sehen einfach gut genug aus, um aus dem Handgelenk ihre Füße zu fotografieren und dafür Lob und Ermutigung zu erfahren. Wollen wir es ihnen gönnen, selbst Frau Johansson wird bald dreißig.

Dem entgegen steht die Preisentwicklung für künstlerische Arbeit. Wer erst so einen “kreativen” Beruf ergriffen hat, versteht das in einem Maße wie die Preisentwicklung für künstlerische Arbeitsgeräte: stündlich weniger. Deswegen sehen kostenpflichtige kreative Arbeiten aus, wie sie aussehen: Es ist leicht, es ist billig, es ist Bettjäckchen wie Spitzenunterhose, wer sie — und bitte selbstverständlich immer “bis vorgestern” — dahingeknipst oder eingetippt hat.

Sind die Kameras heute dermaßen gut? Oder die Mädchen dermaßen hübsch? Oder die Arbeitsqualität dermaßen wurschtegal?

“Mach den Mund zu”, sagt meine Frau zu mir, “die Tastatur wird nass.”

Beckah, Love My Geek Glassesm 8. September 2011

Junges schönes kluges Mädchen dancing with herself:
beckah:): <3 my geek glasses!, 8. September 2011.

Besser als Porno

Aus unserer locker fortgesetzten Reihe: Ikonen des Web 1.0:

UbuWeb Film Header

Ist eine Zeit ohne YouTube heute noch vorstellbar? Und damit meine ich nicht eine Zeitspanne, in der man mal zufällig woanders hinsurft als zu Telefonaufnahmen, die “i was bored lol” heißen, sondern eine ganze Epoche — eine Zeit vor YouTube?

Vorstellbar vielleicht nicht, erinnerlich schon; YouTube ist keine sechs Jahre alt. Noch anno 2005 war es ein Ereignis fürs ganze Internet, wenn mal irgendwo ein Musikvideo zugänglich war, die liefen da noch auf MTV, im Fernsehen, wenn sich jemand erinnert . Dabei besteht das nicht genug zu lobende UbuWeb seit einer Zeit, in der außer ein paar ausgewählten, sehr wichtigen Angestellten der NASA kaum jemand wusste, was denn ein Internet sein soll.

In UbuWeb heißen die Filme höchstens aus dokumentarischen Erwägungen “I was bored lol”; Aufnahmekriterium ist seit jeher: Es muss entweder avantgardistische Kunst sein oder auf einer theoretischen Ebene von ihr handeln — egal ob es ein Film mit oder ohne Ton ist, eine Tonaufnahme mit oder ohne Bild oder ein geschriebener Text. Oft genug verschwimmt die Unterscheidung oder wird gar nicht erst getroffen. Wozu auch, ist ja Avantgarde.

Eine bestimmte — oder besser: ziemlich unbestimmte Klientel konnte sich dort schon immer (in Internetkategorien ist seit 1996 sehr wohl “schon immer”) nächtelang herumtreiben, um festzustellen: Herrschaftzeiten, in diesem Internetdings gibt’s ja wirklich alles. Ein Eindruck, den man bis heute in jeder langen Nacht mit dem UbuWeb aufs neue gewinnt. Allein der eine ungekürzte Orson-Welles-Film, den es bis heute nicht auf DVD gibt, dauert abendfüllend, da fühlt sich eine durchglotzte Nacht an wie einmal Ein- und Ausatmen.

Wie sie das machen, da beim UbuWeb? Sehr einfach: Sie machen es. Nehmen, was da ist und was reinkommt, digital einrichten, verlinken, fertig. Nichts anderes, als was YouTube auch macht, abzüglich das heil- und endlose Kindergartengezänk um das Recht, vorhandenes legales und einwandfrei zugängliches Kulturgut anzuschauen.

Die interessantere Frage wäre demnach: Wie sie das machen, da beim UbuWeb: dass sie unbehelligt Fime veröffentlichen, ohne jemals dafür belangt zu werden? Braucht doch, wer regelmäßig Fime auf YouTube hochladen will, die etwas anderes als bored sein und auch so aussehen sollen, eine Kriegskasse, die einem seiner Monatsgehälter entspricht.

