Wenn zwei Geschäftspartner an einem Tisch Platz nehmen, kann man beobachten, dass sie immer versuchen werden, dessen Fläche genau zu 50% zu "besetzen". Mit den Händen, mit der Körpersprache, mit den mitgebrachten Unterlagen. Das "über den Tisch ziehen" kommt vermutlich davon her, dass einer versucht, diese optisch gleichgewichtige Verhandlungsausgangslage zu seinen Gunsten zu verändern. Man denkt auch unwillkürlich an Fingerhakeln.

Wie sieht es bei den Dienstleistern des Grafikdesign aus? Sind sie über-den-Tisch-Zieher?

Ich lese da in einem Xing-Forum sowas (aus Copyrightgründen leicht verändert und reduziert), warum ein User über diverse Geschäftsangebote verschiedener Firmen (nicht unbedingt Grafikdesign) verärgert  ist:

1. Das ganze Angebot erschien mir nicht ehrlich!
2. Ich hatte das Gefühl, man zieht mich über den Tisch!
3. Ich hatte den Eindruck, dass ich woanders besser aufgehoben bin!
4. Mir gefiel das aggressive Gebaren des Anbieters nicht!
5. Der anbietende Dienstleister nervte mich mit seinen vielen Anrufen und Informationen.
6. Ich merkte, dass der Anbieter nicht interessiert war, mein Geschäftspartner zu werden, sondern einfach nur an mir/meiner Firma verdienen wollte.

Verstehe das sehr gut.
Kommunikationsdienstleister wie mein Mann und ich mögen das ebenfalls nicht, aggressiv von potenziellen Lieferanten angegraben zu werden. Dennoch ist uns auch schon passiert, dass unsere Auftraggeber misstrauisch unterwegs sind, lieber erst mal gar nichts glauben, und sich alles zweimal erklären lassen und an Kostenpositionen herumschrauben (seltsamerweise oft an den kleinen).

Oft hängt es in unserer Branche aber am Vorwissen des Kunden, was es überhaupt bedeutet, einen, und warum genau diesen Kommunikationsdesigner zu beauftragen. Wir beide beispielsweise achten sehr darauf, dass alles aus einem Guss ist. Zielgruppe, Idee, Kernbotschaft, Text, Bild, bunte Rähmchen, Technik. Und nicht nur Bild und bunte Rähmchen. Und sagen das auch deutlich auf unserer Website. Dass das, was wir erstellen, ein rundes Gesamtbild auf allen Ebenen abgibt. Inner Design. Wir sind sehr unglücklich und es wird uns unbehaglich im Dienst der Sache, wenn Teilbereiche beauftragt werden, wenn es woanders nötiger wäre, etwas zu tun.

Zum Beispiel kommen 70% der Aufträge so herein, dass man ein schickes Design will. Todwichtig. Ein nur kurzer Blick auf das Unternehmen und seinen Auftritt sagt uns Kommunikatoren rasch, dass ein schickes Design die Probleme des Kunden nicht oder nur teilweise lösen wird. Was tun?

Es gibt zwei Möglichkeiten:

1. Wir sagen dem Auftraggeber sofort beim Kennenlernen, wie wir das sehen und dass wir sein Problem anders lösen müssten und bei Auftrag anders lösen werden. Nämlich ganzheitlich (meist inkl. Konzept und Text, denn die meisten Probleme sind erfahrungsgemäß Positionierungsprobleme und in Folge Probleme ihrer gesamten Untenehmenskommunikation, die besser ausgerichtet und feingetunet werden muss.)

2. Wir lassen uns auf den Deal ein, uns nur um das Design zu kümmern, und schreiben so eine Kostenaufstellung. Lassen den Kunden texten undsoweiter. Und hoffen inständig, dass der Kunde im Laufe der Arbeiten merkt, dass er mehr/anderes braucht. Oder es sich behutsam beibringen lässt.

Ich bin bereits mit allen beiden Möglichkeiten bei manchen Auftraggebern böse reingefallen. Wähle ich die klare und sofortige Möglichkeit 1, dann wurde unterstellt, dass wir Geschäft generieren wollten. Wähle ich die behutsame Möglichkeit 2 mit Aha- und Lerneffekt, dann wurde mir unterstellt, dass wir Geschäft generieren wollten.

Es liegt einfach auch am Typus Kunde und was er "draußen" gelernt hat.
Er hat gelernt, dass man ihn nicht aus den Fängen lässt. Er hat gelernt, dass versucht wird, ihm Überflüssiges abzurechnen. Er hat die Tricks der Verkäufer gelernt, ihre Reden, ihre Posen und ihre nicht ganz unsmarten Versuche, das Vertrauen zu bekommen. Und ist ebenfalls seinerseits trickreich unterwegs. Und versucht seinerseits, sich arglos zu stellen und so viel Beratungsleistung im Vorfeld abzuziehen, wie es irgend geht. Der Verkäufer wird dann ebenfalls in Folge über den Tisch gezogen, der betrogene Betrüger wird mit seinen eigenen Tricks ausgetrickst. Schlaue Kunden.

Aber auch misstrauische Kunden.

Sie wittern Unrat, wenn die Kostenaufstellung in einer sehr nüchternen Kaufmann-Sprache abgefasst ist.

Sie wittern Unrat, wenn man versucht, ihnen vorsichtig die Nutzungsrechte darin zu erklären. Von denen sie verdammt nochmal sehr wohl etwas haben. Ich werde in Zukunft komplett darauf verzichten und lieber etwas höher gehen und das Nutzungsrecht behalten. Auch was Schönes.

Sie wittern Unrat, wenn man ihnen eine Positionierung im Briefing abverlangt. Und wenn man sagt, dass, wenn sie dies nicht machen mögen oder können, wir das übernehmen. Zu einem sehr moderaten Stundenhonorar.

Sie wittern Unrat, wenn man darauf besteht, dass ein Profi das CMS aufsetzen soll. Sie sagen, das kann doch nichts kosten, weil das nicht so schwer sein kann (dann viel Spaß mit ihrem Hotline-Chaos-Provider, den roots, der Datenbank und dem .htaccess).

Sie wittern Unrat, wenn man dann sagt: O.k. dann machen wir eben nur das Design und sind eben dann nur für das Design, aber nicht für die technische Umsetzung, verantwortlich.

Ich denke, es muss ein neues Kunden-Dienstleister-Verhältnis zu Grafikdesignern her. Wir sind keine ausgebufften Versicherungsfuzzis und auch keine Schleimseller.

Ich kann so nicht arbeiten.