Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: Februar 2012

Lamento lacrimoso in Zick-Moll

Für die Fremdwortgegner unter uns (“Kann man das denn nicht auf Deutsch sagen?!”): Tonsetzer ist deutsch und bedeutet: Komponist. Die meisten Tonsetzer, die Sie kennen, waren technisch nicht in der Lage, ihre gesetzten Töne auf CDs festzuschreiben, wofür sie nichts können. Vielmehr mussten sie ihre Musik jedes liebe Mal wieder live vorspielen oder von Musikergruppen unterschiedlicher Mannstärke vorspielen lassen. Das hat bestimmt oft Spaß gemacht, jedenfalls kannten sie es nicht anders.

Wenn die das all die Jahrhunderte lang geahnt hätten, dass ihre Smash-Hits mal in dutzendweise verschiedenen Aufnahmen verkauft werden! Dann hätten sie ihren Hervorbringungen vielleicht anständige Namen verpasst. “Klavierkonzert Nr. 21 A-Dur”, dass ich nicht lache, und dann muss man noch den Tonsetzer dazusagen. Soll das ein Name sein?

Im international gewordenen Musikhandel ist es Unsitte geworden, die Packungsbeilagen zu Klassik-CDs mehrsprachig abzufassen: meistens in Englisch, Französisch und Deutsch, gerne noch Italienisch, besonders bei Tonsetzern, die auf -i enden. Das Problem dabei ist: Auch die Tonarten heißen in den Sprachen jeweils anders. Ich habe Jahre meiner kulturellen Bewusstheit an die Einsicht gewendet, dass es von Bach nicht eine h-Moll-Messe und dann noch eine b-Moll-Messe vom entgegengesetzten Pol des Quintenzirkels gibt, sondern dass B Minor Mass englisch für h-Moll-Messe steht. So deutsch kann ein Tonsetzer gar nicht sein, dass man ihn nicht für den amerikanischen Markt übersetzen müsste.

Klassik-Labels klagen, dass sie nichts verkaufen. Das tut jeder, aber haben die mal überlegt, dass sie ihre Produkte mit etwas Schlüssigem beschriften könnten? Ist in der Kassette mit der Complete Keyboard Music das gleiche drin wie in den Sämtlichen Werken für Klavier? Macht das was, wenn die einen auf Cembalo spielen, die anderen auf Spinett, die nächsten auf Harpsichord? Unterscheiden die Engländer auch sorgfältig genug zwischen Violinsonaten und Violinkonzerten, und sind dann die Violin Sonatas und Violin Concertoes die gleichen wie die String Sonatas und String Concertoes oder nicht? Gehen jetzt 40 oder 46 oder 50 Symphonien auf Mozart, und wer hat die Zuschreibungen erschlossen und warum (und wenn ja, wie viele)?

Ganz hinterfotzig sind die Tonarten: Okay, ein Fis ist kein Ges, das weiß man seit dem Pythagoreischen und dem Syntonischen Komma. Dann ist ein E-is erst recht kein F, obwohl genau den Halbton höher, oder? Dann kann eine Cellosonate in H kein Cello Concerto in B sein, obwohl sie in der gleichen Tonart steht, kein Hashtag rauf und kein b runter. Ist denn ein C sharp wenigstens ein ut majeur?

Da freut man sich, dass die CDs so schöne dicke Booklets haben, da kann man was lernen! Und dann sind sie dreisprachig in verschiedenen Stadien des Lektorats, mit Librettoversionen, die nur satirisch gemeint sein können (übersetzen Sie mal Beschimpfungen wie “Vergeh, frevelnder Gauch!” und bleiben Sie dabei ernst). Die restlichen 32 Seiten gehen drauf für Werbung für einen Haufen mies abgemischter “Klassik-Hits”, die höhenlastiger Ihre Lautsprecher zerscheppern als Klassik-Radio durch iPod-Stöpsel. Man spart nicht, indem man den lizenzfreien, beliebig zusammengewürfelten Vier-neunundneunzig-Schrott neben der Kasse kauft, dagegen fährt man mit dem zuerst überteuert anmutenden Zeug von cpo und dhm ganz gut.