Der UbuWeb-Betreiber, der berufsmäßige Lyriker Kenneth Goldsmith, zahlt rund 50 Dollar im Jahr: für die Domain-Miete. Nebenkosten: sein privater Internetanschluss. UbuWeb, das muss man sich mal geben, war von seinem Anfang an eine One-Man-Show, ist immer die unangefochtene Autorität in seiner Long-Tail-Nische geblieben, kostet kein Geld, trägt keins ein und wird 2014 volljährig. Dafür muss Goldsmith sich auch keine Werbeeinnahmen antun, denn was sollte er gegen den Aufwand der Kundenakquise und -pflege wohl finanzieren wollen — aller zehn Jahre eine neue Maus für drei fünfundneunzig? So viel zahlt meine Oma auch, und die kauft ihre Kartoffeln einzeln, muss vor über zwanzig Jahren wegen Unergiebigkeit aus den Karteien sämtlicher Adressenhändler rausgeflogen sein und glaubt, Amazon ist ein Fluss in Afrika.

Wer so fragt, fährt am besten, indem er nachschaut, wer daran verdient. Komplizierter wird es nie. Und an UbuWeb verdient exakt: niemand. Deswegen lässt man Herrn Goldsmith machen. Jedenfalls erklärt er sich das in Interviews so, warum sollte jemand noch misstrauischer nachfragen. Avantgarde ist froh, wenn sich überhaupt jemand für sie interessiert. Sie ist da, um wahrgenommen zu werden, bella gerant alii.

Zum UbuWeb fällt mir nur ein einziges vergleichbares Online-Projekt ein; und wenn Sie mir versprechen, nicht gar zu lange sarkastisch zu grinsen, verrate ich Ihnen, dass ich da an YouPorn denke. In dem soziologischen Interesse, das man dieser von Anfang an polarisierenden Plattform entgegenbringen kann, ist sie durchaus avantgardistisch: Da haben Scharen von Zielgruppen, um nicht zu sagen: erwachsenen, geschäftsfähigen, wahlberechtigten Menschen in großem, ja weltumspannendem Stil angefangen, sich selbst und gegenseitig bei ihren intimsten Beschäftigungen zu filmen und vor aller Welt sichtbar zu machen, und zwar in einem Rahmen, den ein nicht steuerbares, weil kaum wahrnehmbares Publikum benutzen kann oder nicht, wofür es will, und von dem vice versa niemand je erfahren wird, nach einem Gusto, das es kaum selbst willentlich steuert. Das ist innerhalb weniger Monate geschehen, aus dem alleinigen Grund, dass es technisch kinderleicht wurde — was man nicht gutheißen, aber als Tatsache hinnehmen muss.

Die Vorteile von UbuWeb gegenüber YouPorn sind: Niemand will sich dort an seiner Exfreundin rächen, niemand will dort “Angebote” hineinjubeln, die Bezahlung für undurchsichtige Gegenleistungen begehren, und jugendgefährdende Inhalte sind mir auch noch nicht aufgefallen — außer dem fiesen “chien andalou” von Buñuel und Dalí, das ist der mit dem Auge, igitt. (Übrigens ist die Grausigkeit “Un chien andalou” sogar auf YouTube erlaubt, was ja schon einiges heißen will, und Pornos mit Minderjährigen sind auf YouPorn verboten, wie immer und überall woanders auch, und beides ist gut so.)

Und vor allem: UbuWeb bleibt für alle Beteiligten wirtschaftlich neutral, weil man es so sein lässt. Der geistige Gewinn entsteht genauso: indem man ihn entstehen lässt. So geht’s also auch.

Wenn die Nacht mal wieder lang und die Internetverbindung flott ist, empfehle ich seit über einem biblischen Jahrzehnt UbuWeb. So toll kann ein Porno gar nicht sein.

Bild: UbuWeb Film & Video aus Un chien andalou, 1929.

Grenzgängerin, also Idiotin

Bin und fühle mich immmer noch als Arbeiterkind und als Handwerker. Design ist für mich Handwerk. Lassen Sie sich doch vom Designgschmarri nicht in die Oberklassen-Irre führen. Bin Designer gworn, weil ich ein Malender bin, schon immer gewesen.

Kimonofrau und Spirale

Dass man mit Zeichentalent in der Werbung landet, ist ein tragischer Unfall mit der Tragik altgriechischen Ausmaßes. Ich hasse die Werbung, ich hasse die Typen, die dort arbeiten. Manche sind einzeln wunderbare Menschen, im Job und geballt sind sie ein Grauen. Wer da was Überhöhtes draus machen möchte, dem sein Freund bin ich nicht. Bin immer noch auf der Seite der Arbeiter. Bin auf der Seite der Hartz-4-ler. Mit Pennern und Bettlern rede ich.

