So ist das Leben. Aber wirklich!


Sommer vorm Balkon, 2005

Werbung ist verrufen. Werbung ist das, was man beim Fußballgucken wegzappt, was die Anschlagtafeln verunstaltet und was man frühmorgens am Briefkasten aus der Tageszeitung ins Altpapier schütteln muss.

Nach dreizehn Jahren in der Werbung ist mir immer noch nicht vollends plastisch klar, wer solche Werbung eigentlich macht. Müssen wohl Kollegen sein. Vor allem die Art Werbung, die man absichtlich aufsuchen muss, weil sie einen bestimmten trashigen, ja “kultigen” Charme ausstrahlt, wird eigens dafür angefertigt, einen bestimmten trashigen, ja “kultigen” Charme auszustrahlen.

Bei den Kino- und Fernsehspots, über die ein Konsens besteht, dass sie sogar ziemlich gut sind, weiß man’s: Agenturen räumen bereitwillig ein, dass manche ihrer Arbeiten extra für die Cannes-Rolle entstehen, weil die Idee zu schade war, um sie wegzuwerfen, aber für die Zwecke des Werbekunden zu krass, zu sexy, zu lustig — jedenfalls am Kunden-CI oder auch “nur” am Briefing vorbei. Meistens wurde sie dann in Großbritannien produziert, wirbt für Jeanshosen, Büchsenbier und Damenunterwäsche oder alles zusammen. Rockig, urban und jugendlich eben.

Gut so, kann man machen: Nebenprodukte wirtschaftlich interessierter Firmenkommunikation als Kunstform, warum nicht? Die Menschen, die sich von Werbung sonst nur belästigt fühlen — also die meisten — freut’s, und die kreativen Werber haben ihren Spaß bei der Produktion. Wie sieht es aber aus mit himmelschreiend schlechter Werbung?

Ersparen wir uns allzu viele Beispiele. So genannte Funny, Stupid, and Banned Commercials sind genau so ein Genre für sich geworden wie die Highlights für die Cannes-Rolle auch. Behaupte ich. Beweisen kann ich das nicht, weil ich nie in derart potenten Agenturen gearbeitet habe, die Zeit, Budget, Manpower und Ehrgeiz aufbringen, neben ihrem ehrbaren Broterwerb — denn auch das ist Werbeschaffen — noch aufwändige Spaßfilmchen durchzuziehen, die einem letztendlich niemand bezahlt.

Schade? Nein. Zugegeben fängt man in der Werbung an, um mal Kate Moss im BH zu treffen, und nicht, um Katalogtabellen mit BH-Größen Korrektur zu lesen, aber das trägt nicht lange. Nach dem Praktikum kommt man dann schon drauf, dass Kate Moss in einer grundverschiedenen Liga von der eigenen spielt und die Spitze eines Eisbergs bildet.

Musste ich nie wirklich haben. Ich hab sehr schnell den Eisberg viel spannender gefunden: B2B, die Werbung, die weder ins Fußballspiel funkt noch die Sicht auf die Hauptstraße verhängt noch aus der Abendzeitung purzelt, ist ein großes Abenteuer. Und voller Inhalte. Business kommuniziert mit Business — also Kollegen untereinander. Das Leben selbst! Und jetzt sagen Sie mir: Was gibt’s denn Spannenderes?

Es ist ungefähr der Unterschied zwischen Hellboy II und Sommer vorm Balkon: An welchem Film wären Sie lieber beteiligt gewesen, welcher hat mehr mit Ihnen zu tun, bei welchem können Sie mitlachen, mitweinen, mitdenken? Wenn der Hellboy ins Fernsehen kommt, bietet er garantiert reichlich Zeit und Raum für drei, vier halbstündige Werbeblöcke voller hochstehender Jeanswerbung. Ich freu mich schon.

Soundtrack: 17 Hippies: Frau von Ungefähr, aus: Ifni, 2004. Weil die mit einem anderen Film von Andreas Dresen bekannt geworden sind.