Und Vorsicht: Johann Sebastian Bach hat eine Matthäus-Passion geschrieben. Eine schöne. Sein Sohn Carl Philipp Emanuel Bach auch. Eine schöne. Aber eine andere. Nochmal 19 Euro 99. Muss man wollen. Dafür ist die Markus-Passion von Carl Philipp Emanuel klingende singende Realität, die Markus-Passion von Johann Sebastian eine Art Hypothese als Doppel-CD. Außerdem klingen die Passionen, vor allem die Johannes, in kleiner Besetzung um Klassen besser und durchschaubarer als das überarrangierte massenhafte Gedröhn. Dass man die Empore der Thomaskirche mit halb Leipzig vollstellen kann, muss nämlich nicht heißen, dass es Bach jeden Sonntag getan hat: Die Stellenanweisung “Mit Hauffe” bezeichnet die andächtige Kirchengemeinde, nicht nur die Nachthemdknaben auf der Empore. So, das musste mal verbreitet werden.

Ich stehe kaufwillig im Plattenladen und muss Übersetzungen übersetzen und Tonarten umrechnen. Und meine Frau wundert sich, wieviel Zeit ich bildungsbürgerlicher Schnösel da verbringen kann, und Sony (oder in diesem Fall Play It Again Sam), dass ich dann doch einfach die Narrow von Soap&Skin kaufe. Die heißt wenigstens anständig.

So tragt a jeds sei Packerl.

Adele, Adele

Schon die Eingangsfrage ist eine des Alters: Erkennen Sie Adele (sprich nicht: “A-dé-le” wie die fränkische Abschiedsformel, sondern ungefähr: “Erdäll”), wenn sie wie immer unangesagt im Radio kommt? Denn welcher Bürger einer Industrienation unter 30 hört heute noch allen Ernstes Radio? Oder andersrum: Wann bitte soll einer der Musik kleiner Mädchen hinterherforschen, solange er noch nicht mal die kompletten Gambenkonzerte von Telemann aufgeholt hat?

Adele.tvNachrichten über das Fräulein Adele erreichen mich über die Zeitung – jawohl, Print – und besagen, dass sie erstens soeben einen ganzen Armvoll Grammys – sechs an der Zahl – gewonnen hat, also richtig gut sein muss, und diesen Höhepunkt ihrer jungen Karriere zweitens zum Anlass nimmt, aufzuhören. Sie sei dann mal für vier, fünf Jahre weg.

Recht so, denkt mein innerer alter Sack, würd ich auch. 23 ist das Kindchen, in dem Alter hab ich noch keine so tollen Lieder geschrieben. Warum soll sie sich da nicht erklärtermaßen zur Aufzucht von Kindern und Gemüse zurückziehen, solange ihr Derzeitiger (37) noch keinen erektilen Dysfunktionen unterliegt und sie sich ihre selbstgezogenen Radieschen noch von oben anschauen kann? Endlich erlebe ich auch mal, wie man auf erfolgreiche Prominenzen neidisch sein kann: wenn sie sich mit etwas Erreichtem zufrieden geben, statt noch ein Auftragsgeträller für einen charakterfreien Disneyfilm abzuliefern, an dem das Marketing eifriger herumgestopselt hat als die Drehbuchabteilung.

Wie, ich bin ja bloß neidisch? Ja, schon, hab ich ja gerade gesagt. Was uns zur zweiten Altersfrage trägt: Auch ich hatte mal Jugendträume. Und vermutlich waren es so ähnliche wie die von Patrick Süskind, der als Schulbub ein einziges Buch zu schreiben plante, von dem er dann ein Leben lang zehren kann. Bei mir ist nichts draus geworden, weil er Das Parfüm dann schon selber geschrieben hat, sogar den charakterfreien Film dazu gibt’s schon lange als ermäßigte DVD.

Albrecht Dürer, Selbstbildnis im Pelzrock, 1500Altersfrage 3: Kaum verabschiedet, bereitet Adele ihr Comeback vor. Wahrscheinlich noch im selben Interview, keine Zeit zu verlieren, wie solche Twitterkinder halt so sind. Ihre “Auszeit” gedenke sie mit dem Schreiben eines neuen, möglichst optimistischen Albums zu verbringen – also außer dem üblichen anstehenden “sich wahnsinnig auf das Baby freuen” und “Erfüllung im eigenen Garten finden” jetzt – weil sie nicht länger “als verbitterte Hexe” auftreten will (zur Erinnerung: Sie ist 23. Siehe auch: Bunte und Landlust, Jahrgänge ab ca. März 2012).