Mit Kachmirschals und Ete-petete-Klamotten hab ichs zum Leid meiner Mutter immer noch nicht so und ich bin auch keine Ideale-verratende Toskana-Fraktion. Im Gegentum. Ich freue mich immer noch wie ein Kind, wenn ich es einem postpubertären, eingebildeten Wohlstandsvollversager aus dem Westviertel nett oder auch mal saftig heimzahlen kann. An diesen Tagen mache ich immer voller Freude Kerben in meinen Gürtel. Ich freue mich, wenn deren Angeber-Leichen samt ihrer SUVs in der Isar treiben.

Alle Unterstellungen bleiben Unterstellungen und zielen ins Leere.

Einen umgedrehten Jockel Fischer zu assoziieren, ist endgültig gewagt.
Weder bin ich so fett und faltig, weder sehe ich so alt aus wie der, noch bin ich geistig alt, noch saufe ich so viel wie er, noch betrachte ich Menschen als Zweck zum MIttel, noch gehe ich auch Vortragsreisen, noch spreize ich mittlerweile das Fingerchen. Noch habe ich je vergessen, wo ich herkomm. Es gibt bei mir zuhause keine goldenen Tellerchen. Alles sehr bäuerlich, der Geist und das Einkommen sind es auch. Bin ein Bildungsbauer. Also Bauer. Eine Idiotin. Die Bildung habe ich aber auch nur von meinem Mann. Ohne den würde ich eine Viola da Gamba für was zum Essen halten, hmm Gambasch, lecker!

Männergekreisch

Quentin Matsys - A Grotesque old woman
http://rebellmarkt.blogger.de/stories/2235064/

Wie jetzt.
Dachte bisher immer nur als alte Sexistin, Frauen seien die Kreischenden.

 

 “Totalitär”? Echt jetzt?

Kann es nicht einfach sein, dass die per Rebellmarkt-Männergekreisch als “totalitär” gescholtenen Damen mit ihren zugegeben recht ängstlich-pedantisch Konferenz-Saalregeln (eigentlich selbstverständliche Sachen, über die man gar nicht reden müsste, aber weiblich-ängstlich zu diffizil geschrieben) im Grunde nur von Angst getrieben sind?

Angst, dass Wortmeldungen untergehen. Angst, dass interessante Statements niedergekämpft werden. Angst, dass gute Ideen im Gebelfer untergehen.

 

Ängste sind zum Teil berechtigt.

Denn genau das erfährt frau und hat frau längst erfahren in sogenannten Business-Meetings. Früher und heute, immer noch: Unsicheres, ängstliches Frauengepieps wird nicht gehört, interessante Vorschläge werden ignoriert, Ideen werden erst nicht gehört, dann von Männern als die eigenen ausgegeben. Alles altgewohntes patriarchales Dominanzgehabe. (Eigenempirie: Hab mir zwar schon vor Urzeiten privat und geschäftlich das zu leise = unsichere Reden abgewöhnt und rede laut, verständlich und sicher. Hält aber immer noch nicht gewisse Herrschaften davon ab, einen niederzudröhnen. Das dazu. Es NERVT.)

Über Mikrofone red ich nicht. Die unsicheres Frauengepieps deswegen schlecht wiedergeben, weil die Damschaft schuldhaft keine Ahnung hat, wie man so Technik-Dingens umgeht: grad und nah hinstellen, direkt von vorn und nah hineinreden. Seufz.

Warum soll es bei Piraten-Konferenzen anders sein.

 

Was mich aber echt sauer macht

(Was keinen interessieren wird, ich sags aber trotzdem)

Dass die (leider) griffige Wortschöpfung “Gendergetröte” auch nur dazu beiträgt, systemisch aufzuschaukeln, Öl ins Feuer zu gießen. Klicksüchtig? Läufts nicht mehr richtig? Richtig souverän sind die meist männlichen “Gendergetröte!”-Gegen-Reaktionen nämlich nicht. Eher sehr unsouverän, zynisch, beleidigte Lebenswurst.

Hatten wir in den 70ern schon, nichts hat sich geändert. Nur mehr Belfer-Vokabular dazu gekommen, ohne das alte Belfer-und Billigprovokations-Vokabular der alten Heinze (“Feministinnen sind hässlich und schlecht angezogen”) je zu vernachlässigen.

 

Angst und als Zynismus verkappte Gegen-Angst.

Die unmaßgebliche Meinung und Deinung eines kleinen Vroni-Bären von geringem Verstand: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Meine Damen, meine Herren.
Damit macht man sich nur endgültig zum Deppen Idioten.

Das Trennende zu betonen, ist dumm. Männer und Frauen eint mehr, als sie denken.

(Zum Beispiel die Dummheit, die ist bei beiden gleich, vor allem im Netz … *duck*)

 

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