Das Optimistischste an Fräulein Adeles mittelfristiger Lebensplanung finde ich heute schon die Unterstellung, dass in fünf Jahren die Musikeinheiten immer noch in Alben gerechnet werden, und dass bis dahin noch jemand weiß, wer mal die Adeledings war, ohne das sie – Mazeltov – den Weg der Whitney Houston gegangen wäre. Das macht mich ausnahmsweise moderner, um nicht zu sagen: jünger als sie. Der Unterschied ist: Sie kann sich das leisten, weil ich nicht von Tantiemen meiner fünf Jahre alten Textarbeiten leben kann. Glauben Sie mir, ich hab’s versucht, aber heiß ich Süskind?

Altersfrage 4: Ein paar Seiten weiter im Kulturteil geht’s nochmal um die Verbreitung von Kunstwerken. Überschrift: “Nicht mehr transportfähig”. Aber damit meinen sie schon nicht mehr Adele, sondern Albrecht Dürer.

Bilder: Adele im Luminaire in Kilburn, London, 2007;
Albrecht Dürer: Selbstbildnis im Pelzrock, 1500.

Diese Woche gelernt:

  1. Zu warm zum Schneien ist immer noch zu kalt zum Schneeschippen;
  2. ein medial überpräsenter Beruf wird nicht zwingend durch eine leicht zugängliche Ausbildung erreicht (“Sexperte”!);
  3. die 1922er “Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen” von Gilbert Keith Chesterton, die der Enzensbergers-Hans Magnus mal in der Anderen Bibliothek herausgegeben hat, erwischt man heute ungelogen noch am besten als Taschenbuch eines erzkatholisch-erzbischöflich geführten Verlags am Schriftenstand in der Theatinerkirche St. Kajetan am Odeonsplatz (bitte ehrlich bleiben und die 9,90 Euro in den Opferstock auf mindestens 10 aufgehen lassen!).

Soundtrack: Die Doraus und die Marinas: Die Welt ist schlecht, das Leben ist schön, was ist daran nicht zu verstehn? aus: Die Doraus und die Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen, 1983.

Stück 1—5 €!!!

Zur Selbsthilfe rede ich mir ab heute ein: In Bücherkisten reicht ein Blick im Vorbeigehen, es sind nie andere dabei. Jedenfalls nicht wesentlich andere. Offenbar wurde Anfang der 1970er Jahre ein Bestand von Büchern gegründet, der unter Antiquaren weiterverkauft wird. Wenn ein Bücherkunde eins wegkauft, muss ein neues eingespeist werden. Das passiert aber pro Barsortimentergebiet nur einmal im Jahr. Dann muss immer der Club Bertelsmann einen Remittenden stiften. Die Lücken in den Umzugskartons werden mit Reader’s-Digest-Auswahlbüchern aufgefüllt. Reclam entsorgt laufend seine eigenen Schulklassensätze von Catull und Gerhart Hauptmann. 2013 sollen die Harry Potters dazukommen, 2016 Twilight.

  • Luis Bromfield: Der große Regen
  • Pearl S. Buck: Die gute Erde
  • Dale Carnegie: Sorge dich nicht, lebe!
  • Christliches Vergißmeinnicht
  • Roald Dahl: Küßchen, Küßchen!
  • Theodore Dreiser: Eine amerikanische Tragödie
  • Hans Fallada: Der eiserne Gustav
  • Anne Golon: Angélique 1—10
  • Willy Heinrich: So long, Archie
  • Hermann Hesse: Peter Camenzind
  • Ephraim Kishon: Im nächsten Jahr wird alles anders; Nicht so laut vor Jericho
  • Thomas Mann: Der Zauberberg; Joseph in Ägypten
  • Thyde Monnier: Liebe — Brot der Armen
  • Boris Pasternak: Doktor Schiwago
  • Harold Robbins: Die Aufsteiger; Die Gnadenlosen; Die Traumfabrik; Die Unersättlichen
  • Françoise Sagan: Bonjour tristesse
  • Gaby von Schönthan: Die Rosen von Malmaison
  • Adalbert Stifter: Der Hochwald

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